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Ingmar Bergman: Gestrandet auf Fårö

Schroff und kalt und mitten im Nichts: Die Insel Fårö konnte nur Ingmar Bergman gefallen. Zwei Ausstellungen zeigen seine letzte Zuflucht.

Das war’s! Ingmar Bergman hatte seine Trauminsel gefunden: karg und rau und stürmisch, ganz weit weg von der Welt. Andere wären schreiend weggelaufen, Bergman fühlte sich geborgen. Die Landschaft entsprach, so beschrieb er es später in seiner Autobiografie, seinen „innersten Vorstellungen von Formen, Proportionen, Farben, Horizonten, Lauten, Schweigen, Licht und Reflexen“. Er war angekommen. Fårö wurde Bergman-Land.

Eigentlich hatte er seinen Film „Wie in einem Spiegel“ ja auf den Orkney-Inseln drehen wollen. Aber Schottland war seinen Geldgebern zu teuer. Auf der Suche nach Ersatz stieß er auf die kleine Insel nordöstlich von Gotland, eine Tagesreise von Stockholm entfernt. Fårö wurde Schauplatz seiner Filme, seines Lebens. Mit Liv Ullmann, in die er sich bei den Dreharbeiten zu „Persona“ auf Fårö verliebte, baute er in den 60er Jahren sein Haus am Meer.

Stephen Shore hat es fotografiert. Zwei Tage verbrachte der amerikanische Fotograf auf der Insel, die Zeitschrift „W“ hatte ihn dorthin geschickt. 2009 war das, zwei Jahre, nachdem der Filmemacher 89-jährig gestorben war. Weil der Regisseur Shores Fotos gekannt und gemocht hatte, gab Bergmans (und Liv Ullmanns) Tochter Linn dem Fotografen die Genehmigung.

Die Bilder sind jetzt zum ersten Mal in Deutschland ausgestellt, in der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (Dffb). Dffb-Direktor Jan Schütte hat in den Fotos, wie er sagt, „eine seltsame Magie“ entdeckt. Es gefällt ihm, dass es Shore „gelingt, den Blick auf das Intime zu wagen und gleichzeitig respektvoll Abstand zu halten“.

Stephen Shore fand den langgestreckten Holzbungalow „überraschend unspektakulär, normaler, als ich erwartet hatte“. Auch für den Betrachter sind einige der Fotos ein kleiner Schock: Zwischen diesen Schleiflackmöbeln soll „der beste Filmregisseur aller Zeiten“ gelebt haben, zu dem ihn die Kollegen 1997 in Cannes kürten? Diese Häkeldecke soll der dreifache Oscarpreisträger, der Mann vieler Frauen, über sein Bett gebreitet haben, in dem er zuletzt alleine lag? Auf Shores Foto erkennt man, wie sich das einsame Bettzeug unter der Ehebett-Überdecke abzeichnet. Ein paar Jahre vor Bergman war seine Frau Ingrid von Rosen gestorben, mit der er fast ein Vierteljahrhundert verheiratet war und die – im Unterschied zu ihm – so fest auf dem Boden stand. Noch im hohen Alter kam sich Bergman wie ein verlorenes Kind vor.

„Ein einsamer Mann in einem 54 Meter langen Haus“ – das ist die Geschichte, die der Krimiautor Henning Mankell erzählen will, in einem Film, für den er gerade das Drehbuch schreibt. Der einsame Mann ist sein Schwiegervater: Ingmar Bergman. Der wusste genau, wie lang sein flaches Holzhaus war, nachts schritt er die 54 Meter oft ab. Auf und ab. Denn dann besuchten ihn die Dämonen, von denen er der Regisseurin Marie Nyreröd in dem Dokumentarfilm „Ingmar Bergman – Fårö“ erzählt.

Zwischen vier und fünf Uhr schlug „die Stunde des Wolfs“. Für Nyreröd schrieb der Pastorensohn Bergman eine ganze Liste seiner Dämonen auf einen Zettel, damit er auch ja keinen vergaß. Es waren viele: der Dämon der Angst, der Dämon der Wut, der Dämon der Pedanterie … Wenn sie ihn aufweckten in der Nacht, kritzelte er seine Gedanken oft direkt auf den Nachttisch statt auf ein Blatt Papier. Auch davon hat Stephen Shore ein Bild gemacht.

Tagsüber hatte Bergman sich ein streng ritualisiertes Programm zugelegt, als Rüstung gegen die Dämonen, wie er in Nyreröds Dokumentarfilm erzählt. Nach dem Frühstück erst einmal eine Dreiviertelstunde spazieren gehen; die quälenden Geister, so seine Erfahrung, mögen keine frische Luft, „die haben es am liebsten, wenn du im Bett bleibst mit kalten Füßen“. Dann drei Stunden schreiben, Mittagessen, und nachmittags um drei ins Kino gehen. Der Filmemacher hatte sein eigenes, eingerichtet in der früheren Scheune, in der er auch „Szenen einer Ehe“ drehte.

Fårö wurde immer mehr zum Bergman-Land: Im Laufe der Jahre kaufte der Regisseur ständig neue Ländereien und Gebäude hinzu, einige seiner neun Kinder verbrachten auch mal ihre Ferien hier. Allerdings nicht unter einem Dach mit dem Vater.

Bergman selbst hat zwei Dokumentarfilme über die Insel gedreht, 1969 und 1979. Die 500 Bewohner von Fårö, erzählt Nils Warnecke, Kurator einer Ausstellung über Bergman, die zur Zeit im Museum für Film und Fernsehen zu sehen ist (im selben Haus wie Shores Fotos), beschützten ihren Bergman. Sie verrieten den Fans nicht, hinter welchen Bäumen und Zäunen sich der berühmte Inselbewohner versteckte.

Arbeit und Leben, bei Bergman ist das nicht zu trennen. Mit vielen seiner Schauspielerinnen war er liiert, immer wieder findet sich Autobiografisches in seinen Filmen. „Von Lüge und Wahrheit“ heißt die Ausstellung der Deutschen Kinemathek, und es ist aufschlussreich, sie neben den Nahaufnahmen von Stephen Shore anzusehen. Da werden verschiedene Wahrheiten präsentiert. Die Fotos im Filmmuseum zeigen ein wohnlicheres Haus, mit Eames-Chair zum bequemen Lesen in der gigantischen Bibliothek, und mit einem riesigen Kamin, den Bergman sich von seinem Architekten einbauen ließ, mit integriertem Liegeplatz und Blick aufs Meer, dem er so gerne lauschte. So wie der alten Standuhr. Die tickte in seinem Haus so intensiv wie in vielen seiner Filme. Ein großelterliches Erbstück, das, so Warnecke, „mit Familie und Geschichte aufgeladen ist“.

Mit Menschen spreche er manchmal tagelang kein Wort, erzählte Bergman fast stolz. Aber häufig, verrät Henning Mankell, saß eine Gruppe Kaninchen vor dem Haus und lauschte den Mahlerschen Sinfonien, die Bergman drinnen laufen ließ.

2004, damit endet Marie Nyreröds Dokumentation, die im Rahmen eines Bergman-Symposiums der Deutschen Kinemathek am 28. April zu sehen sein wird, räumte der Filmemacher seine Wohnung in Stockholm aus und zog sich ganz nach Fårö zurück, um die Insel nie wieder zu verlassen. Auf dem Dorffriedhof wurde er beerdigt. Im Sommer findet – wie schon zu Lebzeiten des Regisseurs – eine Kulturwoche zu seinen Ehren statt.

Als Mensch war Ingmar Bergman so radikal wie als Künstler. In seinem Testament verfügte er, dass all seine Fåröer Ländereien und Häuser samt Inhalt auf einer Auktion versteigert werden sollten, die Erlöse möge man seinen Nachkommen geben, jenen neun Kindern, um die er sich zu Lebzeiten, wie er fand, zu wenig bis gar nicht gekümmert hatte. Wann auch? Bergman drehte 39 Kinofilme und 23 Fernsehspiele, inszenierte 130 Theaterstücke, war fünfmal verheiratet und hatte unzählige Affären. „Ich bin familienfaul“, sagte er einmal.

Aber Kinder haben ihren eigenen Willen. Tochter Linn bewegte den norwegischen Mäzen Hans Gude Gudesen dazu, fast den gesamten Nachlass zu kaufen. Das Haus, für die Versteigerung komplett ausgeräumt, wurde wieder eingerichtet. Die Möbel und Bücher, die den langen Weg von der Insel nach Stockholm angetreten hatten, kehrten zurück.

Inzwischen sind alle Bergman-Häuser in einer Stiftung zusammengefasst, und seit dem vergangenen Jahr können hier Wissenschaftler und Künstler jeweils für ein paar Wochen oder Monate arbeiten und auftreten. Im letzten Jahr waren unter anderem Liv Ulmann, Ariane Mnouchkine und Michael Douglas zu Gast. Fårö ist insofern eine mehr als ungewöhnliche Bergman-Geschichte: Sie hat ein Happy End.

Einige der Einrichtungsstücke aus Bergmans Haus sind allerdings nicht dorthin zurückgekehrt. Zwei davon sind jetzt in Berlin zu sehen. Eine deutsche Drehbuchautorin und Verehrerin des Filmemachers hat sie erstanden, sie sind in der Ausstellung „Lüge und Wahrheit“ zu sehen: eine kleine Madonna und ein noch kleinerer Buddha. Die beiden standen einst auf Bergmans Nachttisch. Sie sollten ihn vor den Dämonen der Nacht schützen.

Stephen Shores Bilder sind bis Ende Juni im Berliner Filmhaus, Potsdamer Straße 2, zu sehen. Bis zum 29. Mai läuft im gleichen Gebäude die Ausstellung „Von Lüge und Wahrheit“. Mehr über Bergmans Haus auf Fårö: www.bergmangardarna.se

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