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Vögel falten: Szene aus dem Stück "Niyar - A Paper Tale".

© Udo Jansen

English Theatre Berlin: Ein Stück Berliner Off-Theatergeschichte

Muttersprachler wie wir: Das English Theatre in Kreuzberg feiert 25. Geburtstag – mit dem Festival „Expat Expo“.

Das Ausmaß der babylonischen Verwirrung, das sie gestiftet hatten, wurde den Kreuzberger Theatermachern bei einem Blick auf ihr eigenes Plakat bewusst. Die Friends of Italian Opera – benannt nach dem Decknamen der Mafia in Billy Wilders Klassiker „Manche mögen’s heiß“ und spezialisiert auf englischsprachige Performances – hatten sich eine Company aus Hongkong mit französischem Namen eingeladen.

Also stand auf dem Poster: „Dance me to the End of Love. Theatre du pif. Friends of Italian Opera. English Theatre“. Wie bitte? Was denn nun? Englisch? Französisch? Schauspiel? Gesang? „Uns wurde klar, dass wir mindestens eine Hürde abbauen müssen“, sagt der künstlerische Leiter Günther Grosser.

Seit 2006 heißt die Bühne in den Mühlenhaupt-Höfen also English Theatre Berlin (ETB). Ist eingängiger, klar. Und es klopft jetzt auch niemand mehr an, um zu fragen, ob er vielleicht bei den Friends of Italian Opera vorsingen dürfe.

Künstler und Handwerker unter einem Dach

Im Juni feiert das ETB seinen 25. Geburtstag. Die kleine Bühne in der Fidicinstraße spiegelt nicht nur ein Stück Berliner Off-Theatergeschichte, geboren aus dem Insel-Freigeist der 80er. Sondern überhaupt den Wandel, den die Stadt im vergangenen Vierteljahrhundert durchlaufen hat.

Angefangen hat alles mit einer Theatertüftler-Werkstatt, die Bernd Hoffmeister und Martin Kamratowski auf dem Kreuzberger Hinterhofgelände gründeten. Die beiden waren eng vernetzt mit der freien Szene, bauten Bühnenbilder, unter anderem für Andrej Woron. „Die Idee war, Künstler und Handwerker unter einem Dach zu vereinen“, erzählt Hoffmeister.

An eine Spielstätte dachte ursprünglich niemand. Die kam – wie so vieles in der Geschichte des ETB – durch Zufall zustande. Jemand suchte einen Aufführungsort. Und am 17. Juni 1990 ging Eduardo di Filippos „Kunst der Komödie“ vor rund 50 Zuschauern über die Bühne. „Ein theatertechnisch ungünstiger Tag, weil gerade Fußball-WM in Italien war, aber wir haben es wacker durchgestanden, mit allem, was eine Premiere so an sich hat“, erinnert sich Hoffmeister.

Die Internationalisierung der Stadt wurde hier erstmals sichtbar

Der erste Schritt zum englischsprachigen Theater folgte noch im Winter des gleichen Jahres. Günther Grosser führte mit seiner Gruppe Out to Lunch das Stück „Noodle Highway“ von Joy Cutler auf – mit großer Resonanz. „Die Mauer war ja gerade erst gefallen, jede Menge Neugierige kamen in die Stadt, Journalisten, Künstler“, erinnert sich Grosser. „Und aus der West-Berliner Szene klopften viele Amerikaner und Briten bei Bernd an.“ Die heute so selbstverständliche und längst zum Stadtmarketing-Tool geronnene Internationalisierung der Stadt, sie wurde hier erstmals sichtbar.

Das Leitungstrio Bernd Hoffmeister, Daniel Brunet und Günther Grosser.
Das Leitungstrio Bernd Hoffmeister, Daniel Brunet und Günther Grosser.

© Thilo Rückeis

In den ersten Jahren bestritten die Friends of Italian Opera ihr Programm zum einen mit Gastspielen, darunter viele britische One-Man- oder One-Woman-Shows. Und zum anderen mit schmal budgetierten Eigenproduktionen, die sich dem Enthusiasmus eines Freiwilligenpools von talentierten Native Speakern verdankten. Grosser nennt etwa die Amerikanerin Lydia Steier, die zwei Einakter unter dem Titel „Plays for the poor Theatre“ auf die Bühne brachte. Heute inszeniert sie an der Komischen Oper.

Viel Geld hatte das ETB nie. In den Gründungsjahren verdiente das Leitungsteam keinen Pfennig und fuhr nebenher Taxi. Auch heute muss Hoffmeister als Managing Director mit einer Basisförderung von lediglich 120 000 Euro pro Jahr wirtschaften. Klar gehen damit auch limitierte künstlerische Möglichkeiten einher und die erhöhte Schwierigkeit, als Seismograf künstlerischer Aufbrüche sichtbar zu werden.

Mit dem berühmten In-yer-Face-Theatre, das in den 90ern in rotziger Sprache Drogensüchtige und andere Drop-outs zu den neuen Bühnenhelden machte, verbindet man in Berlin ja vor allem die Baracke des Deutschen Theaters unter Thomas Ostermeier und Jens Hillje. Am ETB wurde diese Umwälzung des Theater-Establishments aber auch nicht verschlafen.

„Ich bin ein Landei“

Zum Beispiel hatten sie mit „The Food Chain“ eine Premiere von Nicky Silver, Schöpfer des berühmten Stücks „Fette Männer im Rock“. Silver stand sogar eines Tages überraschend an der Kasse des ETB und bat um eine Freikarte, er sei der Autor. „Beweisen Sie’s“, forderte die forsche Kassiererin ihn auf, „quote from your play“ – zitieren Sie aus Ihrem Stück. Was der Mann brav tat.

Gänzlich krisenfrei ist die Geschichte des ETB bei all dem nicht. 2012 empfahl die Jury des Berliner Senats das Haus nicht mehr zur Förderung. Englischsprachiges Theater, hieß es damals, sei doch genauso am HAU oder in den Sophiensälen zu erleben. Wozu Grosser zu Recht einwendet, dass dort aber nicht Englisch als Arbeitssprache gepflegt werde. Er glaubt auch nicht, dass sein Haus ästhetisch in der Sackgasse gelandet war, räumt aber ein: „Die Szene gab viel mehr her, als ich zu dem Zeitpunkt bemerkt hatte.“

Die Neuorientierung am ETB ist mit dem Namen Daniel Brunet verbunden. Der Künstler stammt aus dem Norden des Bundesstaates New York („Ich bin ein Landei“) und kam erstmals im September 2001 mit einem Fulbright-Stipendium nach Berlin, wo er bald Hausregisseur am ETB wurde. Mittlerweile fungiert er als Producing Artistic Director. Brunet besitzt ein Gespür für Themen und Stimmungen. Im sogenannten Lab des Theaters, wo neue Stücke entwickelt und vor Publikum getestet werden, griff er die Blackfacing-Debatte auf.

Außerdem entwickelte er das hoch spannende Projekt „Aliens of extraordinary Abilities?“, das den mit zweierlei Maß messenden Blick auf die nicht biodeutschen Berliner beleuchtete. „Ich bin ein weißer Mann aus den USA, niemand käme auf die Idee, mich Migrant zu nennen“, so Brunet. „Ich bin ein Expat.“

Mit dem Amerikaner im Leitungsteam verabschiedete man sich vor allem von dem Konzept, nur englische Muttersprachler auf der Bühne zuzulassen. Das ETB begreift sich jetzt als „International Performing Arts Center“. Offen für alle, die auf Englisch in Berlins freier Szene arbeiten, gleich, ob sie aus Belgrad oder Budapest stammen. Was kaum ein Format so gut spiegelt wie die „Expat Expo“, die Brunet vor drei Jahren ins Leben gerufen hat – und mit der das Haus jetzt auch seinen Geburtstag feiert.

Eine Präsentationsplattform mit 20 Performances an sechs Abenden ist diese „Expat Expo“, die das höchst diverse Schaffen der internationalen Community in Berlin produktiv bündelt. Das English Theatre, sagt Brunet lächelnd, „ist ein Gemeinde-Zentrum im wahrsten Sinne des Wortes“.

English Theatre, Fidicinstr. 40, Kreuzberg; „Expat Expo“: Mo 1.6. bis So 7. 6., Programminfos unter www.etberlin.de

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