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Interview: Jeder ist seines Unglückes Schmied

Besser, kreativer, flexibler: Wenn sich selbst zu entwickeln bedeutet, sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten. Der Soziologe Ulrich Bröckling über den Zwang zur Selbstvermarktung.

Herr Bröckling, Ihre Studie über das unternehmerische Selbst öffnet dem Leser die Augen. Plötzlich wird erkennbar, in welchem Maß die Ökonomie unser Leben bestimmt. Wann ist Ihnen das Eindringen der Marktmechanismen in alle sozialen Beziehungen zum ersten Mal aufgefallen?

Während meiner beruflichen Tätigkeit in den neunziger Jahren. Als Lektor betreute ich Fachbücher zu sozialpädagogischen Themen, in denen ich immer öfter die Tendenz entdeckte, soziale Arbeit als Management zu verstehen. Mein Unbehagen wuchs und ich sah mir die gerade boomenden Erfolgsratgeber an. Hier zeigte sich die Aufforderung, sein Leben zu optimieren, Kosten und Nutzen zu kalkulieren, seine Kräfte zu mobilisieren, innovativ zu sein – kurz, sich als Unternehmer des eigenen Lebens zu begreifen.

Sie stellen klar, dass das unternehmerische Selbst nicht mit dem homo oeconomicus verwechselt werden sollte.

Der unternehmerisch handelnde Mensch ist zwar ein Buchhalter, der alles berechnet – er ist aber auch ein Spieler, der Risiken eingeht und den Schritt ins Unbekannte wagt. Er weiß, dass es gerade nicht berechenbar ist, wo die Gewinnchancen liegen. Unternehmerisch zu handeln, bedeutet immer, eine Wette auf die Zukunft abzuschließen.

Aber grundsätzlich ist für diese Haltung das Prinzip eines Kosten-Nutzen-Denkens leitend?

Die Forderung, in allen Lebensbereichen unternehmerisch zu handeln, ist eine Umsetzung der Humankapitaltheorie, deren Grundaussage ist: Jedes menschliche Verhalten lässt sich in Kosten-Nutzen-Kalkülen beschreiben.

Inklusive Seelenleben, Gefühle, Liebe?

Inklusive Liebe. Wobei die Humankapitaltheoretiker sagen: Wir wissen nicht, ob Menschen tatsächlich alle ihre Handlungen und Verhaltensweisen rational kalkulieren, aber es ist sinnvoll, von dieser Voraussetzung auszugehen, weil das belastbare Prognosen erlaubt. Es liegt ja auch nahe, Menschen in ihrem Denken, Fühlen und Verhalten als Investoren zu beschreiben, die ihren größtmöglichen Nutzen erzielen wollen – ob das nun das höhere Gehalt ist, der richtige Mann, die richtige Frau, das private Glück ...

... aber so ist der Mensch nicht. Der Begriff Humankapital wurde aus gutem Grund zum Unwort.

Unwort hin oder her: Es ist schwer, die eigenen Fähigkeiten, das Aussehen, die Bildung, die Beziehungen nicht als persönliches Kapital zu begreifen, das man investieren muss, um es zu vermehren. Niemand weiß, wie der Mensch ist. Das Einzige, was man sagen kann, ist, dass Menschen Wesen sind, die geformt werden und die sich formen können.

Wie ist dabei das Verhältnis zwischen Freiheit der Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Bevormundung zu verstehen?

Die Art und Weise, wie wir unser Leben gestalten, können wir uns nicht aussuchen. Auch die Forderung „Verwirkliche dich selbst“ oder „Sei autonom“ ist eine soziale Norm. In der Gegenwart steht dieser Ruf immer unter der Bedingung des Wettbewerbs. Sich selbst zu entwickeln heißt dann, sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten. Man muss nicht nur gut, schnell, flexibel und kreativ sein, sondern besser, kreativer, flexibler als die anderen. Und weil die anderen permanent aufholen, ist das eine Bewegung ohne Ende und Ziel.

Immerhin gibt es kein Orientierungsproblem. Jeder weiß, was er wollen sollte. Entlastet die Existenzform des unternehmerischen Selbst deshalb von Sinnfragen?

Der einzige Kompass ist der Wettbewerb. Was heute ein Erfolgsrezept ist, kann morgen der sichere Weg ins Abseits sein. Also keine klare Richtung, sondern ein ständiges Neujustieren. Ich schließe nicht aus, dass eine solche Haltung von Sinnfragen entlastet. Aber der Preis ist die Paradoxie einer fremdbestimmten Selbstbestimmung. Denn ich orientiere mich nicht an eigenen Wünschen und Maßstäben, sondern folge den Bewegungen des Wettbewerbs.

Wir nähern uns Ihrem Unbehagen.

Wenn ich mir die Empowerment-Floskeln der Coaches anhöre, klingt alles ungeheuer ermutigend: „Du kannst, wenn du willst!“ Aber diese Texte haben einen Subtext, der etwas sehr Entmutigendes, auch Demütigendes hat. „Du kannst, wenn du willst“ heißt ja, dass diejenigen, die an den Herausforderungen scheitern, dafür die Verantwortung tragen. Wenn jeder seines Glückes Schmied ist, sind alle an ihrem Unglück selbst schuld. In der Forderung, unternehmerisch handeln zu sollen, steckt deshalb eine große Härte.

Wie reagieren denn Ihre Studenten, wenn Sie von dieser Ökonomisierung sprechen?

Mit einem „Ja genau, das entspricht unserer alltäglichen Erfahrung“. Aber dieser Wiedererkennungseffekt bedeutet nicht unbedingt, dass dieser Selbstvermarktungsdruck auch als problematisch erfahren wird. Die Reaktion drückt eher eine Bestätigung aus: So ist es nun mal. Die Verhältnisse erscheinen als eine Art Naturgesetz, deshalb wird ja auch Kritik schwieriger ...

... die gar keinen Punkt findet, an dem sie konkret einhaken kann, wenn sich die Logik des Marktes durchsetzt.

Ich habe darum das Bild eines Sogs gewählt. Es verweist darauf, dass es sich um eine subjektlose Macht handelt. Natürlich gibt es Akteure, die dafür sorgen, dass sich der Kategorische Imperativ „Lebe unternehmerisch!“ durchsetzt. Allerdings heißt Sog auch, dass es Wirbel gibt, Gegenkräfte, ein individuelles Agieren, das sich gegen Zumutungen wehrt. Man muss sich nicht mitziehen lassen, ein Sog ist kein Zwang. Aber natürlich ist Mitschwimmen leichter.

Gerade die sanfte Gewalt verschleiert die Macht der Bevormundung. Oder sehen Sie grundsätzlichen Widerstand?

Es gibt vielfältige Proteste gegen staatliche Sparprogramme, die besonders hart für diejenigen sind, die ohnehin nicht viel haben. Als eine letztlich selbstzerstörerische Form des Widerstands kann man auch die zunehmende Zahl depressiver Erkrankungen begreifen. Die Überforderung, die mit der unternehmerischen Anrufung verbunden ist, führt zu Depression und Burn-out als Zeitkrankheiten. Es wehrt sich der Körper, es wehrt sich die erschöpfte Seele mit dem Signal: Ich kann nicht mehr. Auch Resignation ist eine Form des Widerstands.

Von Joseph Beuys stammt der Rätselsatz: „Ich möchte mich durch Kraftvergeudung.“ Könnte man damit die Aufforderung zu einem Widerstand gegen die Lebensform des unternehmerischen Selbst verbinden?

Vielleicht. Vergeudung, Verschwendung haben etwas Spielerisches, auch Exzessives – das widerspricht auf jeden Fall dem ökonomischen Prinzip, mit Ressourcen rational und sparsam umzugehen. Schon deshalb steckt in dem Satz ein Moment der Kritik. Aber Vergeudung der eigenen Kräfte ist natürlich nicht schon per se ein Akt der Subversion.

Haben Sie manchmal das Gefühl, Ihre Zeit zu vergeuden?

Die verinnerlichte Arbeitsmoral sorgt für ein schlechtes Gewissen, wenn man seine Zeit nicht effektiv nutzt. Dabei hat Zeitvergeudung oft mit Freude und Selbstvergessenheit zu tun, mit einer Haltung der Großzügigkeit gegenüber sich selbst. Solche Momente kenne ich, aber sie sind selten.

Das Gespräch führte Angelika Brauer

Ulrich Bröckling, geboren 1959, lehrt Kultursoziologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Seine Studie „Das unternehmerische Selbst“ ist bei Suhrkamp erschienen.

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