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Kultur: "In New York": Alban Nikolai Herbst inspiziert den Big Apple

Der Romancier als faustischer Experimentator - das könnte ein Selbstentwurf nach dem Geschmack des Alban Nikolai Herbst sein. Er ist belesen, und das sowohl in alter Mythologie wie in den Zeichencodes der Gegenwart.

Der Romancier als faustischer Experimentator - das könnte ein Selbstentwurf nach dem Geschmack des Alban Nikolai Herbst sein. Er ist belesen, und das sowohl in alter Mythologie wie in den Zeichencodes der Gegenwart. Er ist wortgewandt und liebt das Spiel mit literarischen Formen. Gerne legt er, wie zuletzt in "Thetis", einen als "fantastischen Roman" ausgewiesenen Gang in die Schreckenswelt eines ökologisch verseuchten Europa, rätselhafte Fährten aus und überdreht die Fiktion so, dass sie als Erfindung ihrer selbst auftritt. Vexierspiele im Fundus des literarischen Bühnenzaubers.

Das Papier lebt

Auch Herbsts neuer Roman "In New York" darf zu dieser Gattung gezählt werden. Der Titel ist nüchterner als alles, was folgt: die skurrile Geschichte einer Identitätsvertauschung um Wilfred Talisker, der Heim und deutsche Heimat verlässt und in die schöne neue Welt auszieht, um ein gar schlechter Mensch zu werden. Als Rechtsanwalt dient er im braven Schwabenland, bis ihn eines Nachts die Vision heimsucht, er werde erwartet im fernen New York. Geträumt, getan, der Aufbruch in ein anderes Leben.

Ein papierenes Leben, wie wir Leser allerdings von der ersten Zeile an aufgeklärt werden. Talisker ist eine Erfindung der gemeinsamen Gedankenwerkstatt des Ich-Erzählers Georg Meissen und zweier Helfershelfer, belebt allein aus ihrer Lust an einem "Menschen, den die Fügung über Nacht verdarb". So nimmt Talisker den Ausgang des Romans nur scheinbar als kaltblütiger Spieler hin und ist doch nichts als Beobachtungsobjekt im Laboratorium seines eigenen moralischen Niedergangs.

Lurche und Huren

Immer engmaschiger und verwirrender verwebt Herbst fortan die Erzählebenen, bis nicht mehr nur der Leser sich fragen muss: Wer ist wessen Fiktion? Denn Meissen entgleitet seine Spielfigur schon am ersten Abend der geplanten Begegnung, als er in einer Nachtbar - ist es Verwechslung oder Vorsehung? - jenen Koffer mit den Initialen G. M. in die Hand gedrückt bekommt, der für Talisker vorgesehen war und Indizien auf einen geplanten Mord enthält: darunter Meissens Foto, eine Pistole, Geld. Das riecht nach Ärger, zumal Meissen sich fortan nicht nur als Talisker ausgibt und unter dessen Namen in das für ihn gedachte Hotel einzieht. Talisker wiederum wird vor seinem Widersacher und Verfolger Meissen gewarnt und macht sich auf dessen Spuren.

Ausgiebige Streifzüge der Beschattung schmücken in Überfülle den Roman. Streifzüge, in denen Herbst die ganze Kunst seiner Wortverführung entfaltet - und seines eigenwilligen Blicks auf Höhenkoller und Abgründe der westlichen Welt. Neben Verfolgungsszenen im Telegrammstil - "Reifen quietschen Sirene näher Hupen Schrei." -, dominieren soghafte Stadttableaus. Doch was für eines New Yorks?

Herbst fegt die Aufgeregtheit der Glitterwelt kühn zur Seite: "Das Wesen New Yorks war die Leinwand, Fassade der Film, der darauf lief. Aber hinter der Leinwand war nichts als Wand. Wo noch Feuchtigkeit blieb, gärte Schattengetier: augenlose Lurche versteckte Prostitution Gummiknüppel schlechtes matschiges Essen. Agonie und Agressionen aus Angst." Was sein Antlitz erhebt, ist eine düstere gothic city.

Es ist das Andere der Stadt , mit dem Herbst spielt. Tatsächlich lockt diese Unterwelt von Anfang an - und erweistsich nicht nur als das Herz der Stadt, sondern auch der Geschichte, wenn Meissen den Dirigenten Olsen kennen lernt, den Talisker ermorden soll. Olsen ist nicht nur einer jener Tunnelmenschen, die in New York in stillgelegten Subway-Schächten leben. Olsen plant - exakt unter der Carnegie Hall - auch ein Konzert mit einem Orchester, das er aus Tunnelmenschen formiert hat. Eine Verschwörung, ein Aufstand in Augen der Obrigkeit, die Wind davon bekommt.

Prügel für das Ich

Stattfinden wird dieses Konzert - als ein fast an der Grenze zum sozialutopischen Kitsch befindlicher Höhepunkt nicht nur im Leben all der staunenden Zuhörer. Fällt es doch zusammen mit dem Wendepunkt der Geschichte. Meissen wird von Taliskers Schlägern aus seinem Ich herausgeprügelt; eine Art didaktischer Gestaltwandel, in dessen Folge Meissen sich in der Rolle eines Outlaws wiederfindet und Talisker endlich der Held seiner eigenen Geschichte wird. Nun schlüpft er in das erzählende Ich unter dem falschen Namen Meissen, um sich an der Schlechtigkeit seiner eigenen Spielernatur zu ergötzen.

Das Ende verhallt so schnell wie der Schuss, der dort fällt, und man kann nach Sinn und Gehalt eines solchen literarischen Spiels fragen.

Doch trotz der abgehobenen, teils überladenen Melange aus imaginären Winkelzügen, Formenzitaten und gesellschaftskritischer Faktenhuberei: Ein Genuss, der Augen und Ohren öffnet, ist schon das herbstsche Sightseeing-Programm "In New York". Damit schließt er im im besten Sinn an seine Anfänge "Sizilische Reisen" an.

Claudia Kramatschek

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