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Kultur: In der Staatsfalle

Macht als schleichende Krankheit: Stephan Kimmigs Hamburger „Maria Stuart“ beim Berliner Theatertreffen

Maikühl, was für ein poetisches Wort. Maikühl sind die Nächte des Theatertreffens. Im Garten beim Festspielhaus schart sich eine eingespielte Premierenfeierntruppe um das Lagerfeuer. Eine Kollegin erklärt, dass sie das Projekt „Frauen in Führungspositionen“ leider für erledigt halte, nach dieser „Maria Stuart“.Von männlicher Seite wird ihr entgegen gehalten, dass auch die Kerle in dieser Hamburger Inszenierung mal wieder sowas von feige, opportunistisch und komplett durchschaubar seien, typische Theaternieten in modernen Klassikernadelstreifen. Worauf man sich einigt, dass Menschen und Macht überhaupt ein unlösbares Problem darstellen, nicht nur bei Schiller.

Dessen Königinnen-Drama haben Regisseur Stephan Kimmig und Bühnenbildnerin Katja Hass am Thalia Theater auf knapp zwei Stunden heruntergedampft. Es ist kalt in diesem Staat, schweinesystematisch kalt. Elisabeth von Englands Hof: ein Krisenkabinett, dessen Minister einander pausenlos in den Rücken fallen. Der Bau verströmt verschärfte Kanzleramtsatmosphäre, brutal funktional. Atomschutzbunker? Folterkammer? Die Herrschenden hausen in aseptischer Atmosphäre, Wand an Wand mit ihrer prominenten Gefangenen, der Königin Maria Stuart von Schottland.

Doch so geölt, wie das hier abläuft, heißt das Stück „Elisabeth“. Paula Dombrowski mit wachsweißem Teint und rotem Haar im Businessanzug: eine noch junge, aber schon erschöpfte, überforderte Staatschefin. In wilden Angstträumen windet sie sich auf ihrer Pritsche, stürzt sich in hysterische Ausbrüche. Je heftiger sie zappelt, desto enger zieht sich das Netz um sie zu. Nur einen Wimpernschlag dauert die Gegenüberstellung mit der anderen. Da ist schon alles entschieden – gegen die Stuart. Sie wird hingerichtet. Was treibt diese Frau, was stellt sie dar? Susanne Wolffs Maria sitzt mit aufgelöstem Haar gefesselt auf einem (elektrischen?) Stuhl, ihren Selbstgesprächen haftet etwas Unwirkliches an, als habe sie eine Gehirnwäsche durchgemacht.

Schillers Idealismus, auf der Drehbühne weggeschleudert wie in einer Zentrifuge. In diesem Laboratorium des zynischen Opportunismus schafft Werner Wölbern als Graf Leicester sogar ein paar komische Momente. Er wechselt die Seiten schneller, als sich die wimmelnden Virenzellen auf dem Video teilen, das Kimmig zu Anfang zeigt. Staatsräson als Krankheit. Mikrobiologie der Macht. Es ist nichts falsch an dieser Analyse. Aber auch nichts neu oder verstörend. Es ist eine ziemlich clevere Inszenierung, aber das bewahrt sie nicht vor Langeweile und Leerlauf. Man kann Klassiker operieren, zerschnippeln, aufmotzen, einfrieren, die vertragen das. Man soll nur nicht das Gleiche mit der Wirklichkeit tun.

Rüdiger Schaper

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