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Kultur: In der prallen Mittagssonne

Simon Rattle dirigiert zwei Schumann-Sinfonien, Daishin Kashimoto spielt Prokofjews 1. Violinkonzert.

Er brachte Carlos Kleiber und Celibidache mit den Berliner Philharmonikern zusammen, auch die Benefizkonzerte des Bundespräsidenten gehen auf ihn zurück: Intendant Martin Hoffmann dankt Richard von Weizsäcker für seine jahrzehntelange Freundschaft. Dass an diesem, dem Alt-Bundespräsidenten gewidmeten Abend Konzertmeister Daishin Kashimoto als Solist bei Prokofjews erstem Violinkonzert auftritt, fügt sich trefflich zu Hoffmanns Worten über die diskussionsfreudige Orchesterdemokratie der Philharmoniker. Zumal Kashimoto die kleinen intonatorischen Missstimmungen zu Beginn durch ein beherztes Nachstimmen vor dem zweiten Satz zu beheben weiß.

Das Scherzo: Schlittenfahren mit wilden Pferdchen. Das ungestüme Werk schraubt sich schon im Kopfsatz in schwindelnde Höhen, transzendiert sich gleichsam selbst, im Flutlicht eines beißenden D-Durs. Kashimoto spielt mit unerbittlicher Intensität, treibt die Kollegen vor sich her, ist seinerseits ein Getriebener, wenn die repetitive Motivik ihn zum Äußersten drängt.

Play it again: Auch bei Schumann, der 1. und der 4. Symphonie, kehrt Simon Rattle die Lust an der Wiederholung hervor. Da prescht einer los – und kreist um sich selbst. Wie schon 2009 dirigiert Rattle die Erstfassung der motivisch eng verwobenen Vierten, in der die Übergänge abrupter erfolgen. Ihm liegt am unvermittelten Ausdruck, an einem kräftigen, ungemein transparenten, plastischen, durch sparsames Vibrato naturbelassenen Schumann, dem fast etwas Hölzernes anhaftet. Der Komponist, sagte Rattle kürzlich im „Spiegel“, sei von allen der ehrlichste. „Er weiß, dass er sich mit seiner Musik quasi selbst zerstören wird. Und er macht das gänzlich ohne Selbstmitleid.“

Auch bei Schumanns Erster, der Frühlingssymphonie, dominiert das Drängende, der schnelle Puls, der Überschwang. Der Bläserchoral zu Beginn: ein Manifest der Selbstbehauptung (Robert ist endlich gegen allen schwiegerväterlichen Widerstand mit seiner Clara vereint). Die Auftakte im Scherzo-Thema: beharrlich betont, jeder Takt atmet Aufbruchsstimmung. Das Allegro-Finale wird zum Tanz der Gegensätzlichkeiten, voller Neckereien und Gegenreden. Nur das Wissen um die Selbstzerstörung vermisst man bei Rattles Schumann-Interpretation nach wie vor. Noch strahlt hier die Mittagssonne, die keinen Schatten kennt. Christiane Peitz

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