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Kultur: Indisch für Anfänger

Und dieser Film hat in Venedig letztes Jahr den Goldenen Löwen gewonnen. Eine indische Oberschichtenkomödie.

Und dieser Film hat in Venedig letztes Jahr den Goldenen Löwen gewonnen. Eine indische Oberschichtenkomödie. Ein Stück wie aus Bollywood. Bollywood ist die große indische Schwester der Parallelinstitution in Amerika. Indien ist eine gewaltige Filmnation. Nirgends hat das Kino mehr Einfluss als in Indien. Nur kennt kein Mensch einen indischen Film. Jedenfalls bis Mira Nair kam. Das erste Mal kam sie 1988 und hatte einen Film über Straßenkinder im Rotlichtbezirk von Bombay gedreht. Das zweite Mal kam sie 1996 in unsere Kinos mit "Kama Sutra". Das war ein Film über Kama Sutra. Und "Monsoon Wedding" ist ein Film übers Heiraten auf indisch.

Das ist so bemerkenswert, weil noch nie jemand einen indischen Film übers Heiraten auf indisch gesehen hat. Und noch nie einen indischen Oberschichtenfilm. Wenn also jene Filme Preise kriegen sollen, die etwas zeigen, was man so noch nicht gesehen hat, dann ist das mit dem Löwen für "Monsoon Wedding" schon in Ordnung.

Also die indische Oberschicht. Sie ist vor allem reich, sehr reich. Aber irgendwie meint man, sie schon lange zu kennen. Lalit und Pimmi. Und dann ist alles klar. Lalit und Pimmi sind richtige 68er-Eltern. Von einer grenzenlosen Nachsicht gegenüber ihren Kindern. So weich, so liebevoll. Typisch antiautoritäre Erziehung. Die Tochter Aditi hat gerade eine Affäre mit einem Medienmogul, das ist eine Art Leo Kirch aus Delhi, nur etwas jünger und reicher. Aber genauso schwer zu fassen, jedenfalls für Aditi und ihre Liebe. Und Lalits und Pimmis Sohn erst. Die Welt des Sohnes von Lalit und Pimmi ist Tanzen und Kochen. Und Fernsehen. Man stellt sich den Reichtum dieser Familie vor und dazu dieses verzogene 68-er-Eltern-Kind und möchte verzweifeln. In einem letzten Anflug von traditionaler Strenge schlägt Lalit ein Internat als Erziehungsmaßnahme vor, da empören sich Mutter und Sohn gemeinsam über so viel unerträglichen patriarchalen Dirigismus. Man sieht, Indien ist ungefähr wie zu Hause, nur wärmer. Nur: Eine europäische Oberschichtenhochzeit ist ein Bauernball gegen eine indische Oberschichtenhochzeit. Mira Nair zeigt die letzten drei Tage der Hochzeitsvorbereitungen.

Denn eine Abweichung gibt es doch noch von Oberschicht hier zu Oberschicht dort. Pimmi und Lalit sind gerade dabei, ihre Tochter, die den Medienmogul liebt, mit einem Computer-Inder aus Amerika zu verheiraten. Nachdem man diesen Computer-Inder aus Amerika gesehen hat, ist klar, dass Rüttgers Parole "Kinder statt Inder" völliger Unsinn war. Jemand wie Aditi künftiger Bräutigam hat gewiss noch nie im Traum an Deutschland gedacht. Dass Aditi den Computer-Inder aus Amerika auch noch nie gesehen hat, bevor sie ihn nun heiraten soll - darin könnte man eine gewisse kulturelle Differenz erblicken. Aber nehmen wir mal die Gründe. Wie Aditi mit ihrer besten Freundin im Auto sitzt und darüber nachdenkt, dass es jetzt Zeit wird, ihr Leben zu ordnen, einen radikalen Strich zu ziehen. Gibt es einen radikaleren Strich als Amerika? Deshalb will sie ja dorthin. Weil es so weit weg ist vom Medienmogul. Weil sie den dann nie wieder sehen muss. Der Bräutigam aus Amerika ist eine Finte des verletzten postpubertären Gemüts eines selbstbewussten indischen Mädchens.

Die Inder haben "Monsoon Wedding" gemocht. Mit diesem Film ist die Inderin Mira Nair in Indien angekommen. Das ist auch kein Wunder, denn in "Monsoon Wedding" sind alle Zutaten des klassischen, im Ausland so gut wie unverkäuflichen Bollywood-Films enthalten. Eine von den Eltern arrangierte Hochzeit in der Mitte, viel Musik drumherum und sogar die Braut sieht aus wie ein weiblicher indischer Filmstar: heller als die anderen, braunes Haar, grüne Augen. Aber Mira Nair bringt das nicht in Verlegenheit. Sie hat verfilmt, was sie kennt. Sogar die Musik sei autobiografisch. Zu hören ist, was die Regisseurin mag.

Wenn "Monsoon Wedding" in Indien erfolgreich war, so spricht das für eine bemerkenswerte Toleranz der Inder, denn unklassischer, subversiver könnte die Pointe des scheinbaren Triumphs der Tradition nicht sein. Wodurch kommt sich ein Paar, das sich zuvor noch nie sah, näher? Am besten doch durch das gegenseitige Geständnis seiner erotischen Vorleben, seiner früheren Lieben. Das schafft so eine schöne Intimität und Vertrautheit. Die westliche Welt unterschätzt dramatisch die Vorzüge, die darin liegen, wenn die Eltern die Männer aussuchen. Manchmal ist es der Richtige.

"Monsoon Wedding" ist, eigentlich, eine Komödie. Weil alle Hochzeiten Komödien sind, was die Umstände ihrer Vorbereitungen betrifft. Die humoristischen Effekte sind dabei so fraglich wie bei allen Hochzeit-auf-italienisch-oder-norwegisch-Filmen. Eine besondere Rolle fällt dem Hochzeitsausstatter zu, einem besonders nervigen, schlitzohrigen Typus, der nur schwer erträglich wäre, würde sich dieser überzeugte Junggeselle, dem noch nie ein Mädchen gefiel, nicht rettungslos in die Haushaltshilfe von Pimmi und Lalit verlieben. Wobei sich der emanzipatorische Effekt aller Unterschichten-Lieben einstellt: Nur die Arbeiterklasse entscheidet frei, wen sie heiratet, die Oberschicht wird verheiratet.

Dass Mira Nair, um den Themenkreis westlicher Topoi zu erschöpfen, auch noch das Thema Kindesmissbrauch ins Spiel bringt - wir sehen ein bisschen Thomas Vinterbergs "Das Fest" auf einer indischen Hochzeit - mag ein wenig verstimmen.

Nein, ein Bollywood-Film ist "Monsoon Wedding" nicht, er sieht nur so aus. Insofern ist der Film vollendete indische Postmoderne. Wo Tradition draufsteht, ist etwas ganz anderes drin. Nach indischen Maßstäben ist "Monsoon Wedding" ein Independent-Film. Nur dreißig Tage Drehzeit. Und nur ein Beleuchter pro Scheinwerfer. Bollywood hat immer zwei Beleuchter pro Scheinwerfer.

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