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Interview: Bogotá hängt London ab

Das Worldtronics Festival bringt zum fünften Mal elektronische Musik aus aller Welt ins Berliner Haus der Kulturen. Ein Gespräch mit Programmchef Detlef Diederichsen über Tänzer, Trends und Traditionen.

Herr Diederichsen, die elektronische Musik versteht sich im Pop immer als der Motor des Neuen. Gibt es beim Worldtronics-Festival, das an diesem Mittwoch beginnt, neue, heiße Sounds zu hören?

Gleich der erste Abend ruft ganz offensiv einen neuen Trend aus: Skweee aus Skandinavien. Das ist eine Art verlangsamter Funk, der immer etwas unrund klingt und vor allem auf analogen Synthesizern gespielt wird. Auch beim Ghana-Hiplife- Abend und dem Kolumbien-Programm, gibt es irre Mischungen, die man hier so noch nicht gehört hat.

Ob Skweee oder Hiplife sich wirklich durchsetzen werden, werden wir erst mit ein wenig Abstand beurteilen können. Gab es in den fünf Festivaljahren Entdeckungen, die tatsächlich später erfolgreich waren?

Ja, schon bei der ersten Ausgabe hatten wir einen Congotronics-Abend, bei dem unter anderem Konono No. 1 mit ihren elektrisch verstärkten Kalimbas dabei waren. Die Gruppe tourt mittlerweile durch ganz Europa und ist quasi im Mainstream angekommen. Ein anderes Beispiel ist Cumbia. Diese traditionelle kolumbianische Tanzmusik hat auf dem elektronischen Parkett eine völlig neue Bedeutung bekommen. Die Stars des Cumbia digital treten überall in der Welt auf. Kürzlich wurde sogar ein Song von Bomba Estéreo aus Bogotá, die vor zwei Jahren bei uns aufgetreten sind, prominent in der US- Fernsehserie „Dexter“ verwendet.

Trends kommen heute nicht mehr nur aus London, New York oder L.A. sondern eben auch aus Städten wie Bogotá. Bringt das Internet allmählich alle auf Augenhöhe?

So weit würde ich nicht gehen. Sicher haben Globalisierung und Digitalisierung den Kulturtransport vereinfacht. Aber nach wie vor dominiert die Wirtschaftsmacht der nordamerikanischen und der europäischen Märkte. Selbst ein eher mittelmäßiger, neuer englischer Act hat sofort eine riesige weltweite Verbreitung, nur weil er auf einem englischen Label ist. Damit können junge Musiker aus Afrika nicht konkurrieren. Es sei denn, sie gehen nach London, Paris oder Berlin, was ja auch viele machen.

Dennoch ist es durch das Internet für Musik aus entlegenen Weltgegenden einfacher geworden, wahrgenommen zu werden. So ist auch die Masse des Materials völlig unüberschaubar geworden, wodurch Experten und Kuratoren immer wichtiger werden.

Wir kuratieren hier sogar Kuratoren. Es reicht ja nicht mehr, irgendwo hinzugehen, sich Musik anzuhören und dann ein paar Sachen auszuwählen. Man muss vor allem die Fachleute für ein Gebiet finden. Brian Shimkovitz ist zum Beispiel in Sachen westafrikanischer Musik der richtige Mann. Er kann einschätzen, was wirklich interessant ist und zu einem Festival wie Worldtronics passt.

Die westlichen Popmusiken sind derzeit vom Blick in die Vergangenheit geprägt. Ein Revival löst die nächste Retro-Mode ab. Gibt es solche Tendenzen auch in Südamerika oder Afrika?

Das ist unterschiedlich. In Afrika gibt es das, soweit ich weiß, gar nicht. Die jungen Musiker aus Ghana interessieren sich überhaupt nicht dafür, was ihre Großväter für Musik gemacht habe. Selbst fünf oder zehn Jahre alte Sachen sind ihnen völlig egal. In Kolumbien und Brasilien ist das anders. Dort ist man sich der Schätze und Traditionen bewusster, auch weil sie zum Teil noch sehr lebendig sind. Man kann nicht durch Kolumbien reisen, ohne ständig alte und neue Cumbia zu hören oder Salsa. Obwohl die 20-Jährigen auch dort eher andere Sachen wie Reggaeton oder Rock im Kopf haben, ist ihnen die rhythmische Komplexität von Cumbia so vertraut, dass sie darauf zurückgreifen, wenn sie selber anfangen zu trommeln oder einen Beat zu bauen.

Welche Vorbilder haben junge Musiker in Kolumbien?

Die US-amerikanische und europäische Popkultur ist auch dort natürlich übermächtig präsent. Die Songs laufen im Radio und die Stars touren genauso wie hier. Als Inspiration spielen vor allem Metal und Hip-Hop eine große Rolle, aber eben auch die lokalen Sounds wie Vallenato, eine Akkordeonmusik von der Küste. Und bei Cumbia digital hören die Kolumbianer sehr aufmerksam hin, was die Argentinier und Mexikaner damit machen. Hier entwickelt sich sogar eine Art lateinamerikanischer Stolz. Man muss sich nicht immer nur daran orientieren, was in Berlin oder London gerade an elektronischer Musik produziert wird, sondern weiß: Wir haben hier selbst etwas Spannendes.

Worldtronics beschäftigt sich mit Clubmusik. Nun ist das Haus der Kulturen kein Club. Wie funktioniert das beim Publikum?

Sehr unterschiedlich. Grundsätzlich gilt: Je clubbiger, desto schwieriger. Wir fangen ja schon um 20 Uhr an. Das ist in Berlin nicht die Zeit, in der man tanzen geht. Da passieren die spannenden Dinge eher um acht Uhr morgens als um acht Uhr abends. Gut funktionieren Abende, bei denen auch eine visuelle Ebene dabei ist und nicht nur jemand hinter einem Laptop oder Plattenspieler steht. Aber elektronische Musik ist ja mehr als Clubmusik. Für mich geht das von Stockhausen über Krautrock bis hin zu Ambient. Und in Pakistan ist electronic gleichbedeutend mit Rock. E-Gitarre eben.

Das Gespräch führte Nadine Lange. Worldtronics, Haus der Kulturen der Welt, 30.11. bis 4.12., Infos: www.hkw.de

Detlef Diederichsen ist seit 2006 Bereichsleiter für Musik, Tanz und Theater im Haus der Kulturen der Welt. Er wurde 1960 in Hamburg geboren und ist zudem Journalist, Autor und Musiker.

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