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Kultur: Interview: "Die Leute wollen nicht zuerzählt werden!"

Kathrin Röggla, geboren 1971 in Salzburg und seit Anfang der neunziger Jahre in Berlin lebend, ist mit ihren beiden Büchern "Abrauschen" (1998) und "Irres Wetter" (2001) eine der auffälligsten zeitgenössischen Autorinnen geworden. Sie schreibt Großstadttexte, die keine üblichen Romane mehr sind, sondern aktuelle Wahrnehmungsmuster auf rhythmisch-assoziative Weise in Sprache überführen.

Kathrin Röggla, geboren 1971 in Salzburg und seit Anfang der neunziger Jahre in Berlin lebend, ist mit ihren beiden Büchern "Abrauschen" (1998) und "Irres Wetter" (2001) eine der auffälligsten zeitgenössischen Autorinnen geworden. Sie schreibt Großstadttexte, die keine üblichen Romane mehr sind, sondern aktuelle Wahrnehmungsmuster auf rhythmisch-assoziative Weise in Sprache überführen. Nicht von ungefähr arbeitet sie in letzter Zeit mit Musikern aus der neueren elektronischen Szene zusammen. In diesem Jahr erhielt sie den mit 30.000 Mark dotierten Italo-Svevo-Preis.

Ihren Texten scheint ein untergründiger Rhythmus mitzuschwingen. Bezieht sich das auf eine bestimmte Musikrichtung?

Die direkte Analogie zu Musik behagt mir nicht. Was in meinen Texten wie auch in der heute so populären elektronischen Musik eine Rolle spielt, das sind technische Verfahrensweisen: Copy and Paste, loops, Scratchen, abrupte Rythmuswechsel, Sounds ineinander zu schieben. Also Collageverfahren. Auf der Textebene sind das aber auch klassische Avantgardetechniken.

Sie beziehen sich primär auf die klassische literarische Avantgarde?

Das, worauf es damals ankam - das Ausbrechen aus dem Kunstzusammenhang, die Rückführung ins Leben - hängt möglicherweise wiederum mehr mit der jetzigen populären elektronischen Musik zusammen als mit der damals zeitgleichen musikalischen Entwicklung, etwa der Zwölftonmusik. Die literarische Avantgarde spielte eben schon mit populären Mustern. So der Dadaismus, der für mich eine wichtige literarische Strömung ist.

Dass die Avantgarde Ihr Bezugspunkt ist, überrascht im heutigen Umfeld. In der Gegenwartsliteratur wird nicht über avancierte Formen diskutiert, sondern übers Erzählen.

Die Avantgarde markierte einen entscheidenden Bruch mit dem, was vorher war. Das ist doch der Punkt! Ich beziehe mich aber auch auf Leute wie Brinkmann, Fichte oder Jelinek, die in den siebziger Jahren weiter in dieser Tradition gearbeitet haben. Da kam noch die massenmediale Ebene dazu, diese ganze Popgeschichte. Auch heute stehen die audiovisuellen und elektronischen Massenmedien im Vordergrund, das bestimmt zwangsläufig auch meine Ästhetik.

Das neue deutsche Erzählen, mit all seinen Identifikationsangeboten und deutsch-deutschen Themen, geht ja implizit davon aus, dass die Avantgarde sich totgelaufen habe, dass die Zeit der Sprachexperimente vorbei sei, dass man das Publikum wieder erreichen müsse.

Ich halte das für Unsinn. Das Publikum ist doch nicht so einfach zu bestimmen. Wenn ich etwas lese, will ich doch nicht zuerzählt werden, es interessiert mich beim Lesen weniger, meiner Wirklichkeit zu entkommen, als mehr mit ihr zu spielen, auf sie zu reagieren, etwas vielleicht anders zu begreifen, was um mich herum geschieht. Literatur als Erkenntnisinstrument kann nicht über triviale Erzählschemata laufen.

Es ist in gewisser Weise auch sehr österreichisch, was Sie da sagen. In Österreich gibt es ja so etwas wie eine spezifische Tradition des Sprachexperiments.

Das stimmt schon, aber ich würde jetzt mal weniger von diesen Einflüssen ausgehen, sondern von der banalen Grundfrage: Was will ich, wenn ich lese? Was kann mir Literatur erschließen? Ich denke, dass man sich dann zwangsläufig Gedanken machen wird um die Schnittstelle Medien/Sprache/Bewusstsein. Das Zusammenspiel von realer und symbolischer Ebene zum Beispiel in der österreichischen Politik kann da durchaus ein Beispiel sein. Auf der Ebene der realen Politik, die in den letzten Jahren auch von der SPÖ, der Sozialdemokratie mitgemacht wurde, wurde eine rassistische und ausländerfeindliche Politik betrieben. Aber erst die symbolische Ebene, also die Medienebene, in der Haider seine berühmten "Sager" macht, erzeugt erst den breiteren Widerstand. Diese Verschiebung vom Realen zum Symbolischen erlebe ich im Moment überall: Der Aktienboom, die Hypes in den Medien, das alles scheint doch entkoppelt zu sein vom Realen. Und das ist auch ein sprachliches Phänomen. Also ich schaue mehr auf das, was um mich passiert, weniger auf die Traditionen.

Aber auch das Arsenal der Avantgarde ist längst geplündert.

Wir leben nicht mehr in derselben Situation, sicher, die Effekte der industriellen Moderne sind immer noch da, wie das zersplitterte Bewusstsein, die Diskontinuität im Leben. Und doch ist es relativ neu, was ich mit Diskursphänomen und Mediensprachen meine. Die Durchdringung und Überformung unseres Bewusstseins mit dieser Medienebene, die Unmöglichkeit, zwischen real und fiktional zu unterscheiden. Das hat auch Konsequenzen für die Arbeit mit der Sprache. In DeLillos und Pynchons Texten kann man das heute gut sehen. Es ist bei weitem noch nicht alles zu Ende gedacht, das ist ein offenes Feld. Heute geht es nicht mehr um den Knall: so, das war bisher nicht da. Heute geht es um das Weiterarbeiten.

Ist das per se auch politisch?

Wenn ich danach frage, was um mich herum passiert, dann ist das natürlich auch von einem bestimmten Interesse geleitet. Was ist Gegenwart? Da geht es ja um Kräfteverhältnisse, um Machtverhältnisse. Das motiviert den Blick und lenkt ihn.

Die Avantgarde lebte ja auch immer von der Utopie, von der Vision einer besseren Gesellschaft.

Eigentlich ist die Sache ja ganz banal. Die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die Schere zwischen arm und reich geht auch hierzulande immer weiter auseinander. Nur scheint das nicht sehr aufzufallen in der Öffentlichkeit. Bzw. kümmert es die wenigsten. Die Bewusstseinsindustrie arbeitet anscheinend gut. Mir geht es darum, wieder eine Optik für gesellschaftliche Verhältnisse zu entwickeln, die heute eben immer auch Medienverhältnisse sind.

Sie beschäftigen sich in letzter Zeit häufig mit Musik, neben den Printtexten gibt es auch Radioarbeit und Hörspiele. Ist es so leichter, avantgardistische Schreibweisen weiterzupflegen?

Es ist einfach so, dass eine Qualität meines Schreibens die akustische Ebene ist - und es mir auch Spaß macht, diese Ebene in öffentlichen Auftritten zu betonen, bzw. die Texte überhaupt im akustischen Rahmen umzusetzen. Und es gibt elektronische Musik, die nicht unbedingt Dancefloor-kompatibel ist wie die Musik von Robert Lippok, mit dem ich ja ein Hörspiel gemacht habe. Also mich interessiert ja weniger die gewöhnliche Lounge-Musik so easy-listening mäßig, mehr das, was beispielsweise so aus der Kölner Elektronikecke kommt, wie Platzgumer oder Thomas Brinkmann, aber auch das sonig-Label mit Mouse on Mars, die ja schon wieder so Spaßelektronik machen und auf Viva laufen, aber immerhin, deren letzte Platte heißt "ideology".

Die Form ist eine andere als bei Lesungen.

Die Radioarbeiten, die ich gemacht habe, funktionieren relativ unterschiedlich. Was mich im Moment interessiert, ist so etwas zwischen den Stühlen zu machen. An dieser ganzen Popgeschichte interessiert ja, dass sie eine Image- und eine Kontextgeschichte ist, und Literatur ist etwas, was man in der Schule lernt und erstmal eine reine bildungsbeflissene Angelegenheit ist, sie wird zumindest darauf festgelegt. Aus dieser festen Zuschreibung manchmal zu entkommen, halte ich für wichtig.

Die Verbindung zur Musik war also eine bewusste Entscheidung, aus einer Sackgasse herauszukommen?

Nicht nur zur Musik. Ich komme eigentlich vom Theater her und habe auch Videoperformances gemacht. Die alleinige Beschränkung auf klassische Lesungen war so eine Art Rückzug von dieser multimedialen Auseinandersetzung, die manchmal auch einfach nur anstrengend sein kann. Ich wollte mich eine ganze Weile lang aufs Schreiben allein konzentrieren. Trotzdem sehe ich den Ort für Literatur nicht alleine im Printmedium, sondern auch immer in akustischen und elektronischen Medien. Und jetzt, wo ich wieder verstärkt damit arbeite, wirkt das auch wieder aufs Schreiben zurück. Die Inszenierung von Authentizität bei Lesungen finde ich eine heikle Angelegenheit. Du spielst dich quasi selbst, wenn du da auf der Bühne bist. Eine Art Verdoppelung. Aber das Problem mit der Präsenz verfolgt mich auch bei dem Versuch, für das Theater zu schreiben. Da ist mir im Moment das Radio als Medium lieber, wo nur Stimmen sind, und diese Stimmen nicht immer so leicht rückführbar auf Figuren.

Sie legen aber Wert darauf, nicht mit all den plattenauflegenden Autoren oder überhaupt der DJ-Culture, wie sie gerade en vogue ist, identifiziert zu werden?

Was ist schon en vogue? Da würde ich ziemliche Unterschiede machen. DJ ist ja nicht gleich DJ. Wie Rainald Goetz Westbam zu verehren, das ist sicher nicht mein Ding, dieser ganze Loveparade-Techno. Anfang der 90er war das noch eine Utopie, eine Eroberungsstrategie von Randgruppen, eine andere Art von Leben wenigstens alltagskulturell zu ertablieren. Jetzt ist das nur noch Ballermann 6.

Ihren Texten scheint ein untergründiger Rhyth

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