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Auf der Berliner Spreeinsel soll das „House of One“ entstehen. Im Sommer 2014 begann die Spendenkampagne – hier mit Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Imam Kadir Sanci (von links).

© DAVIDS/Darmer

Interreligiöser Dialog: Den Frieden beweisen

Der Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen ist politisch gewollt. In Berlin soll ein gemeinsames Bethaus entstehen. Wie aber entgeht man purer Folklore und überwindet Gräben in Zeiten großer Spannungen? Ein Bericht zur Lage.

Interreligiöser Dialog? Bis vor Kurzem galt das als Hobby von ein paar Pfarrern und Rabbinern. Mittlerweile begegnen sich Christen, Juden und Muslime auf vielen Ebenen, manchmal sind auch Buddhisten, Hindus und Bahai dabei. Man bekocht einander, Geistliche spielen Fußball zusammen oder treten für die Kameras gemeinsam in die Pedale. Kirchen, Islamverbände und jüdische Gemeinden kämpfen Seite an Seite für den Umweltschutz oder beten für den Weltfrieden.

Das „Gespräch der Religionen“ ist in Mode und politisch gewollt. Das zeigen schon die vielen Einladungen von Politikern „aus Anlass des muslimischen Fastenbrechens“ im kürzlich zu Ende gegangenen Ramadan eindrucksvoll. Der Bundespräsident, die Kanzlerin, der Innenminister und der Regierende Bürgermeister von Berlin erhoffen sich davon positive Effekte für das Zusammenleben der Menschen – gerade jetzt, da so viele Flüchtlinge ins Land kommen. Die politischen Ansagen an die Religionen sind deutlich: Tut euch zusammen, setzt den unschönen Fernsehbildern von gewalttätigen Dschihadisten und hasserfüllten Pegida-Aktivisten etwas entgegen. Beweist, dass ihr friedlich seid. Debatten, Dissens, Streit sind nicht erwünscht.

Auf dem "House of One" liegen hohe Erwartungen

Ein Lieblingsprojekt der Politik ist das geplante „House of One“ auf dem Petriplatz in der Mitte Berlins: Christen, Juden und Muslime wollen dort unter einem Dach beten. Das gibt es so noch nicht in Deutschland. Das Projekt passt perfekt in die Dialog-Konjunktur, der Entwurf des Architekturbüros Kuehn-Malvezzi für den Neubau ist spektakulär. Zu den Unterstützern gehören die Senatskanzlei, das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt, Hermann Parzinger als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie Catherine von Fürstenberg-Dussmann. Die Erwartungen sind riesig, der Zeitplan ist eng. 2018 soll der Grundstein gelegt werden. Bis dahin müssen zehn Millionen Euro zusammenkommen, insgesamt werden 43 Millionen Euro benötigt. Doch die Bilanz der Spendenkampagne ist bislang ernüchternd: Im ersten Jahr wurden 177 000 Euro gesammelt.

Es bleibt weitgehend beim unverbundenen Nebeneinander

Ein anderes Vorzeigeprojekt ist die „Lange Nacht der Religionen“. Die Senatskanzlei hat 2011 den „Berliner Dialog der Religionen“ ins Leben gerufen. Doch Christen, Muslime, Hindu, Bahai und Juden kommen sich kaum näher, wenn eine Nacht lang Kirchen, Tempel, Synagogen und Moscheen geöffnet haben, wie sie es sonst auch bei der Langen Nacht der Kirchen, der Synagogen oder am Tag der offenen Moschee tun. Es bleibt weitgehend beim unverbundenen Nebeneinander.

Öffentlich inszenierte interreligiöse Begegnungen sind oft nicht viel mehr als Folklore oder Symbolpolitik. Das ist wichtig, wenn es darum geht, sich erst einmal kennenzulernen. Gegenseitige Wertschätzung, die auch in Krisenzeiten trägt, setzt allerdings mehr voraus. Aber alles, was theologisch tiefer geht und zu echter Verständigung beiträgt, ist schwierig. Erfolge sind nicht so leicht zu haben, wie sie sich die Politik wünscht: Die Unterschiede zwischen den Religionen sind groß, angefangen bei den Gottesbildern über die religiöse Praxis, den Umgang mit den heiligen Schriften bis zu den letzten Wahrheiten. Da braucht es viel Zeit, sehr viel religiöses Wissen und unendlich viel Vertrauen, um auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen. Und zwar so, dass Unterschiede nicht um der Harmonie willen unter den Tisch fallen und auch mal ein Dissens stehen bleiben kann.

In allen drei Religionen wachsen die fundamentalistischen Ränder

Nun gibt es solche Gespräche durchaus, wenn auch nur in kleinen, nicht-öffentlichen Zirkeln. Man kann die Initiativen in Berlin vermutlich an zwei Händen abzählen. Schon die Orte zu nennen, wo sie sich treffen, würde diesen Dialog gefährden, handelt es sich doch um zarte Pflänzchen, die auf weithin vermintem Gelände gedeihen. In allen drei Religionen wachsen die fundamentalistischen Ränder. Wer sich regelmäßig mit Gläubigen anderer Religionen zusammensetzt, gerät bei Scharfmachern schnell in Verdacht, ein Verräter zu sein – unter Umständen mit existenziellen Folgen. Es erfordert Mut, sich darüber hinwegzusetzen.

Es kommt darauf an, dass sich die Frommen bewegen

Auf der Berliner Spreeinsel soll das „House of One“ entstehen. Im Sommer 2014 begann die Spendenkampagne – hier mit Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Imam Kadir Sanci (von links).
Auf der Berliner Spreeinsel soll das „House of One“ entstehen. Im Sommer 2014 begann die Spendenkampagne – hier mit Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Imam Kadir Sanci (von links).

© DAVIDS/Darmer

Imam Kadir Sanci, der bislang einzige muslimische Partner im Gründungsverein des „House of One“, hat Drohungen erhalten, weil er mit Christen und Juden gemeinsame Sache macht. Trotzdem habe sich so viel entwickelt, schwärmt Roland Stolte vom Vorstand des Vereins, erzählt begeistert von den intensiven internen Debatten – jenseits des Scheinwerferlichts. Er ist nicht unzufrieden mit den 177 000 Euro Spendengeldern. Das Projekt brauche eben seine Zeit, um organisch zu wachsen. In zwölf Monaten seien bundesweite Kooperationen mit Schulen entstanden, man arbeite mit interreligiösen Projekten auf der ganzen Welt zusammen, und in den sozialen Medien werde das „House of One“ so oft angefragt, dass der Verein nicht mehr hinterherkomme. Auch die Organisatoren der „Langen Nacht der Religionen“ berichten davon, wie viel sie voneinander lernen würden.

Dass der interreligiöse Dialog vorankommt, hängt nicht von den säkularen Christen, Juden, Muslimen ab. Es kommt darauf an, dass sich die Frommen bewegen, die sich als Hüter der Tradition verstehen. Viele gläubige Christen im Westen, zumindest die amtskirchlich organisierten, haben sich in den vergangenen 70 Jahren mühsam Pluralismusfähigkeit antrainiert. Auch immer mehr konservative Muslime begeben sich auf diesen Weg. Sie versuchen, etwa an den neu eingerichteten Instituten für islamische Theologie an den Universitäten pluralistische Konzepte fruchtbar zu machen, wie es sie im Islam schon im Mittelalter gab. Auch manche orthodoxe Rabbiner können dem Thema mittlerweile etwas abgewinnen. Und doch sagt ein von vielen Seiten geschätzter Dialogpraktiker: „Bei etlichen Gesprächen trifft christliche Pluralismusfähigkeit auf muslimische und jüdische Unfähigkeit zum Pluralismus.“ Öffentlich würde er das nie sagen. Er wäre dann seinen Job und das Vertrauen vieler los.

Viele Muslime haben Demütigung und Ausgrenzung erlebt

Er nennt ein Beispiel: das unterschiedliche Verständnis von Toleranz. Christen im Westen verstünden darunter die individuelle Glaubensfreiheit. Nach islamischer Ansicht sei wiederum die Glaubensfreiheit gemeint, die einer Gemeinschaft gewährt wird, egal wie restriktiv es innerhalb der Gemeinschaft zugeht. Auch Mentalitätsunterschiede und strukturelle sowie personelle Ungleichgewichte erschweren den Dialog. Das Christentum ist die Religion der Mehrheitsgesellschaft mit politischem Einfluss und großen Ressourcen. Die jüdische Gemeinschaft ist eine anerkannte Minderheit und weiß sich durchzusetzen. Intellektueller Nachwuchs wächst aber erst seit Kurzem heran. Der Islam wiederum hat einen schlechten Ruf und wenig Einflussmöglichkeiten. Die staatliche Anerkennung fehlt weitgehend, auskunftsfähige Theologen sind noch rar. Viele Muslime haben Demütigung und Ausgrenzung erlebt, das belastet den Austausch.

Wie schwer sich auch die evangelische Kirche tut, zeigt die im Juni veröffentlichte Denkschrift „Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Vielfalt“. Die Schrift stellt im Vergleich zur Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ (2006) einen großen Fortschritt dar. Darin hatte die Kirche einen schulmeisterlichen Ton angeschlagen und sich gegenüber dem Islam als Hüter des Grundgesetzes aufgespielt. Viele Muslime empörten sich damals, zu Recht. Die klugen Passagen gingen unter, der bevormundende Ton würgte den Dialog ab. Die neue Denkschrift ermutigt dazu, offen und aus einem Geist der Freiheit heraus auf andere zuzugehen und spricht sich klar für die rechtliche Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften in Deutschland aus.

Kirche, Synagoge, Moschee. Das geplante „House of One“.
Kirche, Synagoge, Moschee. Das geplante „House of One“.

© Simulation: Kuehn/Malvezzi

Doch wo es um die theologischen Details geht, verheddert sich das Dokument in Widersprüchen. Beten Juden, Christen und Muslime zum selben Gott? Einerseits wird Gott als „Gott aller Menschen“ bezeichnet, andererseits heißt es, die jeweiligen Gottesbilder seien zu unterschiedlich, als dass von einem einzigen Gott die Rede sein könne. Fromme Muslime beten zu Allah, gesetzestreue Juden zum Gott Abrahams und Moses’, die Christen zum Vater von Jesus Christus. „Der ‚Gott aller Menschen’ wird hier auf eine Art christlicher Stammesgott reduziert, umgeben von Götzen“, bilanziert der Münsteraner Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel. Außerdem würden Judentum und Islam mit zweierlei Maß gemessen.

Die Debatte muss weitergehen. Dabei ist das Prinzip trial and error vielleicht nicht das Schlechteste angesichts eines derart verminten und von alten Lasten und neuen Ungleichzeitigkeiten beschwerten Themas. Die Religionsgemeinschaften sollten die Zeit und den Raum bekommen, die sie für solche Versuche brauchen. Dazu gehören der Dissens, auch Streit. Allzu große öffentliche Erwartungen oder gar politischer Druck helfen da nicht weiter. Religionen sind keine Konsensproduzenten, keine Harmonielieferanten. Sie sollten sich nicht vereinnahmen lassen. Auch dann nicht, wenn es in bester Absicht geschieht.

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