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Schlöndorff

© dpa

Interview: "Er hat alle Genres erfunden"

Ein Großteil der verschollenen 30 Minuten von Fritz Langs Stummfilmklassiker "Metropolis" ist in Buenos Aires plötzlich wieder aufgetaucht. Ein guter Anlass, um Regisseur Volker Schlöndorff zu fragen, warum "Metropolis" als der wichtigste deutsche Beitrag zur Filmgeschichte gilt.

Herr Schlöndorff, „Metropolis“ steht als einziger Film auf der Liste des Weltdokumentenerbes. Was macht Fritz Langs Film von 1927 so bedeutend?

Bis heute wirkt vor allem die Bildsprache nach, auf Plattencovern oder in der Werbung. Fritz Lang war nach New York gereist und Manhattan hatte ihn überwältigt, obwohl sich die Wolkenkratzer an diesem Tag im Nebel verloren. Nach seiner Rückkehr entwarf er mit Hans Poelzig die visionäre Stadt, die nicht nur „Blade Runner“, sondern das gesamte ScienceFiction-Genre beeinflusst hat. Die zweite entscheidende Bildidee war der Maschinenmensch Maria, die durch Stromstöße animiert wird. „Metropolis“ ist nicht der beste Film aller Zeiten, aber er schuf auf einen Schlag zwei Ikonen des 20. Jahrhunderts: die Stadt, die in die Höhe strebt mit fliegenden Autos zwischen den Etagen und den Maschinenmenschen. Ende des 19. Jahrhunderts waren die Maschinen erfunden wurden, gleichzeitig begannen Mediziner wie Robert Koch oder Rudolf Virchow, den Menschen wie eine Maschine auseinanderzunehmen. Beides kam zusammen in Fritz Langs Vision von der Körpermaschine.

Wann haben Sie „Metropolis“ denn zum ersten Mal gesehen?

Ich hatte heute zufällig die alten Programmblätter der Pariser Cinémathèque in der Hand, dort sah ich den Film am Montag, den 1. Dezember 1958, um 18.30 Uhr. Es war ein halbes Jahr nach meinem Abitur. „Metropolis“ hat mich damals genauso gelangweilt wie fast alle Zuschauer seit der Premiere. In meinen Notizen vom nächsten Morgen steht: „Das Spiel der Schauspieler, vollkommen überaltert und übertrieben. Fabelhafte Dekorationen. Die Inszenierung der Massen kündigt schon die Nazi-Aufmärsche an.“

Niemand mochte damals den Film. Warum eigentlich?

Er wurde vor allem wegen seiner Ideologie verrissen, weil er für eine Ehe aus Sozialismus und Kapitalismus wirbt, die auf dem guten Willen der Menschen basiert. Fritz Lang hatte dieses Gedankengut von seiner Drehbuchautorin Thea von Harbou übernommen, das trieft ja noch heute. Zweitens ist er wirklich sehr langatmig, selbst in der gekürzten Version. Aber es freut mich sehr, wenn das Original jetzt wiederhergestellt werden kann.

In den Neunzigern managten Sie sechs Jahre die Babelsberger Filmstudios, in denen „Metropolis“ gedreht worden war. Und in den Sechzigern haben Sie Fritz Lang noch persönlich kennengelernt.

Lotte Eisner stellte ihn mir 1960 in der Cinémathèque vor, ich bat ihn natürlich um ein Autogramm und er kritzelte: „Für Volker Schlöndorff mit dem Wunsch, dass er bald die Filme machen kann, die er möchte.“ Ich halte es hoch in Ehren. Ich habe ihn später in Berlin im Hotel Windsor aufgesucht, nachdem er gerade das „Kindische Grabmal“ abgedreht hatte, wie er sich ausdrückte. Es ging ihm gar nicht gut. Er kämpfte mit dem Produzenten Artur Brauner um weitere Projekte, und sein Produktionsleiter Horst Wendtland hatte die dankbare Aufgabe, Fritz Lang davon in Kenntnis zu setzen, dass Brauner die Rechnung für die Reinigung seiner Hemden aus der Spesenrechnung gestrichen hatte. Damals wurde ihm wenig Ehre angetan. In Babelsberg wollte ich unbedingt, dass wir die Maschinenfrau als Ikone auch der Studios aufstellen. Ich bat ihre Darstellerin Brigitte Helm um Erlaubnis, und die alte Dame erteilte handschriftlich die Genehmigung.

Worauf gründet Fritz Langs Ruhm?

Er hat alle Genres erfunden. Den Abenteuerfilm, die Verfolgungsjagd, die Frau auf dem Mond, den futuristischen Film. Es gibt kaum ein Genre, das er in seinen 14 Jahren in Babelsberg nicht berührt hätte. Und in allen dekliniert er die archaische Dramaturgie des Schicksals. Der Mensch ist dem Schicksal ausgeliefert; egal ob man gut oder schlecht ist, die Götter entscheiden. Er ist nie fatalistisch, sondern zeigt die condition humaine und wie der Einzelne darauf reagiert. Das zieht er stur durch, von seinen Anfängen mit „Der müde Tod“ bis zu den Western und Krimis in Amerika.

Ist er ein Vorbild für Sie?

Ob jemand ein Vorbild ist, kann man selbst am wenigsten sagen. Bei meinem Debütfilm „Der junge Törless“ zeigte ich dem Darsteller des Basini dreimal „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ mit Peter Lorre, damit er sieht, dass auch ein Opfer eine Hauptperson sein kann, ein Täter, mit dem man sich identifizieren kann. Einmal habe ich Fritz Lang in einem Konflikt zwischen Privatem und Beruflichem – es ging um die Besetzung einer Frauenrolle – um Rat gefragt. Er antwortete, bei ihm habe immer der Beruf gewonnen. Das half: Ich habe es umgekehrt gemacht.

Die Fragen stellte Christiane Peitz.

Volker Schlöndorff, Jg. 1939, zählt zu den bedeutendsten deutschen Filmemachern („Die Blechtrommel“). Im August erscheint bei Hanser seine Autobiografie „Licht, Schatten und Bewegung“.

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