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Hans-Christian Schmid

© Gerald von Foris/Berlinale

INTERVIEW: Filme drehen, um die Welt zu verstehen

Den Stoff für seine Dramen findet Hans-Christian Schmid in den Nachrichten. Mit „Sturm“ porträtiert der Regisseur eine UN-Chefanklägerin. Im Interview erzählt er, was er von Karadzic hält und warum ihn polnische Wäscherinnen faszinieren.

Herr Schmid, in Ihrem Wettbewerbsfilm „Sturm“ geht es um eine Chefanklägerin am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Sind Sie über Zeitungslektüre auf das Thema gestoßen?


Das Thema Völkerrecht hatten Bernd Lange und ich schon eine Zeit im Auge, als wir durch einen „Spiegel“-Artikel auf eine deutsche Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag aufmerksam wurden. Ausschlaggebend war die Begegnung mit Hildegard Uertz-Retzlaff. Eine freundliche, unscheinbare Frau um die fünfzig, der wir bei Automatenkaffee und Kuchen auf Papptellern gegenübersaßen. Eigentlich ein friedliches Kaffeekränzchen, wenn sich an den Wänden ihres Büros nicht die Akten mit den Kriegsverbrechen bis zur Decke stapeln würden.

Sie sagten einmal, Sie drehen Filme, um Menschen zu verstehen. Wen wollten Sie diesmal verstehen?

Die von Kerry Fox gespielte Anklägerin hat in Den Haag aus idealistischen Motiven angefangen und findet sich zehn Jahre später in einer Zwangsjacke von politischen Abhängigkeiten und finanziellen Beschränkungen wieder. Sie muss entscheiden, ob sie weiter bereit ist, Kompromisse einzugehen. Seit dem Beschluss der UN, das Mandat des Tribunals 2010 zu beenden, gibt es einen ungeheuren Zeitdruck für die Richter, Ankläger und Verteidiger. Ein Ankläger erzählte uns, dass er seine Anklage, für die er, sagen wir, 60 Stunden zur Verfügung hat, wie eine Geschichte aufbaut. Er entwirft das Bild eines Kriegsschauplatzes und belegt mit den Zeugen Schritt für Schritt, was sich dort abspielte. Wenn der Richter nun mitten im Verfahren bittet, 20 Stunden einzusparen, bringt das seine Dramaturgie völlig durcheinander. Im schlimmsten Fall ist die Chance, einen Kriegsverbrecher zu verurteilen, für immer verschenkt. Im Film spielt Anamaria Marinca ...

... die Hauptdarstellerin aus „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“, dem rumänischen Cannes-Sieger von 2007 ...

... eine der Zeuginnen, auch sie steht an einem Wendepunkt. Besonders für Vergewaltigungsopfer bedeutet es ja eine große Überwindung, nach fünfzehn Jahren ihrem Peiniger gegenüberzustehen. Zeitdruck ist das Letzte, was so jemand braucht. Sie muss nun entscheiden: Soll sie die Konfrontation mit der Vergangenheit weiter meiden – sie hat nicht einmal ihrem Mann erzählt, was ihr zugestoßen ist – oder soll sie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gehen?

Ist der Gerichtshof eine Männerwelt?

Die Mehrheit der Richter, Ankläger und Verteidiger sind Männer. Aber die ehemalige Chefanklägerin Carla del Ponte wurde durch ihre Hartnäckigkeit zur Schlüsselfigur. Und Hildegard Uertz- Retzlaff gelang die Anerkennung von Vergewaltigung als Kriegsverbrechen.

Haben Sie die Auslieferung von Karadzic in Den Haag miterlebt?

Ich hatte ein Hotelzimmer gegenüber dem Tribunal und sah am Morgen nach seiner Verhaftung, wie die Übertragungswagen vorfuhren. Wir mussten unseren Drehtermin wegen der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen zwar verschieben, aber ich bin natürlich froh, dass er gefasst wurde. Ich freue mich über die Aufmerksamkeit, die dem Tribunal dadurch zuteil wurde. Völkerrecht ist auf den ersten Blick nicht gerade spannender Kinostoff.

In Ihrem Dokumentarfilm „Die wundersame Welt der Waschkraft“ geht es um polnische Wäscherinnen. Auch nicht gerade ein Aufreger-Thema.

Auf die Wäscherei Fliegel bin ich durch eine Reportage in der „Süddeutschen“ gestoßen. Mich hat das sofort interessiert: Eine deutsche Wäscherei auf der polnischen Seite der Grenze, die Tag und Nacht die Wäsche aus den Berliner Nobelhotels wäscht. Im Lauf der Dreharbeiten ist es dann eher ein Film über zwei Wäscherinnen, Beata und Monika, und ihre Familien geworden als einer über das Waschen in Zeiten der Globalisierung und des Niedriglohns. Die Frauen sind einerseits froh über ihre Arbeitsplätze in dieser strukturschwachen Gegend. Andererseits ist ihnen bewusst, dass sie wenig Geld für körperlich zum Teil sehr schwere Arbeit bekommen. Mein Kameramann und ich haben das mal ausprobiert und die feuchten Laken in die Mangel eingespannt. Das geht vielleicht eine halbe Stunde bei mir, die machen das den ganzen Tag.

Sie kommen den Familien sehr nah, zum Beispiel der kleinen Tochter Claudia, die völlig übermüdet die beiden Brüder weckt.

Wir hatten Beata nach der Nachtschicht bis vor die Haustür begleitet. Als sie schlafen ging, haben wir gefragt, ob wir bleiben dürfen, bis die Kinder aufstehen. Und dann hatten wir einfach Glück, dass Claudia überhaupt keine Notiz von uns nahm und damit anfing, ihre Brüder aufzuwecken. Diese Nähe wünsche ich mir natürlich, wenn ich einen Film mache.

„Lichter“, „Sturm“, „Waschkraft“ – Sie drehen oft in Polen und Osteuropa. Auch der zweite von Ihrer Berliner Produktionsfirma 23/5 produzierte Film, Robert Thalheims Auschwitz-Film „Am Ende kommen Touristen“ spielt dort. Was ist so spannend in Polen?

Mein Interesse für Polen fing vor zehn Jahren im Keller eines Jugendclubs irgendwo in einer Kleinstadt im Taunus an. Michael Gutmann und ich recherchierten für seinen Film „Herz im Kopf“ und trafen dort polnische Au-pairs mit ihren deutschen Freunden. Eine Welt für sich, von der wir wenig wussten. Danach kam die Zusammenarbeit mit Kameramann Bogumil Godfrejow bei „Lichter“ und „Requiem“, es entwickelte sich eine Freundschaft, ich war bei seiner Hochzeit in Krakau, danach ein paar Tage an der Ostsee bei Danzig. Es ist spannend, die Entwicklung seit der Wende in Polen zu verfolgen und zu sehen, wie wir Deutschen uns verhalten – nach der oft unglückseligen gemeinsamen Geschichte. Die Polen, die mir begegnet sind, sind oft sehr herzlich, gastfreundlich und temperamentvoll. Im Sommer in einer polnischen Kleinstadt, wenn sich das Leben draußen abspielt, das hat fast eine südländische Atmosphäre.

Wie dreht man denn einen Dokumentarfilm in Polen, ohne die Sprache zu können?

Ich habe vor den Dreharbeiten fünf Doppelstunden Polnisch genommen, aber das ist viel zu wenig. Die Sprache ist schwer. All diese Wörter, die so aussehen, als wären die Vokale rausgefallen und die Konsonanten aneinandergerutscht! Ohne Bogumil und Malgosia, unsere Produktionsleiterin, hätte ich das Projekt gar nicht erst angefangen.

Haben Sie eine polnische Putzfrau?

Ja. Sie wundert sich schon lange darüber, warum ich mich immer wieder mit dem Land beschäftige, aus dem sie kommt, mich aber kaum mit ihr verständigen kann. Aber ich glaube, sie freut sich.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

„Sturm“: 7. 2., 12.15, 19.30 Uhr (Berlinale-Palast), 8.2. 12, 22 Uhr (Friedrichstadtpalast), 17.30 Uhr (Urania), 15.2., 20 Uhr (B.-Palast) „Die wundersame Welt der Waschkraft“ (Forum): 12. 2., 15 Uhr (Cinestar 8), 13. 2., 20.15 Uhr (Delphi), 15. 2., 20 Uhr (Cubix 9)

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