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Leer geräumt. Buchdiebe gibt's auch in der analogen Welt: leere Regale auf der Frankfurter Buchmesse.

© picture-alliance / Frank May

Internet-Piraterie: Bücher stehlen als Geschäftsmodell

„Wir sind Verleger, keine Ladendiebe“, sagt ein Betreiber der illegalen Plattform boox.to, der größten Plattform im deutschsprachigen Raum für Gratis-Downloads von Literatur. "Shared Reading", das klingt gut. Aber Raubkopien von E-Books im Internet ruinieren das Buchgeschäft.

Boox.to, gegründet Ende 2012, ist nach eigenen Angaben die größte Plattform für den illegalen Download von E-Books im deutschsprachigen Raum. Bis zu 1,5 Millionen Bücher werden auf dieser Website in Form von Raubkopien angeblich jeden Monat heruntergeladen. Beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels geht man davon aus, dass die Zahl realistisch ist. Die Branchenvertretung hat deshalb die „Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen“ (GVU) damit beauftragt, Ermittlungen im Fall von Boox.to anzustellen. Die Betreiber der illegalen E-Book-Plattform haben angekündigt, ab Oktober ihr „Geschäftsmodell“ umzustellen und eine Nutzungsgebühr einzuführen. Boox.to verstößt damit weiterhin gegen das Urheberrecht, was zivilrechtliche und strafrechtliche Folgen haben kann. Das Interview mit „Spiegelbest“, einer der anonymen Personen hinter der Website, wurde per E-Mail geführt.

Ihnen ist schon klar, dass Boox.to gegen bestehendes Recht verstößt, oder?
Juristisch gesehen verletzen wir bewusst massenhaft Urheberrechte, keine Frage. Aber: Die Dateien der Autoren landen sowieso im Netz. Ob sie nun von uns „befreit“ werden oder von irgendwelchen Russen, ist egal. Alles von Interesse landet im Netz. So betrachtet gibt es im Netz kein Eigentum. Das ist unsere Grundannahme.

Was sind denn Ihre Top Ten, was wird zur Zeit am häufigsten heruntergeladen?

Im Moment steht „Das Komplott“ von John Grisham ganz oben. Im letzten Juli war unser eigener Scan von Stephen Kings „Joyland“ sehr erfolgreich. Als E-Book erschien der Titel nur bei uns, den Buchpiraten. Stephen King selbst hat ihn nicht digitalisieren lassen.

Sie stehlen also Bücher. Wie machen Sie das genau?

Die Idee ist: Einer kauft ein Buch, alle können mitlesen, also „shared reading“. Wir funktionieren wie ein Filesharer, nur dass wir uns – bisher – über Spenden finanzieren. Die Spendenbereitschaft ist sehr hoch. Auch die Server bezahlen wir mit Spenden. Ich glaube, das Projekt ist – so groß aufgezogen – einmalig. In dem Sinne sind wir also eine Download-Plattform für E-Books, wobei wir uns von anderen auch dadurch unterscheiden, dass unser Angebot breit angelegt ist, wie eine Bibliothek.

Wir sind ein gefährlicher Konkurrent für die Verlage, sagt "Spiegelbest".

Also gut organisierte Urheberrechtsverletzung im großen Maßstab?

Ich sag’s ganz offen: Uns interessiert die Rechtsauffassung deutscher Verlage nicht. Wer im Netz Geschäfte machen will, spielt nach den Regeln des Netzes. Wir sehen uns als Anbieter am Markt, wie Amazon und der stationäre Buchhandel.

Diese Auffassung wird wohl niemand in der Branche mit Ihnen teilen.

Die Verlage haben nicht erkannt, dass sie es nicht mit Ladendieben, sondern mit einer neuen Art Verlag zu tun haben. Wir sind ein gefährlicher Konkurrent. Wir „verkaufen“ unser Produkt für null Euro.

Spiegelbest“ ist Ihr Pseudonym. Gerne wüssten wir ein bisschen mehr über Sie.

Ich bin beruflich nicht weit von einem Buchhändler entfernt.

Wie viele Leute stehen hinter dem Projekt?

Im einstelligen Bereich. Aber Boox.to wird natürlich nicht nur von mir betrieben. Die technische Seite der Plattform ist auf sehr hohem Niveau. Das machen professionelle Software-Entwickler nebenher, als Hobby. Das finden Sie häufig in unserer Szene, dass Informatiker in ihrer Freizeit solche Projekte unterstützen.

Klingt idealistisch. Trotzdem wollen Sie jetzt eine Art Nutzungsgebühr einführen. Welcher Betrag schwebt Ihnen vor?

Im Moment sind wir bei 10 Euro für drei Monate. Wir müssen sehen, wie lange wir mit dem Geld hinkommen. Durchaus möglich, dass wir für diese 10 Euro später eine Jahresflat anbieten werden. Es kommt auf die Nutzerzahl an.

Was wollen Sie mit dem Geld machen?

Wir bezahlen neue Server und kaufen E-Books – deutlich mehr Titel als früher. Wir versuchen, mit dem Wachstum Schritt zu halten. Das kann bei fast 20-prozentiger Steigerung der Downloads von Monat zu Monat eine echte Herausforderung sein. Wenn wir in den nächsten zwölf Monaten nur annähernd so weiterwachsen, dann wissen wir nicht, wie es weitergehen soll. Wir rechnen damit, im Herbst nächsten Jahres jeden Monat zehn Millionen Downloads zu haben.

Und welchen Teil der Einnahmen stecken Sie sich selbst in die Tasche?

Wir verdienen kein Geld mit dem Portal. Im Moment zahlen wir sogar drauf, jeder von uns etwa 100 Euro im Monat.

Es fehlt ein attraktives digitales Angebot der Verlage.

Darüber hinaus riskieren Sie, im Gefängnis zu landen. Warum machen Sie das, was treibt Sie an?

„Shared reading“ ist bereits Realität. Alle Einschätzungen der Verlage gehen von den „legal“ verkauften Titeln aus. Pro E-Book-Reader werden in Deutschland glaube ich knapp zwei E-Books gekauft. Lesen die Leute wirklich nur zwei? Oder lesen sie nur E-Books, die sie gratis gezogen haben? Amazon hat erkannt, dass sich E-Books so nicht verkaufen lassen. Also versucht Amazon, als Verleger aufzutreten und die Autoren von den etablierten Verlagen zu übernehmen ...

... was unter anderem mit dem Bestsellerautor Tim Ferriss gelungen ist.

Und dann werden die Preise geschlachtet!

Worauf wollen Sie hinaus?

Ich weise wie ein Blöder auf die Fakten hin. Es fehlt ein attraktives digitales Angebot der Verlage. Kein Verlag verdient mit E-Books Geld. Warum nicht? Es liegt immer am Anbieter, nie am Kunden. Die Kunden haben Zeit, die Buchpiraten auch, Amazon sowieso – nur den Verlagen läuft die Zeit davon. Die Verlage müssen eine Flatrate aufziehen. Keine halbherzigen Lösungen. Am Ende wird es – wie im Bereich der Musik – eine Flatrate wie bei Spotify geben. Nichts anderes will Boox.to sein. Sie müssen sich die Gesamtheit aller E-Books als ein einziges E-Book vorstellen. Diese Datei wollen unsere Leser lesen. Dafür würden sie Geld bezahlen.

Sie wollen zum Vorbild werden? Die Verlage werden das zynisch finden. Und den kleinen und mittleren Buchhandlungen machen Sie nebenher auch noch den Garaus.

Buchketten wie Thalia und Weltbild haben den stationären Buchhandel „bereinigt“, nicht wir. Es sind also Haifischtränen, die da geweint werden. Aber korrekt: Manch einer, der bei uns liest, war früher Kunde eines Buchhändlers. Aber E-Books haben eben eine völlig andere Kostenstruktur. Hohe Ladenmieten und Personalkosten wie bisher sind nicht mehr bezahlbar.

Spotify wird von Musikern dafür kritisiert, dass zu wenig Geld an die Urheber fließt. Wovon sollen Schriftsteller leben, wenn ihre Bücher im Internet für Centbeträge angeboten werden? Wer soll die Lektoren bezahlen? Oder die Buchgestalter?

Es ist ein neuer Markt, der sich finden muss. Sie könnten mit derselben Berechtigung fragen, wovon Hufschmiede leben sollen, wenn Autos produziert werden.

Haben Sie mal versucht, mit Branchenvertretern ins Gespräch zu kommen?

Wir existieren doch nicht! In der Wunschwelt der Autoren und Verlage gibt es uns nicht. Also ist es unser Weg – traurig, aber wahr –, diese Wunschwelt niederzubrennen. Okay, wenn 1,5 Millionen Downloads nicht reichen, dann eben 10 Millionen. Und wenn wir in zwei oder drei Jahren 90 Prozent der Leser erreicht haben, fragen wir noch mal vorsichtig an, ob die Verlage bereit sind, unsere Existenz anzuerkennen. Falls sie dann noch existieren.

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