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Konzentrierte Zuhörer in Klagenfurt.

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Ingeborg-Bachmann-Wettlesen: Mehr Bimbam als haltbare Sätze

Es ist ja doch stets aufs Neue eine aufregend zwiespältige Sache mit dem Ingeborg-Bachmann-Wettlesen. So auch beim 36. Mal. Eine Zusammenfassung des ersten Tages in Klagenfurt.

Einerseits gibt es im Literaturbetrieb kaum etwas Schöneres und Interessanteres, als so kurz hintereinander so viele unterschiedliche literarische Texte vorgetragen und dann noch von einer fachkundigen Jury intensiv diskutiert zu bekommen. Andererseits ist oft gar nicht so viel Bemerkenswertes dabei, hat man den Eindruck, die Jury beschäftigt sich zu oft zu lange mit Texten, die das gar nicht wert sind.

Zu dieser Zwiespältigkeit passt in diesem Jahr, dass die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger am Mittwochabend bei der Eröffnung zwar eine schöne, sich intensiv mit der Namensgeberin des Wettbewerbs und vor allem ihrem Satz „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ auseinandersetzende Rede hielt, eine Rede, der sie den Titel: „Der haltbare Satz im Bimbam der Worte“ gegeben hatte. Nur mochte Krüger mit ihrer Bachmann-Exegese kaum einen Bogen zur Gegenwart und den Vorzügen und Eigenheiten des Wettbewerbs schlagen. Zumindest einen Grass-Gedichte-Verweis rang sie sich ab - und den Hinweis, Sinn und Zweck des Bachmann-Wettbewerbs sei es doch wohl, „das Bimbam mit dem haltbaren Satz zu widerlegen“.

Vor dem Hintergrund eines solchen hehren Satzes kann man am Donnerstag, nach den ersten fünf Lesungen, nur konstatieren: In die Geschichte des Wettbewerbs wird dieser erste Tag des 36. Bachmann-Preislesens nicht eingehen. Ein furioser Auftakt war das nicht. Immerhin gab es gleich zu Anfang einen Text, der zwar kein Siegertext ist, aber womöglich für einen der anderen vier Preise in Frage kommt: Stefan Mosters Erzählung „Der Hund von Saloniki“. Darin erinnert sich der Erzähler bei einem Schiffsausflug mit seiner fast 17-jährigen Tochter am Goldenen Horn vor Istanbul daran, wie er dreißig Jahre zuvor im gleichen Alter eine Reise nach Griechenland unternahm, dabei von seiner mitreisenden Freundin verlassen wird und sich am Ende an einem Strand wiederfindet, wo ihn ein Hund anfällt. Nun behauptet er, diese Geschichte „verloren“ zu haben, was erkennbar nicht stimmt, da der Erzähler sich, auf dem Schiff vor sich hin dösend, ihrer wieder vergegenwärtigt. Stefan Moster betreibt in seiner Erzählung ein schönes Vexierspiel mit der Erinnerung, dem Vergessen und der Vergänglichkeit. Wenn gleich er das sprachlich und kompositorisch vielleicht eine Spur zu bedächtig, zu ruhig und auch zu konventionell tut, inklusive einiger typischer 80er-Jahre- Klischees wie den „lila Latzhosen“ oder Marihuana rauchenden und R 4 fahrenden Freaks.     

Der Rest dagegen fiel erkennbar ab: die symbolisch überladende, voller Wortneuschöpfungen steckende, aber durchaus dichte und reizvolle Rummelplatzgeschichte im kärtnerisch-slowenischen Grenzgebiet des in Klagenfurt geborenen Autors Hugo Ramnek. Erst recht aber der unbedarfte, surreale, voller pseudointellektueller Floskeln steckende Text der erst 23 Jahre alten Schweizerin Mirjam Richner. Dessen ersten zwei Sätze sagen allein eine Menge über seine Qualität aus: „Beim Durchkämmen meines Gehirns bleiben Kannibalen, Irrlichter und bettlägerige Geheimnisse hängen. Mit spitzen Fingern klaube ich sie zwischen den groben Zinken des Denkens hervor und betrachte sie im Sonnenlicht, welches ihnen das Gespenstische raubt und stattdessen ein goldenes Röckchen überzieht.“ Will man davon wirklich mehr? Mehr Gedankenirrlichter? Gedankenkannibalen? Bettlägerige Geheimnisse? Nein. Da kann es für die gelernte Lehrerin Richner nur heißen: Setzen und weiter fleißig üben. Auch der Romanauszug „Der Einsteiger“ von Andreas Stichmann wollte keine Begeisterungsstürme entfachen. Solide, aber ohne Überraschung und schnell durchschaubar erzählt Stichmann von einem jungen Mann, der sich als Einbrecher in ein fremdes Haus, in eine bürgerliche Familie imaginiert, selbst aber auf der Straße und in abbruchreifen Häusern lebt.

Der wirre, nervige, schwer zugängliche Text der 53-jährigen Berliner Musiktherapeutin Sabine Hassinger sorgte schließlich für den zweiten Tiefpunkt dieses Tages. Die Jury zeigte sich danach allerdings überraschend uneinig: „Sprachexperiment“ sagten vor allem die Österreicher Daniela Strigl und Paul Jandl, gar „ein schöner, poetischer Text“, so Jandl. Was Hubert Winkels überhaupt nicht fand. Corina Carduff wiederum konstatierte: „kein Text zum Lesen, sondern zum Durcharbeiten“. Und fragte: „Wie zeitgemäß ist solches Schreiben?“. Auch Burkhard Spinnen hatte seine Probleme. Er bedankte sich bei Hassinger jedoch dafür, sich der Leichtigkeit, der schnellen Zugänglichkeit, der schnellen Konsumierbarkeit zu verweigern - ganz im Sinne seiner kleinen kulturpessimistischen Einleitung vom Vortag, in der er Klagenfurt im Meer der Finanzmärkte (die angeblich etwas Göttergleiches haben) als eine Insel der Seligen, der Hochkultur, des wahrhaft kulturellen Diskurses dargestellt hatte (Ach, würden doch die vielen "Kronenzeitung" und bunte Blätter lesenden Besucher des Wörthersee-Schwimmbads Spinnens Worte einmal vernehmen! Sie würden ins ORF-Theater, wo die Lesungen abgehalten werden, nur so strömen!).

Nur will ein Durchbeißen, ein Durcharbeiten, ein drittes, viertes Lesen eines solchen Textes auch belohnt werden: mit Erkenntnis. Oder wenigstens einem Vergnügen an der sprachlichen Entschlüsselung. Hassingers Sätze bieten das aber nicht, Sätze wie „Der Atem fehlt wie im Traum“ oder „Der Hochdruck steigt in den Tod“. Oder:  „Die Mitteilung allgegenwärtiger Beunruhigungen oder kleiner Katastrophen vermag nicht annähernd so viel zu bewirken, bei Berta zum Beispiel, wie die radikale Wiedererzählung ihrer gespeicherten Wirklichkeiten außerhalb Bertas bewusst erlebten Zeit, geeignet für eine ungeschützte Einfühlung in die Überhitzung in die Zerstörung, ins Unabwendbare, manchmal als Traum vom Glück verkleidet.“ Hm, hm, hm. Nein, dieser erste Tag in Klagenfurt, er war noch nicht die Erfüllung und bot mehr Bimbam als haltbare Sätze. 

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