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Kultur: In die Suppe gespuckt

CHANSON

Chansonsänger sind wie Goldhamster: Je später die Stunde, desto aufgeweckter werden sie. Halb zwölf nachts hat es schon geschlagen, als Susanne Betancor zur „Dicken Bühnensuppe“ die Bühne der Bar jeder Vernunft erklettert, und gleich dreht sie mächtig am Rad. Erzählt stracks drauflos, wie eine alte Freundin, die man lange nicht gesehen hat und die einem jetzt gleich sooo viel zu erzählen hat. Wirft auch gleich ein paar ihrer skurril-schönen Songs hinterdrein, die zungenflirrenden, beinahe-haspeligen „Halluzinationen“, das in verhaltenem Schalk blitzende Männerausleihlied und andere Ton-Zeugnisse ihrer eigentümlichen Weltsicht. Erleichterung: Die Popette ist, nach den trübsinnigen, besorgt machenden Eskapaden der letzten Zeit, wieder auf Deck, ist wieder die Alte: Die schusselige Heldin mit dem pechschwarzen Haarhelm, die den Unzulänglichkeiten des Lebens nur mit Befremden begegnen kann, die ihre Programme virtuos auf schmalem Grat zwischen sprudelnder Lebenslust und selbstvergessener Grübelei entlangbalanciert. Eine, die dem eigenen Glück immer wieder im Wege steht, obwohl es eben noch ganz gegenwärtig war: In den mal angejazzten und dann wieder fast Grand-Prix-tauglichen Songs, bei denen ihre klare Altstimme wohlig zu schwingen beginnt. Eine Königin der Herzen – und ein fast zu schöner Abend in der Nachtkantine (bis 1. Mai, jeden Samstag), würde nicht der westfälische Lyriker Fritz Eckenga als Spezialgast (neben der artigen Gagaufsagerin Käthe Lachmann) hin und wieder in die Bühnensuppe spucken.

Jörg Königsdorf

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