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Kultur: Indien tanzt

Schriftsteller, Essayist, Politiker: Shashi Tharoor stellt in Frankfurt seinen Roman „Bollywood“ vor

Schreiben oder Politik? Wer die Homepage von Shashi Tharoor besucht, muss sich entscheiden. Im linken Feld von www.shashitharoor.com ist das Cover eines der Bücher von Tharoor zu sehen – das Bild führt zu Tharoors literarischer Tätigkeit als Schriftsteller, Essayist und Kritiker. Im Feld daneben findet sich ein Foto des UN-Gebäudes in New York, dies ist Tharoors Arbeitsplatz. Hier begegnet man dem politischen Menschen Tharoor, einem Mann, der einst die Friedensmission im ehemaligen Jugoslawien koordinierte und später Sekretär Kofi Annans wurde, jenem Mann auch, der für das Amt des UN-Generalsekretärs kandidierte und den Vortritt nun seinem Konkurrenten lässt, dem koreanischen Außenminister Ban Ki Moon.

Tharoor fühlt sich in beiden Metiers heimisch. Sowohl seine Arbeit in New York als auch seine schriftstellerische Tätigkeit hätten mit Politik zu tun, sagt er, als er in Berlin als Gast des Literaturfestivals zu Besuch ist. Das eine direkt, das andere eben in der literarischen Verarbeitung. Als Autor von neun Büchern und unzähligen Essays hat der 50 Jahre alte Tharoor ein Lebensthema: Indien in all seinen Facetten. Sein jüngster, auf Deutsch erschienener Roman „Bollywood“ spielt in der Welt des indischen Films, dem wichtigsten Medium in einem Land, das eine Analphabetenrate von etwa 40 Prozent hat. Tharoor entwickelt einen deftigen Unterhaltungsroman über Ashok Banjara, Sohn eines Ministers und Schauspieler, den es auf abenteuerliche Weise in eine noch viel abenteuerlichere Filmproduktion und schließlich in die Politik verschlägt.

„Bollywood“ als Roman hat alles, was auch einen guten Bollywood-Film ausmacht: jede Menge Liebe und Action, dazwischen wird getanzt. Die Geschichte des Schauspielers und die Geschichte der Filme, in denen er mitwirkt, fließen ineinander, irgendwann weiß man nicht mehr, was Leben ist und was Kino. Ein einfacher Kunstgriff, der das Phänomen auf den Punkt bringt: Bollywood entspringt der indischen Kultur in dem Maße, wie die Filmindustrie auf diese Kultur zurückwirkt. Man kann das etwa daran sehen, wie die indischen Hochzeitszeremonien durch Bollywood beeinflusst worden sind. Das auch in den deutschen Kinos, in den hiesigen Musikcharts und als Musical-Stoff immer beliebtere Bollywood ist bei Tharoor nicht zuletzt eine Metapher für Indien als Ganzes, für die Werte, die das Kino dort vermittelt, für die Verflechtung von Politik und Wirtschaft.

Die „indische Kultur der Vielfalt“, wie Tharoor sagt, ist es auch, die ihn immer wieder dazu bringt, sich mit dem Subkontinent zu beschäftigen. „Indien ist, was Fragen der Zivilisation betrifft, eines der wichtigsten Länder der Welt. Es ist ein Land des Pluralismus, in dem jede Religion, jede Ideologie blühen und ihren Platz an der Sonne haben kann. Das ist es, wofür Indien seit 3000 Jahren steht“, sagt Tharoor. Die dunklen Seiten der indischen Partikularismen wird der Autor ebenfalls nicht müde zu beschreiben. In seinem Buch „Eine kleine Geschichte Indiens“ geht er hart mit jenen Hindu-Fundamentalisten ins Gericht, die seit den neunziger Jahren für eine anhaltende Welle der Gewalt sorgen und damit für die Radikalisierung des Konflikts zwischen Hindus und Muslimen.

Indien und die Religion, ein ewiges Thema. Nicht nur zwischen Hindus und Muslimen, auch innerhalb des Hinduismus verlaufen die Gräben. Das Kastensystem hat, wie Tharoor meint, „nicht nur überlebt und gedeiht prächtig, sondern es ist auch zu einem politischen Faktor geworden“. Kleine Parteien, die sich als Vertreter einer bestimmten Religionsgemeinschaft, Kaste oder Unterkaste ausgeben, bekommen Sitze im Parlament, das politische System droht zu zersplittern.

Auch deswegen hat sich Tharoor dem Leben des ersten indischen Premierministers gewidmet, der in der Wahrnehmung vieler allerdings an zweiter Stelle kommt: Jawaharlal Nehru, der an der Seite Gandhis für die Unabhängigkeit Indiens kämpfte. Tharoor würdigt Nehru in seiner Biografie „Die Erfindung Indiens. Das Leben des Pandit Nehru“ als jenen Staatsmann, „dessen kompromisslos säkularistische Haltung“ den Grundstein für eine moderne Nation gelegt hat. Darüber hinaus stand Nehru „für ein pluralistisches Land, das niemals auf ein Indien der Hindus reduziert werden würde“. Eine Vision, an der man sich auch heute noch orientieren kann.

23 Amtssprachen und 22 000 Dialekte gibt es auf dem Subkontinent. Tharoor schreibt auf Englisch , wie viele Schriftsteller seiner Generation. Damit macht man sich in Indien als Autor allerdings nicht nur Freunde. Englisch gilt noch immer als die Sprache des Kolonialismus, mag es auch längst das Idiom des sozialen Aufstiegs geworden sein. Selbst in winzigsten, abgelegensten Dörfern gibt es mittlerweile englische Schulen.

Shashi Tharoor wurde 1956 in London als Sohn eines Verlagsmanagers geboren, seine Biografie liest sich wie eine indische Vorzeigekarriere. Studium in Bombay, Kalkutta und Neu-Delhi, dann in den Vereinigten Staaten, wo er mit 22 Jahren promovierte. Die Familie wünschte, dass der Sohn in den indischen Staatsdienst eintritt, er selbst wollte Außenminister werden. Aber die Politik machte seinen Plänen einen Strich durch die Rechnung. Es war die Zeit der Notstandsregierung von Indira Gandhi, die Zeit der Zensur und Repressalien gegen den politischen Gegner. Eine Zeit, an die sich vor allem jene Inder gerne erinnern, die mit Demokratie „Ineffizienz, Korruption und Mittelmäßigkeit“ verbinden, wie es in „Die Erfindung Indiens“ heißt. Und das sind vor allem in der Mittelschicht bis heute erstaunlich viele. Einem solchen System wollte Tharoor nicht dienen. 1978 bewarb er sich beim UN-Flüchtlingshilfswerk und befand sich als Leiter des UNHCR-Büros in Singapur plötzlich mitten im Weltgeschehen.

Der Vietnamkrieg war vorbei, und auf den Meeren trieben tausende boat people. Das sei der Punkt gewesen, als er bemerkte, was Politik auch sein kann: Leben retten. In den neunziger Jahren wurde Tharoor Sekretär von Kofi Annan, seit 2002 leitet er bei den Vereinten Nationen die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Seine Chancen auf das Amt des Generalsekretärs sah er zunächst als hoch an, denn Asien ist an der Reihe beim Posten des UN-Generalsekretärs. In zwei Probeabstimmungen erhielt er jeweils zehn Stimmen, nach der vierten Testwahl in der Nacht zum Dienstag gratulierte er jedoch dem Favoriten Ban Ki Moon.

Auf die UN werden in den nächsten Jahren vor allem „Probleme ohne Pass“ zukommen, sagt Tharoor. Terrorismus, Klimawandel, Migration, globale Krankheiten. Was den Apparat der Organisation betrifft, spricht der Schriftsteller gerne von „Kontinuität und Wandel“, frei nach dem Gandhi-Satz, dass man selbst die Veränderung sein müsse, die man sich für die Welt wünsche. Die UN müsse reformiert, Abläufe müssten flexibler gestaltet, die finanzielle Ausstattung verbessert werden. Weil sie allen Unkenrufen zum Trotz nach wie vor die Organisation sei, die globale Probleme am ehesten lösen kann. „UN steht für unersetzlich“ – Tharoor wird nicht müde, das zu betonen.

Und was hat mehr Einfluss auf die Welt: das Schreiben oder das Politikmachen? „Kurzfristig hat sicher die Politik mehr Einfluss. Aber es ist das Schreiben, das länger überdauert.“ Auf der Frankfurter Buchmesse liest Shashi Tharoor aus „Bollywood“ und diskutiert mit Ilja Trojanow über Mythos und Moderne seines Landes.

Shashi Tharoor: Bollywood. Roman. 413 Seiten, 22,80 €.

Shashi Tharoor: Die Erfindung Indiens. Das Leben des Pandit Nehru. 312 Seiten, 19,80 €. Beide aus dem Englischen von Peter Knecht. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig, 2006.

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