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Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow.

© Lieblingslied Records

Indierock: Ton, Steine, Erben

„Wir werden immer weitergehen“: Ein Film und ein Buch über das Altern im deutschen Indierock zwischen Hamburg und Berlin

Es war alles wie immer, als Stereo Total im Sommer ihr Album „Cactus versus Bretzel“ veröffentlichten: Munter rumpelte ihr Lo-Fi-Pop mit deutschen und französischen Texten vor sich hin. Die Platte hätte genau so auch von 1997 oder 2002 stammen können. Das Berliner Duo macht einfach dort weiter, wo es angefangen hat und passt insofern perfekt zur Dokumentation „Wir werden immer weitergehen“, die an diesem Dienstag das In-Edit-Musikfilmfestival eröffnet und am Donnerstag ins Kino kommt.

Die Filmemacher George Lindt und Ingolf Rech porträtieren darin ein Jahrzehnt Indie-Musik in Berlin und Hamburg. Neben Stereo Total haben sie eine Fülle weiterer prägender Musiker, Labelmacher, Plattenverkäufer und Szenefiguren je zweimal interviewt – zu Beginn der nuller Jahre und dann wieder heute. Im ersten Teil plaudern Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun über ihre politische Motivation und das Konzept des Pudel Clubs, Alfred Hilsberg berichtet von den Anfängen seines legendären ZickZack-Labels, und Christiane Rösinger erzählt von ihrer damaligen Band Britta.

Der Umbruch der Branche durch die digitale Revolution hat gerade erst begonnen. Noch laufen die Albumverkäufe einigermaßen, ein gewisser Optimismus prägt die Statements im ersten, deutlich längeren Filmteil. Leider scheinen sich die Regisseure in ihrem Material etwas zu verirren. So halten sie sich zu lange bei Randfiguren wie einem CD-Hersteller oder einem Gitarrenverkäufer auf und vernachlässigen darüber die Frage, wie das „Weitergehen“ der Bands konkret aussah. Viel zu hektisch werden die Stationen im zweiten Teil dann erneut abgeklappert.

Einige Trends werden dennoch deutlich. So haben sich viele Musiker neue Erwerbsquellen gesucht: Rocko Schamoni, Christiane Rösinger und Sterne-Sänger Frank Spilker schreiben jetzt auch Bücher, Schorsch Kamerun hat ebenso wie die Band Kante den Weg zum Theater gefunden. Eine Ausnahme sind Tocotronic, die es mit ihrem letzten Album „Schall & Wahn“ sogar auf den ersten Platz der Charts geschafft haben. Sänger Dirk von Lowtzow bezeichnet das als „absurde Situation“ und hat dafür eine nüchterne Erklärung: Um an die Spitze zu gelangen, müsse man heute eben viel weniger Platten verkaufen als früher.

Ausführlicher und plausibler geht das zeitgleich erscheinende gleichnamige Buch zum Film den Fragen des Weitermachens und des Alterns im Indierock nach. In kurzen, teils sehr persönlichen Aufsätzen werfen etwa Dirk Knipphals, Klaus Walter, Susanne Messmer oder Kirsten Küppers einen Blick auf die Szenen in Berlin beziehungsweise Hamburg. Teilweise tauchen dieselben – meist männlichen – Protagonisten wie im Film auf, doch geht etwa Till Briegleb in seinem Text „Hier war Niemandsland“ noch vielen weiteren Spuren nach und zeigt Rollenmodelle auf. Da sind etwa die „sanften Aussteiger“ wie Ex- Palais-Schaumburg-Drummer Ralf Hertwig. Er hat die Branche gewechselt und schreibt heute Drehbücher für Donna- Leon- und Bella-Block-Krimis. Andere sind „künstlerische Dienstleister“ geworden, betreiben Studios, Musikverlage oder Galerien. Und dann gibt es noch die Gruppe, die „Hobby mit Berufsanschein und Sturheit“ verbindet. Zu ihnen kann man Andreas Dorau zählen, der gerade erst im Berliner Kater Holzig zu erleben war. Er hörte sich an wie immer und sah dabei recht zufrieden aus. Nadine Lange

Buch- & Filmpremiere: Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130, 30.10., 20.30 Uhr

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