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Kultur: Intendant gegen Regisseur - Christoph Albrecht streicht Szenen aus Peter Konwitschny umstrittener Inszenierung

Seit Silvester grassiert an der Elbe ein böser Virus. Peter Konwitschny, der Regisseur der skandalumwitterten Dresdner "Csárdásfürstin", hatte ihn und lag vier Tage im Bett, und Christoph Albrecht, der zuständige Dresdner Intendant, hat ihn jetzt auch.

Seit Silvester grassiert an der Elbe ein böser Virus. Peter Konwitschny, der Regisseur der skandalumwitterten Dresdner "Csárdásfürstin", hatte ihn und lag vier Tage im Bett, und Christoph Albrecht, der zuständige Dresdner Intendant, hat ihn jetzt auch. "Verrat an der Kunst" röchelt es mit bronchialem Ingrimm aus dem linken Telefonhörer, "geschmackliche Skrupel" prustet es eher kleinlaut - Hatschii! - aus dem rechten. Die akute Zeit der Wadenwickel aber scheint vorbei, und so darf versucht werden, eine Diagnose zu stellen: Was war es, das zwei gestandene Männer und Künstler nahezu zeitgleich in die Unpässlichkeit trieb? Was ließ ihre Immunsysteme derart kollabieren?

Das Publikum jedenfalls hat es von Anfang an gewußt: "Ihr seid doch alle krank!", jaulte es am Premierenabend von den Rängen der Semperoper, als eine Granate im Bühnenhintergrund Leichenteile durch die Luft wirbelte; "Vorhang!", zischte es wütend, als Sylva Varescu, die Csárdásfürstin, wenig später im Walzertakt zum Danse macabre mit einem kopflosen Soldaten ansetzte; und "Pfui!" gellte es durch den Saal, als der fehlende Kopf wenig später noch einmal hereingetragen wurde, lose auf einer Bahre hin und her kullernd (vgl. Der Tagesspiegel vom 31. Dezember / 1. Januar). Die Operette am Kriegsschauplatz als Theaterkrieg?

Just diese drei Szenen nun nahm Intendant Albrecht zur Silvestervorstellung wieder heraus, und zwar keineswegs, wie er betonte, um sich den "pöbelhaften Zwischenrufen und Buhs" zu beugen oder der lokalen Boulevardpresse Genüge zu tun, die längstzur großen Hatz auf die Aufführung blies.

Vielmehr hätten ihm Gespräche mit Mitarbeitern und Zuschauern - darunter sowohl eingefleischte Konwitschny-Fans als auch an Leib und Leben von Kriegen Betroffene, Zeitzeugen des 13. Februars 1945 etwa oder Menschen aus dem Kosovo - gezeigt, dass hier ein Ausmaß an Tabuverletzung erreicht sei, welches er als Hausherr weder vertreten könne noch wolle: "Mit Entsetzen scherzt man nicht." Merkwürdig allein, dass Albrecht erst nach der Premiere zu dieser noblen Einsicht gelangte, merkwürdig auch, dass er im Vorfeld eher einer "bitterbösen Satire" das Wort redete. Ja, ja, er wisse schon, winkt der viel Gescholtene ab und hustet noch einmal laut und leidend in die Hörermuschel, was immer er mache oder sage - es sei falsch.

Die Geister freilich scheiden sich nicht erst an der typisch sächsischen Harmoniesucht. Während Albrecht behauptet, Konwitschny sei über die Änderungsvorschläge zunächst"nicht böse" gewesen, schildert Konwitschny selbst einen unerhörten Wutanfall. Wem der beiden Herren der Grippestand hier das Erinnerungsvermögen trübt, bleibe dahingestellt. Fazit ist, dass die Dresdner "Csárdásfürstin" fortan nur mehr in korrigierter Fassung zu sehen sein wird. Konwitschny nennt dies empört eine "Amputation", heißt Christoph Albrecht einen "Schwächling" - und pocht als einer letzten im Lande auf das Musiktheater als politische, ja utopische Anstalt: "Wo zuallererst der Schutz einer Produktion und dann eine offensive Aufklärungsarbeit gefragt gewesen wäre, da knicken die Verantwortlichen schamlos ein." Er fände das ebenso dümmlich wie bedauernswert und hätte nach Peter Jonas in München (wo Waltraud Meier als Isolde Zwietracht sähte) leider einen weiteren Intendanten verloren.

Ganz gleich ob Konwitschnys Inszenierung nun mit einem einzigen Totentanz steht oder fällt: In Zeiten, da sich das Musiktheater zunehmend seiner Wirkungskraft beraubt, indem es nur mehr kulinarisch sein will und süffig und schöner noch als schön, darf man für ein paar schlimme Bilder, die doch immer Theaterbilder bleiben und mit alten, scheppernden Zirkustricks aufwarten, durchaus dankbar sein - zumal wenn diese zeigen, dass die Zeit allein partout nicht alle Wunden heilt.

Christine Lemke-Matwey

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