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Kultur: In giftigem Pastell - Frankfurts Städel gratuliert zum Geburtstag

Der "innere Monolog" beginnt mit Buntstiftzeichnungen, setzt sich auf der Leinwand fort und erobert bald den dreidimensionalen Raum. Bernhard Schultze hat das deutsche Informel von seiner fantastischen Seite erkundet und die Leinwand mit seinen bizzaren Szenarien zum Sprechen gebracht.

Der "innere Monolog" beginnt mit Buntstiftzeichnungen, setzt sich auf der Leinwand fort und erobert bald den dreidimensionalen Raum. Bernhard Schultze hat das deutsche Informel von seiner fantastischen Seite erkundet und die Leinwand mit seinen bizzaren Szenarien zum Sprechen gebracht. Zu seinem 85. Geburtstag hat das Frankfurter Städel dem deutschen Neoexpressionisten jetzt eine Ausstellung gewidmet, die die Genese von Schultzes expressivem Mikrokosmos aus Form und Farbe ins Zentrum stellt.

Seine ganz spezielle Form des Tachismus war schon in den sechziger Jahren angetreten, die dritte Dimension zu erobern. Damals implantierte Schultze plastische Elemente in die Leinwand, überdeckte sie mit pastosem Farbauftrag und schuf auf diese Weise Raum greifende Gebilde, die er später "Migofs" nannte. Diese bimorphen Konstrukte aus Mensch, Tier und Pflanze changieren zwischen Bild und Plastik, ohne eindeutige Festlegungen vorzunehmen. Sie erobern den Raum und entdecken das abgründige Potenzial der Mythologie in einer Zeit, in der die Pop Art sich mit dem Hier und Jetzt arrangiert.

Farblich erinnern Schultzes Werke trotz ihrer zeitkritischen Dimension immer ein wenig an die Malerei der Renaissance. Die Form dieser fragilen Gebilde hat jedoch auch etwas bizarr Deformiertes, um nicht zu sagen: Zerstörtes. Von giftigen Pastelltönen überzogen, mutiert das Gegenständliche immer wieder zu pflanzenhaftem Dickicht und Dschungellandschaften. Oft scheint die Bildwelt der "Migofs" regelrecht wie von Säure zerfressen.

"Migofs sind eine verrottete Gruppe längst vergessener Überbleibsel einer paradiesischen Zeit", so hat Schultze anlässlich der Frankfurter Retrospektive die bizarren Geschöpfe seiner Materialbilder kommentiert. Zahlreiche dieser "Migofs" haben mittlerweile ein museales Reservat gefunden, doch die Konfrontation mit so vielen Versionen der plastischen Fabelwesen ist durchaus neu.

Im Städel stehen unterschiedliche Formulierungen des häufig Raum greifenden Werks nebeneinander: das "Migof-Tor" mit seinen herabhängenden, leichenhaften Körpern, der "Torso-Mannequin-Migof", der aus dem Unterleib einer weiblichen Schaufensterpuppe herausquillt, oder die ausufernde Installation "Innerer Monolog - ein Leben lang", die der Ausstellung ihren Titel geliehen hat. In ihr fügen sich verschiedene Techniken von der Zeichnung über die Collage, die Malerei und die Farbskulptur zu einem Ensemble, das sich als optisches Gesamtkunstwerk präsentiert.

Begleitet wird diese ausufernde Installation von zahlreichen Reliefbildern und Skulpturen aus rund dreißig Schaffensjahren. Doch letztlich variiert Schultze seinen einmal erfundenen Mikrokosmos immer wieder, überarbeitet und erweitert das bestehende Repertoire. Einen Wiedererkennungswert wie seine Arbeiten besitzen nur wenige Werke der deutschen Nachkriegskunst.

In der deutschen Kunstszene, das führt die Frankfurter Geburtstagsschau anschaulich vor Augen, ist Schultze mit seiner visionären Formensprache vielleicht auch deshalb ein Solitär geblieben, selbst ein Überbleibsel einer vergangenen Zeit, die im Dialog mit sich selbst Zuflucht sucht.Frankfurt / Main, Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut, noch bis 30. Juli. Der Katalog kostet 35 Mark.

Vanessa Müller

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