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Erst mal ruhig durchatmen. Szene aus „La plaga“, dem siegreichen Debüt der katalanischen Filmemacherin Neus Ballus.

© IFFF

Internationales Frauenfilmfestival: Die Heldin steht alleine da

Kaum eine andere Filmschau muss sich so häufig der Frage nach ihrer Legitimation stellen wie das Internationale Frauenfilmfestival. Dabei waren die Filme auch in diesem Jahr einen besonderen Blick wert.

Mann und Frau unterwegs in einem Roadmovie – das schmeckt nach Quentin Tarantino und David Lynch, nach Aussteiger-Romantik der 90er Jahre. „Regisseurinnen interessieren sich für andere Geschichten und andere Lebensumstände“, beschreibt die Schauspielerin Julia Hummer ihren Eindruck von den Spielfilmen des Frauenfilmfestivals (IFFF) in Köln. „Heute steht die Heldin meist allein da, sie kämpft als weiblicher Loner, als Jobberin, Migrantin oder Alleinerziehende um einen Platz in der Gesellschaft.“

Fünf Tage lang gibt das Frauenfilmfestival, jährlich wechselnd in Köln und Dortmund, einen Überblick über das Kurz- und Langfilmschaffen von Regisseurinnen rund um den Globus. Viele Filme werden zum ersten Mal in Deutschland gezeigt, manch einer, der im üblichen raubeinigen Festivalzirkus außen vor geblieben wäre, bekommt eine Chance in deutschen Kinos. Wenn nicht, ist der Grund in der Krise des Arthaus-Kinos zu suchen, in der Filmverleihe oft wenig Mut zu neuen Namen beweisen.

Wichtiger als die Rangelei um Premierenfilme ist dem Team um die Festivalleiterin Silke Räbiger jedoch, rund 80 Spiel- und Dokumentarfilmerinnen zu präsentieren. Was ihre Themen, Handschriften und Filmstile „anders“ wirken lässt als diejenigen ihrer Kollegen, wird nicht militant behauptet. Nach über 30 Jahren Übung in der Suche nach dem handwerklich-künstlerischen state of the art internationaler Regisseurinnen spürt das IFFF den kulturellen Umbrüchen nach, die sich in Geschichten aus weiblicher Perspektive niederschlagen.

IFFF - widerständig, unkonventionell, jenseits des Mainstreams

Wie jedes andere Festival ist das IFFF von der Qualität der Jahresproduktion abhängig. Doch kaum eine andere Filmschau mit speziellem Fokus muss sich so häufig der Frage nach ihrer Legitimation stellen. Warum nur Filme von Frauen? Ist das nicht ein unzeitgemäßer Rückzug in die Nische? Julia Hummer erzählt von Schauspieler-Kollegen, die über Frauenfilmfestivals (deren Zahl international, vor allem in den Schwellenländern, im Steigen begriffen ist) spotten, ohne zu bemerken, dass „die meisten Festivals immer noch männerdominiert sind.“

Widerständig, unkonventionell, jenseits des Mainstreams waren die Filme des Festivals auch in diesem Jahr. Die Jury, in der neben Julia Hummer die Sundance-Festivalkuratorin Kim Yutani und die türkische Regisseurin Pelin Esmer mitentschieden, vergab den mit 10 000 Euro dotierten Preis des Wettbewerbs an „La Plaga“, das Debüt der katalanischen Filmemacherin Neus Ballus. Ihr unaufdringliches Stimmungsbild eines heißen Sommers unter Gemüsebauern und Kleinstädtern am Fuß der Pyrenäen ist eine Hommage an die Loner, die Julia Hummer beschrieb.

Eine thailändische Altenpflegerin begegnet auf ihrem täglichen Fußweg zur Arbeit einem Landarbeiter aus der Ukraine. Ihr Gefühl, von der Arbeit mit den einsamen Alten aufgerieben zu werden, und seine Sorge, als illegaler Malocher keine Starterlaubnis als Sportringer zu bekommen, entfalten sich allmählich in den trockenen Dialogen der Laienschauspieler dieses semi-dokumentarischen Sommer-Tagebuchs. Maria Rosa, eine greise Bäuerin, die dem Wechsel ins Altersheim mit Eigensinn begegnet, bildet indirekt die Brücke unter den isolierten Protagonisten, die der Hitze und einer Insektenplage standzuhalten versuchen und einander trotz ihrer Erschöpfung kleine Gesten der Zuwendung gönnen.

Schwerpunkt Türkei.

Der thematische Schwerpunkt des diesjährigen Festivals war den jungen Regisseurinnen des türkischen Kinos gewidmet. Die meisten von ihnen leben in Istanbul, kennen einander von den dortigen Festivals und Netzwerken und arbeiten als Drehbuchautorinnen und in anderen Filmberufen, um ihren eigenen Projekten nachgehen zu können. Das Land im Umbruch, zerrissen zwischen rücksichtslos durchgesetzter Moderne und patriarchal dominierten Traditionen, ist das stärkste Leitmotiv, das Dokumentar- und Spielfilme miteinander verbindet. Die Frauenfiguren sind oft mit dem Verlust, d. h. der Migration oder Bindungsflucht ihrer Männer konfrontiert.

Deniz Akçays Familiendrama „Nobody’s Home“ zeichnet eindringlich sarkastisch nach, wie eine zum emanzipierten Alleinleben nicht fähige Mutter die Rolle des abwesenden Vaters auf ihre heranwachsenden Kinder, insbesondere die berufstätige älteste Tochter überträgt. Die Beziehungsprobleme moderner Großstadttürkinnen dürften denen westeuropäischer Wohlstandsbürgerinnen verblüffend ähneln.

Auch die Männerfiguren, die sich dem Leistungsdruck entziehen, in Drogen flüchten und zum Abriss bestimmte Häuser bewohnen, sind Brüder der Aussteiger-Typen des Weltkinos. Die alten Frauen indes sind anders, als es die unsrigen medienproduzierten Rollenbilder nahelegen: Ihre Portraits in Filmen türkischer Regisseurinnen erzählen von Härte und Unerbittlichkeit, von einer Welt, der das westliche romantische Liebesprinzip völlig fremd ist. Frauenfamilien und Matriarchinnen ersetzen die ungeliebten, abwesenden Männer. Nähe und Wärme entstehen zwischen den Großmüttern und der Enkelgeneration, die aus dem Großstadtmoloch zurück aufs Land flüchten.

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