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Kultur: In Sprachlosigkeit ertrunken

Der Jugendclub des HOT feierte mit „Die Nächte so lang“ Premiere

Am liebsten hätte man am Freitagabend selbst am Havelufer gesessen, um die laue Sommernacht mit ein paar Freunden zu genießen. Stattdessen landete man mitten in einer Trauerfeier in der Reithalle A. Die stand am Anfang der collageartigen Inszenierung „Die Nächte so lang“, die die Jugendlichen des HOT-Jugendclubs unter Leitung von Maximilian Ulrich und Manon Haase entwickelt haben und an diesem Abend zur Premiere brachten.

Im Mittelpunkt der Szenenfolge stehen B. und F. , zwei aus einer Gruppe Potsdamer Jugendlicher, die oft gemeinsam an einer Tankstelle in der Berliner Straße oder im Park Sanssouci „abgehangen“ haben. Dass sie dabei glücklich waren und das Leben genossen, wird in der Collage zumeist nur behauptet. Hauptsächlich werden die Zuschauer Ohren- und Augenzeugen von viel Frust und Lebensüberdruss. „Wie geht’s deiner Mutter?“, fragt ein Mädchen einen Jungen, und seine Reaktion ist nur „Scheiße!“. Zwar ist es anrührend, wenn er weitererzählt, warum, und auch, wie er sich aufopferungsvoll um sie kümmert, aber die vaterlose Gesellschaft macht nicht nur ihm zu schaffen. Perspektivlose Eltern, zerstörte Paarbeziehungen, von der Gesellschaft abgehängte Jugendliche – entweder bekommen sie gar keinen Job oder sitzen an der Supermarktkasse – das Panorama, das die Inszenierung malt, ist grau und dramaturgisch einigermaßen eindimensional. Zwar gibt es auch Hoffnung, F. verliebt sich in B., aber die wird ganz schnell erstickt von Unverbindlichkeit und Sprachlosigkeit. In diesen wenigen spielerischen Momenten ist die Inszenierung pointiert und zeigt, wie junge Menschen heute „ticken“. Ansonsten ist der Grundton Moll, und Schmerz wird oft mit Bier runtergespült. Schade, da hätte man sich mehr Zwischentöne, die eine oder andere Frechheit, ein wenig Humor oder ein paar Zukunftsvisionen gewünscht.

Als es B. zu Hause schließlich gar nicht mehr aushält, landet er bei Mark, einem stadtbekannten Drogendealer. Und auch wenn einige aus der Gruppe noch versuchen, ihn dort loszueisen, kommt, was kommen muss. B. stirbt an einer Überdosis. Doch selbst im Angesicht seines Todes hat niemand den Mut, die Dinge wirklich beim Namen zu nennen, ertrinken alle – allen voran die Eltern - in Sprachlosigkeit. Das zu zeigen, ist die eigentliche Leistung der einstündigen Inszenierung, die ansonsten dadurch spannend ist, dass die gesamte Gruppe die ganze Zeit auf der Bühne präsent ist und aus ihr Einzelne ständig wechselnd in die verschiedenen Rollen schlüpfen, um das Geschehene quasi aus der Erinnerung rekonstruieren.

Dabei schaffen die Akteure mit einer Unmenge leerer Bierkästen und wenigen Videosequenzen (Bühne: Sabine Kassebaum) ganz unterschiedliche Orte und mit den dunkel getönten Erinnerungsbildern und passender Tonspur eine dichte schwermütige Atmosphäre, die manchmal poetisch überhöht und oft ziemlich weltentrückt wirkt. Die vorwiegend jugendlichen Zuschauer dankten den acht Spielern am Ende mit herzlichem Applaus und haben sich dann hoffentlich selbst an den Tiefen See gesetzt oder mit den Jugendclubbern etwas heiterer die Premiere gefeiert. Astrid Priebs-Tröger

Nächste Vorstellungen am 5. und 6. Juli jeweils um 19.30 Uhr in der Reithalle A

Astrid Priebs-Tröger

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