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Kultur: In der Stadt der zerschlagenen Träume

Advent in Bethlehem: Momentaufnahmen aus einem heiligen Ort, der einmal allen Menschen guten Willens Frieden verhieß

Bethlehem, die kleine Stadt in Judäa, ist für mich untrennbar verbunden mit Kindheitsträumen von Weihnachten, von Licht und Wärme und den drei Weisen aus dem Morgenland, die dem Knaben in der Krippe ihre Geschenke bringen. Und es gehört die Geschichte von den Hirten dazu, die nachts einen Engel sahen und „die Menge der himmlischen Heerscharen, und „allen Menschen guten Willens“ wurde Friede auf Erden verhießen. Es war einmal. Wenn es einen Ort gibt, der die Bezeichnung „Stadt der zerschlagenen Träume“ verdienen würde, dann Bethlehem in der Adventszeit 2002.

Bethlehem hatte seine großen Träume. Sollte der Geburtsort des „Erlösers“ und „Friedensfürsten“ nicht wie ein Juwel erstrahlen, dachte der (inzwischen verstorbene, zu seiner Zeit aber weltbekannte) Bürgermeister Elias Freij. Und siehe da, nach dem Oslo-Abkommen von 1993 gingen die palästinensischen Städte im besetzten Westjordanland, darunter auch Bethlehem, an die palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Yassir Arafat über. Nun war die Stunde gekommen, aus dem verschlafenen Bethlehem einen Ort zu machen, in dem die Botschaft der Engel („eine große Freude wird den Menschen widerfahren“) ihr Echo finden würde.

Aus allen Teilen der Welt floss Geld. Schweden nahm mit 70 Millionen Kronen den ersten Platz unter den Geberländern ein. Zur Umgestaltung des Krippenplatzes, des mit Reisebussen übervollen „heiligsten Parkplatzes der Welt“, wie er respektlos genannt wird, wurde ein internationaler Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Sieger des Wettbewerbs war der Schwede Snorre Lindquist, der nach eigenen Worten beschloss, den „genius loci“ einzufangen, den Geist des Ortes. Die Reisebusse wurden verbannt, die Polizeiwache gegenüber wurde abgerissen und durch ein stilechtes Gebäude ersetzt, das als Kultur- und Friedenszentrum dienen sollte. Der Platz selbst wurde neu gepflastert, mit orientalischen Mustern und versenkter Beleuchtung. Auf drei Seiten wurde der Platz von ausgewachsenen Bäumen eingerahmt, im Laub versteckte Lichtgirlanden tauchten den Platz in einen warmen Schein. Auf den neu gestalteten Bänken konnten die müden Pilger ausruhen, während aus kleinen Brunnen Wasser plätscherte.

Der Platz sollte aber, so Lindquist, auch ein natürlicher Treffpunkt für die Einwohner sein. So war es dann auch. Ich erinnere mich gut an das fröhliche Treiben auf dem Krippenplatz kurz vor Weihnachten 1999. Es war noch warm, die Kinder saßen mit einem Eis auf einem Brunnenrand und schauten mit großen Augen in das Helldunkel der Bäume. Die Erwachsenen plauderten auf den Bänken.

Jetzt, drei Jahre später, einige Tage vor Weihnachten, ist von alledem nichts mehr übrig. Kein Baum, keine Lichtgirlande, keine Beleuchtung, nichts. Die Geburtskirche ist verrammelt. Das Kulturzentrum ist noch da, aber viele der großen Fenster sind eingeschlagen. In Bethlehem herrscht Ausgangssperre. Unser Taxifahrer hält hinter einer Mauer und verlangt den doppelten Preis. Er weiß, dass israelische Soldaten einem Mann, der sich der Ausgangssperre widersetzt hat, den Autoschlüssel abgenommen haben. Als er später sein Auto abholen wollte, fand er nur noch einen Schrotthaufen. Ein Panzer hatte das Fahrzeug platt gewalzt.

Obwohl weit und breit keine israelischen Soldaten zu sehen sind, wird das Ausgangsverbot eingehalten. Einige Frauen, die in dem einzigen versteckt geöffneten Geschäft Gemüse eingekauft haben, eilen über den Platz, ein Mann kommt aus der Moschee. Vor allem aber hat eine Bande Halbwüchsiger den Platz in Besitz genommen. Die Kleineren üben Steinschleudern, „für den Fall, dass die Soldaten kommen“. Zwei Sechzehnjährige schießen mit schwarzen Plastikpistolen aufeinander. Nein, rufen sie, ihre Eltern haben keine Ahnung, wo sie sind und was sie machen, sie seien in einem unbewachten Moment von zu Hause ausgerissen. Ja, sie und ihre Kumpel hätten die Fenster des Kulturzentrums eingeworfen.

Wie aus dem Nichts tauchen Souvenirverkäufer auf. Offenbar glauben sie, dass wir zu der vom Aussterben bedrohten Spezies der Touristen gehören. Nein, ich will keine Kefiya (das schwarz-weiß gewürfelte Kopftuch der Palästinenser) und kein Halsband haben, schon gar keinen Rosenkranz. Ich möchte nur ein Geldstück geben, handle mir damit aber einen Tadel meiner Dolmetscherin ein. Das dürfen Sie nicht tun, das ist eine Beleidigung. Nehmen Sie das Halsband, das kostet kaum mehr als die Münze . Ich schäme mich. Anscheinend hat mich der „genius loci“ angesteckt – graue Leere, allenthalben Hoffnungslosigkeit, ziellose Aggressivität.

Aber wurde nicht hier, auf dem Feld der Hirten, der Menschheit „Friede auf Erden“ verkündet? Doch es war ja auch von dem „guten Willen“ die Rede. So steht es in der katholischen Weihnachtsliturgie. In der alten protestantischen Übersetzung des Weihnachtsevangeliums dagegen wird Friede auf Erden jenen Menschen verkündet, „die Gott ein Wohlgefallen sind“. Die scheint es in Bethlehem nicht zu geben. Aber vielleicht hat ja auch Gott angesichts seiner Schöpfung die Hoffnung aufgegeben und bereitet eine neue Sintflut vor – nach Weihnachten.

Cordelia Edvardson lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Jerusalem. – Aus dem Schwedischen von Matthias Fienbork

Cordelia Edvardson

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