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Homme à femmes. Klaus Wagenbach im August 1975, zwei Jahre bevor er sich von Katia Wolff trennte. Seit 1996 ist er mit Susanne Schüssler verheiratet.

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Interview: "Dieser kleine Finger ist weiblich"

Vor dem 80. Geburtstag: Der Verleger Klaus Wagenbach spricht über die Frauen in seinem Leben.

Herr Wagenbach, was spielt in Ihrem Leben die größere Rolle: die Liebe zu Frauen oder die Liebe zu Büchern?

Neulich habe ich ein Merkbüchlein gefunden, aus dem Jahr 1943 oder 1944, kurz bevor wir nach Hessen flohen. Da war ich 13 Jahre alt und hielt fest, was ich gelesen hatte. Jede Woche drei bis fünf Bücher. Ich konnte mich an kein einziges von ihnen mehr erinnern. Aber die große Lehre daraus war: Das Lesen hat mich verführt, als von Frauen noch gar keine Rede war. Bücher waren meine ersten Liebhaber.

Walter Benjamin hat in 13 Punkten die Verwandtschaft von Büchern und Damen des käuflichen Gewerbes beleuchtet. Erster Satz: „Bücher und Dirnen kann man mit ins Bett nehmen.“ Wem gegenüber halten Sie das für die abfälligere Bemerkung?

Erstens sollte man Bücher immer mit ins Bett nehmen, zweitens sich nur mit lesenden Frauen zusammentun. Denn Frauen lesen ja anders. Da muss ich nur unser Lektorat ansehen, das aus drei Frauen und zwei Männern besteht. Die Mischung ist mir wichtig, weil Männer dazu neigen, auf die Machart von Texten zu achten, Frauen sich eher auf die Figuren konzentrieren.

Männer sprechen auch über Liebesdinge anders als Frauen. Tragen Sie das Herz in dieser Beziehung genauso auf der Zunge, wie Sie es sonst gewohnt sind?

Im Fragebogen des „FAZ“-Magazins habe ich einmal auf die Frage, welche Eigenschaften ich an Frauen am meisten schätze, wahrheitsgemäß geantwortet: Klugheit, Geilheit, Gusto. Daraufhin gab es einen furchtbaren Briefwechsel. Die fragten, ob ich nicht über das mittlere Wort nachdenken möchte. Aber nach ein paar Monaten haben sie’s gedruckt.

Im Unterschied zu Ihrem Freund Michael Krüger, der seine Mitwelt, wie Sie in Ihren Erinnerungen „Die Freiheit des Verlegers“ schreiben, literarisch stets ausführlich über sein Leiden an den Frauen informiert hat, gibt es wenig Zeugnisse über Ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht. Sie zitieren Krüger mit der schönen Einsicht: „Ein großer Teil der Weltliteratur ist geschrieben worden, um vor Frauen zu warnen, der Rest warnt unbeabsichtigt vor ihnen.“ Ist Ihr Mitteilungsbedürfnis geringer, weil Sie bessere Erfahrungen gemacht haben?

Frauen sind ein Wunder und eine wehrhafte Zone. Ich war mal Alpinist, manchmal ist mir eine Erstürmung geglückt.

Haben Frauenfiguren aus der Literatur Ihre Erwartungen geprägt?

Die Frauen im Leben waren mir immer näher, weil sie sich unerwarteter verhalten. Selbst nach langer Ehe kann man staunend vor einer Frau stehen und sagen: Aha, diese Seite kennst du noch gar nicht.

Auch die lebenslange Beschäftigung mit dem Distanzbeziehungskönig Kafka und dessen Hang zu Dienstmädchen hat Sie nicht für das Wunder Frau verdorben?

Das mit den Dienstmädchen war der Zeitstil. Jeder Jüngling hat nun mal den Hang zum Küchenpersonal. Kafka hatte, glaube ich, aber weniger Probleme mit Frauen als mit seinem Vater. Und anders als viele meiner 68er-Freunde, die für Spannungen mit ihren Vätern allen Grund hatten, kannte ich dieses Problem überhaupt nicht. In politischer Hinsicht war mein Vater für mich sogar ein Vorbild. Als Katholik wählte er damals Zentrum, und ich bin in der von ihm 1928 gegründeten ersten katholischen Siedlung Berlins, der St.-Josephs-Siedlung, aufgewachsen. Der „Bund deutscher Bodenreformer“ wurde dann von den Nazis kassiert, und mein Vater fand eine Anstellung im Aktenkeller der Deutschen Bau- und Bodenbank in der Taubenstraße.

Trotzdem sind Sie ein Mutterkind.

Ja, mein Vater hatte nichts zu sagen. Ich sah ihn auch kaum. Er war ein Frühaufsteher und Spätnachhausekommer – und eigentlich nur sonntags verfügbar. Zu Hause hatte meine Mutter die Hosen an. Sie war zehn Jahre alt, als ihre Mutter starb, und damals ein spätes Mädchen von 28, das Telefonistin bei der Reichspost war, als sie meinen Vater kennenlernte. Dann hat sie die Familie übernommen. Mein Vater war damit einverstanden. Der war ein Bauernbub, der wusste, wie man ackert und Kühe melkt. Auch seine Mutter war früh gestorben. Dass ich Eltern hatte, die keine Mütter hatten, hat sicher eine Rolle gespielt: Ich bewundere Selbstständigkeit und Autonomie – und einen gewissen Schmuck. Ich liebe geschminkte Frauen, weil meine Mutter immer ungeschminkt herumlief.

Erinnern Sie sich an Ihre erste große Liebe?

Das war Katia Wolff. Spät, mit 21 Jahren.

Kein Mädchen, das den 16-Jährigen verzaubert hat?

Nein. Es gab natürlich in der Studienzeit Frauen, die mir ein paar Kenntnisse beigebracht haben. Aber das waren Freundinnen. Die erste große Liebe war eindeutig Katia, die ich 1954 auch geheiratet habe. Ich hatte sie in der Berufsschule für Buchhändler in Frankfurt am Main kennengelernt. Ihr Vater Andreas Wolff war der Besitzer von Wolffs Bücherstube in Friedenau und Geschäftsführer des Suhrkamp Verlages, wo ich in die Lehre ging. Der Lehrling hat ihm seine Tochter geklaut.

Diese Ehe hielt über zwanzig Jahre.

Ja, ich habe mit allen meinen drei Frauen langfristige Beziehungen und Ehen geführt. Die mit Barbara Herzbruch hat 1991 nach zehn Jahren leider der Tod beendet, und mit meiner jetzigen Ehefrau Susanne Schüssler bin ich nun auch schon 17 Jahre zusammen. Der Beruf hat sie alle zu mir geführt. Die vielsprachige Barbara Herzbruch, sicher die politischste meiner drei Frauen, hat ihr Metier als Lektorin und Redakteurin des „Freibeuter“ zum großen Teil in diesem Verlag erlernt. Sie brachte vom Aufbau der Bremer Universität enorme betriebswirtschaftliche Kenntnisse mit. Sie besaß auch als einzige praktische WG-Erfahrung. Die anderen Verlagsmitarbeiter gingen in ihre Butzen nach Hause, während wir weiter Kollektiv spielten – eine Wirtschaftsform, von der mir Katia übrigens dringend abgeraten hatte. Auch Susanne hat sich auf dem Umweg über den Hanser Verlag mehr oder weniger eingeschlichen und leitet heute den Verlag.

Wenn Sie Ihre drei Frauen unter rein emanzipatorischen Gesichtspunkten betrachten, erkennen Sie dann, dass sie verschiedenen Generationen angehören?

Unbedingt. Sie haben auch ganz unterschiedliche Biografien. Katia war eine Frau mit Nansen-Pass, aus Russland geflohen, die erst durch mich zur Deutschen wurde. Barbara, die Tochter eines Unternehmers im Ruhrgebiet, der überraschend pleiteging, war eine echte Kämpfernatur. Und die dritte kommt aus dem strengen, aber lustigen Bayern.

Was hat Sie und Katia, die mit der Friedenauer Presse ja heute ihren eigenen kleinen Verlag hat, auseinandergebracht?

Wir haben wohl zu spät begriffen, dass wir uns übernommen hatten. Sie müssen sich das Chaos der siebziger Jahre vorstellen, den Verlag in all seiner ökonomischen Bedrängnis und politischen Bedrohtheit. Unentwegt haben fremde Leute bei uns übernachtet, das Auto war verliehen, weil Genossen die Theorie im Land verbreiten mussten, und dann gab es da noch drei Töchter.

Nina, die jüngste, ist heute im Verlag für den Vertrieb zuständig. Was machen die beiden anderen?

Tatiana, die Erstgeborene, lebt als freie Herstellerin in der Schweiz, Yvonne, die zweite, lebt in Italien und ist eine kommunistische Tischlerin. Und dann gibt es noch meine zwölfjährige Tochter Helene aus meiner Ehe mit Susanne.

Sollte man Liebe und Ehe trennen?

Wenn Sie meine kleine Biografie lesen, sehen Sie, dass ich im biografischen Anhang immer sorgfältig auseinandergehalten habe: Zusammenleben mit – Hochzeit mit – Ende des Zusammenlebens mit.

Haben Sie Liebe und Ehe auch sonst gelegentlich auseinandergehalten? Ihr Freund Erich Fried war, wie seine Frau Catherine Fried in dem Erinnerungsbuch „Über kurz oder lang“ berichtet, ja ein ausgesprochener Virtuose der außerehelichen Affäre.

Ich habe mich immer an den schönen Spruch von Günter Grass gehalten: „Ich bin nicht treu, aber anhänglich.“ Nächste Frage bitte.

Können Sie uns, zur Erhellung der Literaturgeschichte, nicht doch mit der Nachricht erfreuen, dass vielleicht auch Sie mit Ingeborg Bachmann ... ?

... Bachmann? Nicht dass ich wüsste. Und überhaupt: Ich bin diskret. Es gibt immer jemanden, den das verletzen könnte. Es gibt Begegnungen mit Frauen, von denen man nur die Erkenntnis in sich aufnimmt und sonst nicht weiter darüber spricht.

Fürchten Sie, dass eines Tages Liebesbriefe auftauchen, die uns darüber aufklären?

Peinliche Briefe gibt es immer. Briefe entstehen in einem bestimmten Moment, einer bestimmten Verfassung. Nur Bürostuhlgermanisten wundern sich über Kurven in der Biografie.

Wie gewinnen Sie Frauen für sich?

Mit allen bewährten Techniken. Gut ausführen, Reisen unternehmen, Blumen schenken ... Jeden Montag bringe ich Susanne einen Strauß ins Büro mit. Und reden, reden, reden. Sich mit einer Frau zu unterhalten, ist an sich schon mal aufregender als mit einem Kerl.

Geben Sie sich Mühe, witzig zu sein?

Natürlich. So viel Hahn muss man sein.

Heißt das, dass Frauen berechenbar sind?

Männer auch. Wussten Sie das nicht?

Hat Ihnen schon mal jemand das Herz gebrochen?

O je, mehrfach. Aber nicht nur Frauen. Wenn ein alter Freund plötzlich die Straßenseite wechselt, geht das einem nicht weniger an die Nieren. Ich habe eine ganze Reihe alter Freunde durch politische Differenzen verloren. Manchmal haben sie sogar völlig unnötige Prozesse gegen mich geführt. Aber der Schmerz, den Frauen auslösen können, sitzt wahrscheinlich tiefer, vor allem, wenn sie einem bewusst das Herz brechen.

Steckte in den offenen Geschlechterverhältnissen der siebziger Jahre nicht auch ein Ideal, dem Sie heute nachtrauern?

In der Praxis war es mit meiner Freiheit so eine Sache. Im Verlag haben wir gearbeitet wie die Blöden. Mehr als ein Besuch im Zwiebelfisch nachts um zwei war oft nicht drin. Oder ich bin, weil ich früher ja sehr gern getanzt habe, schnell mal in ein Lokal namens Tolstefanz, wo es Rock’n’Roll mit Überschlag und allem gab. Oder in den Republikanischen Club der Apo, wenn ich die grässliche Springer-Presse leid war.

Denken Sie manchmal über die männlichen und weiblichen Anteile in sich nach?

In meinen Zwanzigern hatte ich auch Männer als Freund. Es ist mir heute noch angenehm zu sagen: Dieser kleine Finger hier könnte auch einer Frau gehören. Aber wenn Sie wissen wollen, welche Rolle Frauen in meinem Leben spielen, brauchen Sie sich nur den Verlag anzusehen. Einen Verlag der Mütter, in dem wir Männer uns ein bisschen vereinsamt vorkommen können. Ein Verlag der Mütter mit merkwürdigen Aberrationen. Susanne Schüssler führt ihn viel strenger als ich, auch viel planvoller. Meine anarchistische Komponente ist zurückgetreten.

Angenommen, Sie könnten doppelt so alt werden, würden Sie noch etwas Ihnen ganz Unbekanntes über Frauen lernen?

Ich befürchte es. Und ich befürchte, mir würden dafür schon zehn Jahre genügen.

Das Gespräch führte Gregor Dotzauer.

Zu Klaus Wagenbachs 80. Geburtstag am 11. Juli erscheint im Wagenbach Verlag „Die Freiheit des Verlegers – Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe“ (320 S., 19,90 €). Am kommenden Sonntag, den 20. Juni, feiert Wagenbach ab 11 Uhr im Berliner Ensemble das Erscheinen des Buchs.

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