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Kultur: IN KÜRZE

LOUISE CARPENTERIda & Louise. Wie zwei Schwestern die Gestapo überlisteten Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow.

LOUISE CARPENTER

Ida & Louise. Wie zwei Schwestern die Gestapo überlisteten Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow. Dörlemann Verlag,

Zürich 2010.

126 Seiten, 16,90 €.

Fans können verdammt lästig sein. Groupies, die ihren Idolen überall hin nachreisen, die ihr eigenes Leben ganz hinter der Bewunderung für einen Künstler verschwinden lassen. Manchmal aber werden Fans zu Helden. Louise Carpenter hat die unglaubliche Geschichte zweier lediger britischer Stenotypistinnen recherchiert, die kurz vor dem Zweiten Weltkrieg 29 Juden das Leben gerettet haben. Der Dirigent Clemens Krauss, den Ida und Louise Cook abgöttisch verehrten, hatte die Hilfsaktion angeschoben: Unter dem Vorwand, Opernabende in Deutschland zu besuchen, stiegen die Schwestern alle paar Wochen in London ins Flugzeug. Auf dem Rückweg nahmen sie die Fähre ab Holland, bepackt mit Schmuck und Pelzen, die ihnen jüdische Familien anvertrauten.

Der Verkauf des Schmuggelguts versetzte sie in die Lage, jene Bürgschaften zu übernehmen, ohne die Großbritannien damals keine Visa mehr an ausreisewillige Deutsche vergab. Dass Ida Cooke außerdem unter dem Pseudonym Mary Burchell 120 Trivialromane veröffentlichte, dass sich das Londoner Flüchtlingsquartier der Schwestern in den fünfziger Jahren zum Treffpunkt für Opernstars entwickelte, den Maria Callas wiederholt beehrte, lässt die Story endgültig crazy erscheinen. Carpenter erzählt in jenem unaufgeregten, aber persönlichem Tonfall, der Biografien aus dem englischsprachigen Raum oft so ansprechend macht. Da nur wenige originale Quellen erhalten sind, bleibt der Leser dennoch ein wenig hungrig zurück – wie ein Fan, der von seiner Lieblingsoper statt einer Gesamtaufnahme nur einen Best-of-Querschnitt zu hören bekam. Frederik Hanssen

PAULUS HOCHGATTERER

Das Matratzenhaus. Roman. Deuticke im

Paul Zsolnay Verlag,

Wien 2010.

294 Seiten, 19,90 €.

Ein depressiver Kommissar, schwere Verbrechen in der österreichischen Kleinstadt Furth am See, Todesfälle und Selbstmorde – und dennoch ist es kein Krimi. Eher ein Psychothriller, bei dem es weniger um die Aufklärung geht als um die verschlungenen Wege dorthin, um die Abgründe der Erinnerung, die Traumata einer brutalen Kindheit. „Jeder schlägt seine Kinder“, ist die Überzeugung von Ludwig Kovacs, dem Kommissar, der mit einer Punk-Tochter und zunehmender Vergesslichkeit geschlagen ist und nur unwillig die Aufklärung vermeintlich ganz normaler Verbrechen betreibt. Und auch der Kinderpsychiater Raffael Horn hat mehr mit seinem pubertierenden Sohn und seiner bröselnden Ehe zu tun, als sich um die Klärung von Problemen zu kümmern, deren Lösung doch vor der Haustür liegt.

Das Thema von Paulus Hochgatterers Roman „Das Matratzenhaus“ könnte aktueller nicht sein: Es geht um Kindesmisshandlung, auch ein Priester ist involviert. Doch der österreichische Kinderpsychiater, der seit 1993 auch als Schriftsteller hervortritt (zuletzt: „Die Süße des Lebens“), holt weiter aus. Nicht die Frage, wer die „schwarze Glocke“ ist, die immer mehr Kinder im Ort schlägt, ohne dass diese sagen wollen, was geschehen ist, steht im Zentrum, sondern die Fülle der psychischen Versehrungen, die jeder mit sich herumträgt. Ein Witwer, der mit der Pflege seiner gelähmten Frau überfordert ist, ein Priester, der mit Bob Dylan gegen seine Zweifel ankämpft und eine Affäre mit der Grundschullehrerin hat, die von ihrem Mann brutal geschlagen wurde: Alle haben alle Gewalt erlitten, die Verletzungen sind bis heute sichtbar.

Es ist eine durch und durch verkommene Gesellschaft, in der die Bosheit hinter geschnittenen Hecken und gut gepflegten Vorgärten lauert. Man kommt nicht umhin, an Natascha Kampusch und ihren Peiniger zu denken, und an Michael Haneke, den österreichischen Regisseur von „Das weiße Band“. Die misshandelten Kinder sind am Ende die Stärkeren. Ein Bund, der aus Gewalt geboren ist und immer neue Gewalt erzeugt – ein ewiger Kreislauf. Christina Tilmann

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