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Kultur: In der Tiefe ist es heiter

Dem Schriftsteller Bora Cosic zum 80.

Von Caroline Fetscher

Mit den Surrealisten, so erklärt Bora Cosic gern, verteidigt er die Kinder, die Dichter, die Wahnsinnigen. Infiziert von André Breton, hatten Belgrads Surrealisten in der Zeit zwischen den Weltkriegen eine eigene Avantgarde für sich entdeckt, die den absurden Ritualen des Alltags Zerrspiegel vorhielt, „zerstörerisch, sansculottisch und ganz poetisch“. So heißt es in Cosics Hommage an diese ästhetischen Aufrührer, die speben unter dem Titel „Frühstück im Majestic“ (Hanser) erschienen ist. Vielleicht hat der große Autor im Berliner Exil sich und seinem Publikum damit das schönste Geschenk zum 80. Geburtstag gemacht, den er am morgigen 5. April feiert.

Vor allem aber soll das Erinnern an jene hochproduktive Moderne Serbien vor Augen führen, dass es auf seinem Boden, dem heute mit Heimatmythen und nationalen Fantasmen bepflanzten, „noch etwas gab“, etwas Waches, etwas Besseres. Doch Cosic ist nie Lehrmeister, er ist immer Erzähler, Beobachter, melancholischer oder amüsierter oder zorniger Zaungast der Geschichte. Auch seiner eigenen.

Frühen Ruhm in Titos Jugoslawien brachte Cosic schon die kindheitsautobiografische Erzählung „Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution“, eine atemberaubende Collage aus Szenen in einer Belgrader Mietwohnung während des Zweiten Weltkrieges. Staunend sammelt da ein Junge Eindrücke von überaus seltsamen Tanten, Onkeln, Eltern, Besuchern und Passanten. Täglich stoßen diese Menschen Bruchstücke ihrer Befürchtungen und Wünsche, Ansprüche und Klischees aus, sie äußern sich zum Spucknapf im Treppenhaus, zu Parteifunktionären, Kinohelden, Reklamesprüchen.

Ihre oft abstrusen Aussagen servieren sie einander – und dem Kind – mit der Überzeugung, Sinn zu stiften. „Keiner erklärt mir, was die Dinge bedeuten“, schreibt der Dichter aus der Sicht des Fünfjährigen in „Eine kurze Kindheit in Agram“ (Schöffling Verlag), das auf seinen frühesten Erinnerungen an die ersten Lebensjahre in Zagreb basiert. Mit Anklängen an Walter Benjamins „Berliner Kindheit“ und Sartres „Wörter“ ist der ebenfalls gerade erschienene Band ein weiteres, so magisches wie kluges Geschenk an die Lesenden. Neben dem lyrischen Erzähler ist hier der Freud- und Lacan-Kenner zu hören, der Ironiker und Skeptiker Cosic, der auch dem verlorenen, einsamen Kind gegenüber niemals sentimental wird.

Bora Cosic, beargwöhnt schon vom Tito-Regime, wurde schließlich unter Milosevic aus seinem Land vertrieben. Die Folgen der Zerfallskriege betrachtete er aus der Ferne, den Verlust an Realität bei seinen Landsleuten kommentierte er in Romanen, Essays und Erzählungen. In Cosics enormem Emigrantenwerk wandeln sich ganze Landschaften oder Fragmente von Biografien um zu Metaphern und Gleichnissen, etwa wenn aus der monströsen Bürokratie beim Verzollen der Habe des Emigranten ein symbolischer Vorgang wird. Alles will der Emigrant in „Die Zollerklärung“ (Suhrkamp, 2001) außer Landes schaffen, nicht nur seine Bibliothek, nicht nur alte Kleider, sogar seinen Müll. Die jungen Zöllner verstehen die Welt nicht mehr.

In seinem wohl größten in der Emigration entstandenen Werk, in „Das Land Null“ (Suhrkamp, 2004), gerät eine Bahnreise durch die entseelte Nachkriegslandschaft zur Parabel auf mehr als nur Ex-Jugoslawien. Umso überraschender, dass es einem nie in den Sinn käme, Bora Cosic als Pessimisten zu bezeichnen. Der Autor, der unter anderem 2002 den Leipziger Buchpreis für europäische Verständigung erhielt, ist, wie die „Kurze Kindheit in Agram“ jetzt zeigt, seit Anbeginn ein dichtender, im Tiefsten heiterer Philosoph gewesen. Caroline Fetscher

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