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Interview: Kunst kommt von Kochen

Ferran Adrià gilt weltweit als der Verrückteste aller Meister am Herd. Nun wurde er auf die Documenta eingeladen – und will dort mit einem Geheimnis überraschen.

Herr Adrià, was ist Ihr Lieblingsgericht?

Auf so eine Frage antwortet man meist mit Stereotypen, also: Die Tortilla von meiner Mutter mag ich echt gern. Meeresfrüchte! Jetzt nach dem Interview hätte ich richtige Lust, diese Currywurst zu probieren, von der hier alle reden.

Also lieber keine Ferran-Adrià-Küche?

Darauf muss man sich vorbereiten, das kann man nicht einfach so beschließen. Man geht ja auch nicht einfach so ins Kino – und landet plötzlich in einem Pornofilm. Ha, das war jetzt zu radikal, nehmen wir einen Actionfilm, darauf muss ich vorher eingestellt sein. So ist es auch mit meiner Küche, die ist nichts, um einfach nur den Hunger zu stillen.

Die Documenta ist eine avantgardistische Kunstausstellung, Sie haben im vergangenen Jahr in Berlin den Lucky Strike Designer Award bekommen – bestätigt das nicht die Kritiker, die Ihnen vorwerfen, dass Sie eher Designer sind als Koch?

Ich empfinde das als großes Kompliment. Mich freuen diese Ehrungen sehr, denn ich habe jahrelang dafür gekämpft, dass die Menschen Essen als ein kulturelles Ereignis begreifen. Immer wieder werden Leute für die Gestaltung von Dingen ausgezeichnet, die um den Teller herum angesiedelt sind – aber nie jene, die für die Gestaltung auf dem Teller sorgen, die Köche. Wenn hier vor uns eine Suppe von Ferran Adrià stünde, aber in einer Konservendose – dann würde ja auch niemand daran zweifeln, dass es sich um ein Stück Design handelt.

Sie machen Spaghetti aus Gelee, servieren heißes Eis und verarbeiten Melonensaft zu Kugeln, die wie Kaviar aussehen. Wann hatten Sie zum ersten Mal den Eindruck, einen völlig neuen Weg zu beschreiten?

Das habe ich nicht mal gemerkt. Wir haben unsere Arbeit anfangs nicht analysiert, sondern die Grenzen immer weiter verschoben. Und dann kamen Leute und sagten, hallo, da geschieht ja etwas ganz Neues.

Ihre Küche der Dekonstruktion hat in Spanien zahlreiche Nachahmer gefunden, in Deutschland hingegen kaum. Viele Köche haben ein paar Versuche gemacht, dann lief es schief, und sie haben es aufgegeben. Kommt da eine zweite Welle auf uns zu?

Das halte ich für möglich. Schauen Sie unsere Methode an, am Tisch mit Flüssigstickstoff Eis zu machen. Das sah am Anfang total abgefahren aus – und heute ist es praktisch das Standardprogramm jeder besseren spanischen Hochzeit, die modernen Caterer haben die Idee aufgegriffen und popularisiert. Salziges Eis andererseits haben wir 1993 zum ersten Mal gemacht und sind fast ins Irrenhaus eingeliefert worden, das ist noch nicht in den Supermärkten angekommen.

Sie haben ein Manifest der modernen Küche verfasst, in dem zwei Grundelemente der modernen Gourmet-Küche überhaupt nicht vorkommen: Die regionale Tradition und die Saison. Ist das Absicht?

So etwas wie Region existiert nicht, nur das Gefühl existiert. Tradition kann manipuliert werden, wird oft manipuliert. Ich koche mit allem, was ich vor der Haustür finde. Aber das mit der Saison ist ein guter Hinweis, da müssen wir vielleicht noch dran arbeiten. Nur ist heute eben ein Flugzeug von Chile unter Umständen schneller in Berlin als ein Lastwagen von Düsseldorf, damit ist der regionale Zusammenhang gelockert, und der jahreszeitliche sowieso. Und wollen Sie in Berlin auf Meeresfrüchte verzichten, nur weil es die hier nicht gibt? Man muss da ein vernünftiges Gleichgewicht finden.

Aber viele berühmte Köche wie Michel Bras ziehen aus dieser globalisierten Situation ja gerade den umgekehrten Schluss und suchen noch intensiver nach Produkten aus ihrer unmittelbaren Umgebung.

Das ist mein Lieblingskoch. Aber er lebt mitten auf dem Land, und was meinen Sie, wo der seine Fische herholt? Es gibt ja in der Tat diesen Mythos, dass wir uns im „El Bulli“ nicht um Produkte kümmern, sondern nur um Technik. Die Wahrheit ist: Während der sechs Monate im Winter, die das Restaurant geschlossen ist, suchen wir nach den besten Produkten, aber weltweit.Wenn sie in Australien das beste Olivenöl machen würden, bitte, dann hätten wir es. Aber wir verwenden sicher nicht weniger Zutaten aus unserer Umgebung als andere gute Restaurants.

Aber die entscheidende Grundlage der Molekularküche …

Halt! All diese Technik, das ist doch nur die ganz dünne Oberfläche. Wir sind 20 Jahre ohne Wissenschaft vorangekommen, sie hat erst 2003 ihren Eingang ins Bulli gefunden. Und dass ich mit Wissenschaftlern zusammenarbeite, heißt nicht, dass ich Wissenschaftsküche koche. Jeden Tag muss ich lesen: Ferran Adrià, der Erfinder der Molekularküche. Das ist ein Marketingbegriff, den ich nicht benutze. Er existiert für mich einfach nicht. Das, was ich mache, trägt keinen Namen. „Küche des Wissens“? Ja, vielleicht.

Was unterscheidet die aktuelle Küche im „El Bulli“ von der, sagen wir, 2004?

Unsere Küche ist jedes Jahr völlig neu, aber basiert natürlich auf den Erkenntnissen der Vorjahre. 2005 haben wir zum Beispiel die Gefriertrocknung eingeführt, eine revolutionäre Technik, die in der Industrie längst üblich ist. Damit können wir Kuchen backen ohne Eier und ohne Mehl, wir können Apfelsinenscheiben erzeugen, die außen trocken sind und innen ganz frisch. Daraus entstehen wiederum viele andere Dinge – das hoffe ich jedenfalls, es kann allerdings auch sein, dass es nur eine kurzlebige Sache ist, keine Ahnung. Und je besser wir mit diesen Methoden vorankommen, desto schneller verändert sich unsere Küche. Ob es dem Gast dann gefällt oder nicht, ist eine andere Sache. Wir versuchen nicht, ihn mit Technik zu beeindrucken, sondern eine Emotion auszulösen. Aber Provokation muss sein. Wenn alle Gäste rausgehen und sagen: fantastisch!, dann stimmt was nicht.

Gibt es so etwas wie ein perfektes Gericht, das dann zehn Jahre auf der Karte steht?

Nicht bei mir. Es gibt keine Perfektion. Klar, wenn Sie heute ein Menü machen und das zehn Jahre kochen, dann wird es im technischen Sinn perfekt sein, aber das interessiert mich nicht.

Wie hat Roger Buergel, der Leiter der Documenta, Sie dazu gebracht, die Küche zu verlassen und nach Kassel zu kommen?

Das war ganz einfach. Er war vorher noch nicht einmal in meinem Restaurant, sondern hat mich ausgewählt für das, was ich repräsentiere. Um ehrlich zu sein: Ich bin sofort dabei bei allem, was nichts mit Kochen zu tun hat. Wenn er mich zu einem Kochkongress eingeladen hätte, hätte ich gesagt, vergiss es, ich rede sowieso schon den ganzen Tag darüber. Ich wusste, was die Documenta ist, aber mehr nicht, und ich habe zugesagt, ohne nachzudenken. Die Reflexion über das Essen ist das Gute daran, denn die Erfahrungen, die man in guten Restaurants macht, sind vergleichbar mit den Erfahrungen in der Welt der Kunst. Vor fünf Jahren hätte ich vielleicht noch abgelehnt. Nach meinem Gefühl ist die Gesellschaft jetzt reif, das Thema nicht mit so einem Witz abzutun, nicht einfach nur zu sagen, was soll denn der Koch da? Gut oder nicht gut, das ist alles.

Aber als der Dalí der Küche gelten Sie doch schon längst.

Na, mir ist Picasso lieber. Aber auch der ist nie gefragt worden, ob er vielleicht der Escoffier der Malerei sein will.

Wie haben Sie sich der Herausforderung nun genähert?

Ich habe mit zwei Menschen gesprochen, mit Marta Arzak, die im Guggenheim Bilbao arbeitet, ihr Vater ist der Koch Juan Mari Arzak, mein bester Freund. Und mit dem Redakteur meiner Bücher, der meine Küche am besten kennt. Dann habe ich hundert Ideen gehabt, mich als Künstler zu betätigen. Aber das ist nicht meine Welt, da hatte ich zum ersten Mal seit Jahren richtig Stress. Dann war Roger mit seiner Frau hier zum Essen, und er ging dann etwas verwirrt in den Garten und sagte, ich bin ein wenig durch den Wind. Das konnte ich verstehen, so ging es mir seit vier Monaten.

Wie ist der Knoten geplatzt?

Das verrate ich noch nicht. Ich hab eine kleine Zeichnung gemacht und Roger gezeigt, und er hat gesagt, genau das habe ich auch gedacht. In diesem Moment hat das Werk begonnen, und wir haben gesagt, jeder kann sich jetzt per Internet beteiligen und seine Vorschläge einbringen. Am Mittwoch, wenn wir das Werk der Presse vorstellen, werden wir sehen, ob sie auf die gleiche Idee gekommen sind. Auf der Documenta ist alles möglich, ich könnte sagen: Ich will zum Mond fliegen und dort über ein Gericht nachdenken. Aber wir sind Köche, wir werden respektvoll mit der Welt der Kunst umgehen. Wenn das, was wir da tun, als Kunst anerkannt wird – genial. Aber dann ist das nicht der Erfolg von Ferran Adrià, sondern ein Erfolg der Küche an sich. Die Köche, die in der ganzen Welt um Anerkennung kämpfen, die haben das verdient.

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