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Kultur: Insel als Kunstwerk

MUSIKZIMMER Diedrich Diederichsen über eine Land Art der etwas anderen Art In der Ausstellung „Lieber zuviel als zu wenig“ in der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst ergab sich je nach Betreten ein anderer und meist etwas übertriebener Eindruck von der Dominanz und Zentralität einzelner Personen, die Anfang der Achtziger im Umfeld der sogenannten PunkBewegung das Flechtwerk von Künsten und Kämfen vorantrieben. Einmal habe ich erlebt, dass in allen Videokabinen und Musikbeschallungssystemen die Münchner Band FSK zu hören war, ein anderes Mal waren es die Neubauten.

MUSIKZIMMER

Diedrich Diederichsen über

eine Land Art der etwas anderen Art

In der Ausstellung „Lieber zuviel als zu wenig“ in der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst ergab sich je nach Betreten ein anderer und meist etwas übertriebener Eindruck von der Dominanz und Zentralität einzelner Personen, die Anfang der Achtziger im Umfeld der sogenannten PunkBewegung das Flechtwerk von Künsten und Kämfen vorantrieben. Einmal habe ich erlebt, dass in allen Videokabinen und Musikbeschallungssystemen die Münchner Band FSK zu hören war, ein anderes Mal waren es die Neubauten. Solche Spotlights kommen den damaligen Extremismen sicher näher, als es eine gerechte Geschichtsschreibung vermocht hätte – zumal durch die Zufälligkeit solcher Häufungen für Gerechtigkeit durchaus gesorgt ist.

Unangetastet von solchen Zufällen war lediglich das Objekt-Ensemble der Tödlichen Doris: eine Installation aus Kinder- und Kofferplattenspielern – selbst gestaltet: keine found objects – mit den dazugehörigen Plastik-Tonträgern, das auratisch mitten im Raum thronte. Die Tödliche Doris war eine von Berlins zentralen Art-Punk-Erscheinungen der Achtzigerjahre und wer sich ihrer nicht erinnert, kann sich jetzt mit den ganz anderen und doch auf einer strukturellen Ebene verwandten Fortsetzungen beschäftigen: Eines der Mitglieder dieses Trios, Wolfgang Müller, hat sich seit nun auch schon fast zehn Jahren von den kuriosen Konzeptualismen seiner Avantgarde-Truppe, die auf eine komische Weise mit jeder Arbeit versuchte, Musik neu zu erfinden oder auch zu verwerfen, scheinbar abgewandt und ein auf den ersten Blick idyllisch träumerisches Thema gefunden, um das alle seine weiteren Schallplatten, Bücher, Ausstellungen kreisen: Island – seine Menschen, seine Tiere, seine Elfen und seine Geschichte.

Wer aber hätte nun ahnen können, dass Wolfgang Müller auch noch einmal einen sofort und ohne Umwege einschlagenden Hit haben würde? Naja, im Moment ist das noch eine bloße Prophezeiung aus einem unberufenen Munde. Aber wer wollte ernsthaft einem Refrain wie „Zwer-her-her-herge und Elfen und Feen, ich habe sie gesehen“ verschließen? Von einem kleinen ornamental punktierten Elektropopstreifen gesäumt? Auf „Mit Wittgenstein in Krisuvik“ seiner neuen CD bringt uns Müller in 22 didaktisch-musikalischen Einheiten Wissenswertes über Island nahe. Schon lange kann ihn niemand mehr im Verdacht haben, mit der Erschließung eines exotisch-seltsamen Ortes nur der Erlebniskultur zuzuarbeiten. Island ist in einer Weise Lebensthema des Kreuzbergers geworden, wie sich bei anderen Künstlern allenfalls formale und stilistische Manierismen festsetzen.

Dabei erweist sich diese Festlegung als vorteilhafter als man denkt. Man muss zwar etwaige Müdigkeiten gegenüber Mitmenschen mit gesucht originellen Lieblingsthemen zunächst einmal abschütteln, hat aber dann das wunderbarste Werk reiselustigen Songwritertums vor sich: Da Müllers Thema von vornherein klar ist, kann er sich auf allen anderen Ebenen als Mann des Experiments, der unendlichen Möglichkeiten erweisen: vom hochbegabten Rock-Songwriter, Jazz- Crooner, Schlagersänger, aber auch als unkonventioneller Vertoner von Lehrbüchern, Geographica und Landeskunde. Müller ist umgekehrter Konzeptualist. Die Konstante ist klar und die Variable unendlich. Kontinuität garantiert aber bei Müller nicht ein methodischer Zugang, sondern ein jede Form musikalischer Bearbeitung erlaubendes Thema. Der Inhalt, in seiner ganzen Abwegigkeit, steht fest, und nichts an schnöder Alltäglichkeit oder angeblicher Erfahrung kann diese Entscheidung erschüttern.

Dafür ist absolut offen, ob Boogie Woogie, Mäusechöre, serielle Musik, Eisler oder Hermeto Pascoal eher geeignet erscheinen, dem „Land ohne Eisenbahnen“, seinen Faltern und Vögeln Referenz zu erweisen. Dieses Land, das erst seit wenigen Jahren öffentlichen Alkoholausschank kennt, kann gleichwohl auf eine große Tradition von Trinkliedern zurückblicken: „Salmur yfir vini“ zum Beispiel macht sich über Abstinenzler lustig und folgt derselben Haydn-Melodie, die man hierzulande als Nationalhymne kennt. Darüber hinaus gibt es dort oben ein schmissig besungenes Penis-Museum, Kämpfe zwischen Nordzwergen und Südzwergen und ein nach Island geschmuggeltes „Deutsches Herbstlied“. Wer allerdings das sechsminütige „Wovon man nicht sprechen kann“ nicht hört, hat wirklich was verpasst und sollte die Gebühren für seine Philosophie-Zwischenprüfung zurückfordern. Müller gedenkt eines semi-apokryphen Islandaufenthalts Wittgensteins und macht aus dessen berühmtesten Satz einen langsam zu Harfen-Arpeggios akzelerierenden Zungenbrecher – bis der Arzt kommt. Oder ein analytischer Philosoph auf einem Pony.

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