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Interkulturelles Festival "Diyalog": Ehrensachen in Kreuzberg

Starker Abschluss des Berliner Festivals „Diyalog“: Mit dem Theaterstück "Ehrensache" greift der Dramatiker Lutz Hübner das heikle Thema Mädchenmord auf.

Wie aufs blutig aktuelle Stichwort hatte am Dienstag letzter Woche das 13. interkulturelle „Diyalog“-Festival im Berlin-Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße begonnen: mit Lars Noréns schwedischem, universellen Stück „Krieg“, inszeniert und gespielt von Künstlern aus Israel, Palästina, Deutschland, England und Serbien. Heute Abend feiert dieser „Diyalog“ ab 21 Uhr sein Abschlussfest mit griechisch-türkischen Jazzern, nach zehn überwiegend ausverkauften Vorstellungen im schön renovierten, seit letztem Herbst von Shermin Langhoff neubelebten Ballhaus an der Naunynstraße. Einen Höhepunkt zum Abschluss setzte dabei das Gastspiel des Theaters Peripherie aus Frankfurt am Main mit dem Mädchenmord-Stück „Ehrensache“ des Berliner Dramatikers Lutz Hübner.

Hübner, der auch schon für Volker Ludwigs Grips-Theater geschrieben hat, besitzt das Auge und fast schon absolute Gehör für Geschichten, die in Discos, auf Schulhöfen und in sozial (und hormonell) aufgewühlten Verhältnissen meist sehr junge Menschen bewegen. Und da ist er mit dem Frankfurter Regisseur und Schauspieler Alexander Brill an den Richtigen geraten. Brill hat das Theater Peripherie erst 2008 gegründet, um „von den gesellschaftlichen Rändern ins Zentrum zu rücken“. Ins Zentrum, wo er mit einem Jugendtheaterclub am Schauspiel Frankfurt am Main schon lange Jahre war.

Dort hat er mit jungen Laien hochprofessionelles, immer wieder erstaunliches Theater gemacht, hat Stücke sogar von Großdramatikern wie Tankred Dorst uraufgeführt und Aufsehen erregt, als er 1996 direkt nach dem Bosnienkrieg Slobodan Snajders Drama „Schlangenhaut“ (über die Massaker und Massenvergewaltigungen) mit jungen Serben, Bosniern und Kroaten über Gräber und Grenzen hinweg inszenierte. Solche Aufführungen waren oft spannender als das, was große Stadttheater auf ihren großen Bühnen zeigten. Trotzdem hat Oliver Reese, der vom Deutschen Theater demnächst als Intendant nach Frankfurt wechselt, den Jugendclub aufgekündigt, will aber mit Brills „Peripherie“ weiterarbeiten.

„Ehrensache“, bereits bei einem Festival in Istanbul gezeigt, erzählt im fast leeren Raum, wie zwei Mädchen, die eine Deutschtürkin, sich mit zwei türkischstämmigen Jungs zu einem Ausflug aus der Provinz in die Stadt verabreden, zum Shopping, Kino, Rummelplatz. Und aus kleinen Missverständnissen, halbbewussten Emotionen und Provokationen kommt es wie beiläufig zur Katastrophe. Die Jungs stechen zu, die Mädels seien ja nur „Schlampen“. Mit einem filmischen Realismus, intensiv und schauspielerisch sehr wirkungssicher verkörpern das (vermeintliche) Laien: ein kurdisches und ein deutsches Mädchen sowie zwei glänzende junge Akteure aus Afghanistan und Iran, die auch fließend „Kanakdeutsch“ sprechen. Ein Fall von Kunst und Leben. Zum Überleben. Peter von Becker

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