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Internationale Kunst: Die politischste Biennale seit langem

Die 54. Biennale in Venedig ist eröffnet und beweist: Die viel kritisierten Länderpavillons sind kein Hindernis. Im Gegenteil. Und sowieso: Die Kunst schert sich nicht um Grenzen.

Die Verwirrung ist perfekt: Wo genau befinden wir uns? In einer Karawanserei des 17. Jahrhunderts in Istanbul oder im Britischen Pavillon des Jahres 2011, inmitten des Eröffnungsrummels der 54. Biennale von Venedig? In einem verlassenen türkischen Haus, in dem man treppauf treppab in immer neue, heruntergekommene Räume gelangt, oder in einer Installation des englischen Bildhauers Mike Nelson? Dem Künstler gelingt die Verwandlung eines ganzen Settings jedenfalls so gut, dass der Besucher sich von ihm bereitwillig entführen lässt: von Venedig nach Istanbul und in alle Welt, in die Vergangenheit und wieder zurück in die Gegenwart.

In ihren stärksten Momenten nimmt Kunst den Betrachter mit und macht – für kurze Zeit – einen anderen Menschen aus ihm, öffnet den Blick für andere Wirklichkeiten. Auf der 54. Biennale laden 89 Nationen zu solch imaginären Trips ein, mehr denn je zuvor in der 116-jährigen Geschichte der Weltausstellung. Die immer wieder geforderte Abschaffung der nationalen Pavillons für eine Kunst, die sich ohnehin nicht um Grenzen schert, erscheint obsolet. Der Besucher will wissen, wie es um die Länder steht, die zuletzt die Nachrichten beherrschten: „State of the Art“ als „State of Mind“.

Wie bilden sich Revolutionen, Naturkatastrophen, Umweltdesaster, Finanzdebakel in der Kunst ab? Oder tun sie es gerade nicht? Im griechischen Pavillon plätschert hinter einer hölzernen Fassade einfach nur Wasser. Und im chinesischen Pavillon reagiert man nur achselzuckend auf die Fragen nach dem seit zwei Monaten verschleppten Ai Weiwei. Nein, den gibt es hier nicht, nicht an derart repräsentativer Stelle. Dafür widmen oppositionelle chinesische Künstler in einem gemieteten Palazzo außerhalb der Biennale dem verhafteten Regimekritiker ihre Ausstellung „Cracked Culture“. Im ägyptischen Pavillon dagegen hallt das Echo der Schüsse vom Tahrirplatz nach. Der Multimediakünstler Ahmed Basiouny dreht in seiner Performance „30 Days of Running in the Place“ Runden um Runden um die zentrale Stätte des Aufstands in Kairo – Endlosschleife der Rebellion. Zwischen die Projektionen sind Aufnahmen jener Demonstration gestellt, bei welcher der 32-Jährige Ende Januar von einem Scharfschützen der Polizei getötet wurde. Die dramatischen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit machen die 54. Biennale zu einer der politischsten seit langem.

Viele Länder positionieren sich mutig und dezidiert. Polen hat die israelische Filmemacherin Yael Bartana eingeladen, ihre propagandistische Trilogie über eine imaginäre „Jüdische Wiedergeburtsbewegung in Polen“ zu präsentieren, die 3,3 Millionen Juden vermeintlich ins Land ihrer Vorväter zurückholen will. Missverständnisse sind intendiert, die Polen reagierten irritiert auf die Einladung. Im israelischen Pavillon wiederum zeigt Sigalit Landau den Kampf um das Wasser in ihrem Land: Schwere Rohre sind kreuz und quer durch das Gebäude geführt; in Gestalt eines mit Salzkristallen bepackten Fischernetzes werden die Folgen der Austrocknung eindrucksvoll inszeniert.

Wasser ist auch das Thema von Ayse Erkmen, die im türkischen Pavillon tausende Liter aus dem benachbarten Kanal in eine Reinigungsanlage pumpen lässt, um das gefilterte Nass gleich wieder zurückzuleiten. Die sinnfreie, kostenintensive Installation ist keineswegs zynisch gemeint, sondern will als Warnruf verstanden sein. Und Japan nach dem GAU? Im Außenraum des Pavillons drehen sich Comic-Wolken um einen Betonzylinder. Im Inneren verflüchtigen sich jedoch die konkreten Bezüge; die animierten Zeichnungen der Manga-Künstlerin Tabaimo verlieren sich in einer Multimedia-Schau mit Spiegeln. Keine großer Knall, keine plumpe Illustration.

Selten stellten die Realität und Aktualitäten die Pavillons derart gnadenlos auf den Prüfstand. Umso mehr fällt die Coolness, ja beinahe Selbstgefälligkeit der großen, klassischen Pavillons in den Giardini auf. Für die USA lässt das Duo Allora & Calzadilla Sportler rund um nachgebaute Flugzeugsitze turnen, einen Leichtathleten auf der Kette eines umgedrehten Panzers joggen, während eine Nachbildung der Freiheitsstatue auf der Sonnenbank liegt. Krieg und Frieden als wohlfeile Stichworte für eine mondäne Inszenierung.

In die gleiche Falle tappt auch Christian Boltanski im französischen Pavillon, der mal wieder seine Gedenkmaschinerie anwirft, indem er verwischte Schwarz-Weißaufnahmen von Babygesichtern über ein Rollband durch den Bau schickt. In den Seitenflügeln zeigen überdimensionale Digitalanzeigen die sich sekündlich ändernden Geburten- und Todesraten. Aufregend wird es in den Giardini immer dann, wenn ein Künstler intensiv mit dem Raum arbeitet und ihn verwandelt, wie es Thomas Hirschhorn bei der Schweiz oder Markus Schinwald in Österreich gelingt und wie es im deutschen Pavillon posthum mit Christoph Schlingensief zumindest versucht worden ist (Tsp. vom 1. Juni).

Mit der großen Ausstellung „Illumi-Nations“ im Arsenale und im zentralen Pavillon der Giardini rückt Biennale-Kuratorin Bice Curiger dezidiert von der Tagespolitik ab. Und sie tut gut daran. Doch fehlt es etlichen Arbeiten der 83 gezeigten Künstler an innerer Notwendigkeit, an Zusammenhalt, anders als bei Daniel Birnbaums mitreißender Schau 2009. Additiv reihen sich die Werke aneinander.

Zum glatten Fehlschlag aber werden die aus der Stadt aufwendig in die Giardini geschafften Tintorettos, um die Gegenwartsproduktion im Lichte eines Altmeisters zu präsentieren. Im Hauptraum des zentralen Pavillons wirken sie abgestellt und flach, wie ein zeitgeistiges Accessoire. Welche Inspirationskraft Tintoretto für zeitgenössische Künstler besitzt, zeigt die großartige Treppeninstallation Monica Bonvicinis, die sich auf dessen berühmte Stufen in der „Präsentation der Jungfrau Maria“ bezieht, oder Shahryar Nashats gefilmte Performance mit grünem Postament vor einem Tintoretto-Gemälde. Filmkunst ist auch der Anziehungspunkt von „Illumi-Nations“: Christian Marclays 24-Stunden-Zusammenschnitt „The Clock“ aus Filmen, in denen jeweils die reale Zeit des Betrachters ins Bild kommt. Nie waren sich Filmgeschichte und unmittelbare Gegenwart näher.

Am überzeugendsten wirkt die Hauptausstellung der Biennale in ihren Verdichtungen, den sogenannten Para-Pavillons, bei denen ein Künstler eigene Räume schaffen durfte, die wiederum andere bespielen. David Goldblatt stellt in der sternförmigen Konstruktion von Monika Sosnowska seine emphatischen Aufnahmen von südafrikanischen Straftätern aus. Die indische Fotografin Dayanita Singh verbindet ihre Bilder mit der nach außen gewendeten Küche von Franz West. Hier springt der Funke über, ein Glühen wird spürbar. Vielleicht zündelt Urs Fischer, der Schweizer Landsmann von Bice Curiger, gerade deshalb: Er ließ Giovanni Bolognas „Raub der Sabinerinnen“ aus Wachs mit Dochten nachformen. Ganz langsam brennt die gewaltige Barockskulptur nun in den kommenden Wochen als überdimensionale Kerze nieder. Das Licht der Gegenwart ist ihr aufgesteckt.

54. Biennale di Venezia, Giardini und Arsenale, bis 27. November. Di –So 10 –18 Uhr. Infos: www.labiennale.org

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