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© Georg Moritz

Installation: Keiner weiß, ob der Kahn hält

Mehr Sensibilität für Europas Flüchtlingsprobleme: Kalliopi Lemos stapelt Boote am Brandenburger Tor.

Sin’ ditt Fischerschiffe, fragt der Berliner, die Brille rutscht, eigentlich wollte er das Brandenburger Tor fotografieren, er ist dafür auf ein Podest geklettert, aber nun, um 21.38 Uhr, hat er sich den Kopf am Kahn gestoßen. „Ah“, sagt er, als er genauer schaut, „historische Boote.“

An diesen Booten, tags im Schatten des Brandenburger Tors, Platz des 18. März, nachts bewusst unbeleuchtet, soll man sich, findet die zuständige Künstlerin – ja, auch den Kopf stoßen. „At Crossroads“ heißt die Installation von Kalliopi Lemos, gebürtige Griechin, wohnhaft in London. Es sind, 14 Meter hoch gestapelt, Boote aus der Türkei, die einst afrikanische Flüchtlinge über das Meer transportierten. Die Boote sind angekommen. Hier. Am Tor Berlins. Von der Besatzung kann das niemand genau sagen. Ertrunken? Verhungert, verdurstet auf dem Ozean? Oder schmort sie in einem der Auffanglager auf einer griechischen Insel, auf die Rückreise wartend? 

70 000 Flüchtlinge landeten 2008 an europäischen Küsten, schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk. Aber das sind die, die es geschafft haben. Claudio Magris, diesjähriger Träger des Friedenspreises, sagte in seiner Frankfurter Dankesrede: „Nicht nur an der italienischen Grenze landen Flüchtlinge, die man für räuberische Piraten hält. Die Reaktionen auf eine solche mit einer Invasion verwechselte Sinnsuche sind hysterisch und symptomatisch in ihrer Brutalität.“

Es ist ein Problem, mit dem sich diese Welt beschäftigen muss, jetzt, nicht später, findet Kalliopi Lemos. „Askin“ steht am Bug eines Schiffs, brüchiges Holz, die Farbe blättert, das Ruder hängt. Lemos und die Akademie der Künste wollen das Thema auf die Agenda setzen. Bis zum 30. Oktober steht „At Crossroads“ noch.

Auf der anderen Seite des Tors, im Hörsaal der Akademie, läuft am Dienstagabend ein Gespräch, „Festung Europa“, auch Kalliopi Lemos ist da. Dazu Vertreter von Pro Asyl, ein griechischer Politiker, auch Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste. Es ist keine Diskussion. Eher der einhellige Versuch, Menschen zu sensibilisieren für das Leid derer, die vom Meer kommen. „Schengen hat eine Außengrenze geschaffen, die Europa zur Festung macht. Wir Deutschen dürfen das Problem nicht auf die Länder abwälzen, die an dieser Grenze liegen“, sagt Klaus Staeck. Bloß, weil auf Helgoland keine Flüchtlingsboote landen.

Es geht darum, dass eine Welt, die sich für die erste hält, Menschen zu Wertlosen erklärt. Es geht um Menschenrechte. Um Afrikaner, die nach Europa fahren wollen, weil der Wohlstand übers Meer strahlt, sie aber davon in den Auffanglagern nichts zu sehen bekommen.

Wichtigster Gast ist Nissrin Ali, eine Frau mit Absatzschuhen und Bluse im Leopardenmuster. Sie sagt, dass sie keine Rechte habe seit 2002. Als syrischer Flüchtling in Bayern. Staatenlos. Ohne Pass. Geduldet. Ohne Arbeitserlaubnis. Um aus dem Flüchtlingsheim nach Berlin reisen zu dürfen, für zwei Tage, brauchte sie eine „Verlassungserlaubnis“. „Was sich da abspielt, ist für ein christliches Land deprimierend", sagt Klaus Staeck. „Ich behalte den Mut. Ich kämpfe“, sagt Nissrin Ali. Martin Machowecz

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