zum Hauptinhalt

Interview mit Echt-Drummer Florian Sump: „Ich bin ein sehr guter Wickler“

Er ist ein Mann der Praxis, Theorie liegt dem Kindergärtner Florian Sump weniger. Von nervenden Eltern, fliegenden BHs, jeder Menge Salami-Pizza und Trickpädagogik.

Von

Herr Sump, es ist Winter – Schnupfen- und Bronchitiszeit, in vielen Kitas herrscht Ausnahmezustand. Wie geht es Ihnen?

Danke, sehr gut. Um mich herum fallen die Kinder zwar um wie die Fliegen, aber ich bin der wandelnde Antikörper.

Da sind Sie eine Ausnahme. Und nicht nur deswegen: Lediglich 2,9 Prozent aller Erzieher in Deutschland sind Männer. Dabei wiederholen Experten ständig, männliche Bezugspersonen seien wichtig.

Mit Theorie kenne ich mich nicht aus. Das war schon in der Schule so. Ich gehöre in die Praxis. So was wie Erste Hilfe, wie man jemanden wiederbelebt, das hab’ ich drauf. Von daher ist es gut, dass ich keine richtige Ausbildung habe.

Sie sind gar kein ausgebildeter Erzieher?

Ich bin nach der 11. Klasse vom Gymnasium gegangen und wurde Rockstar mit Echt. Danach habe ich in allen möglichen Jobs gearbeitet, war aber nie vier Jahre am Stück angestellt – die Voraussetzung für eine Ausbildung. Dass ich meinen Zivi im Kindergarten gemacht und zwischendurch als Erzieher gejobbt habe zählte nicht. Besser, ich hätte vier Jahre bei Penny an der Kasse gesessen.

Was waren das für Jobs?

Ich habe auf dem Wandsbeker Markt als Wurstverkäufer gearbeitet, als Videothekar, als Umzugshelfer, und Hotelzimmer habe ich auch geputzt. Sachen, wo ich mich nicht festlegen musste. Man sagt Männern ja nach, dass sie das nicht gern tun.

Seit fünf Jahren arbeiten Sie in einer Hamburger Kita. Was machen Sie anders als Ihre Kolleginnen?

Ich mach’ die Sachen auf die Männerart. Aber Klodeckel auswechseln, was an die Wand nageln, da fragen die Frauen mich nie, ich mach zu viel kaputt. Ich bin mehr so der pflegerische Typ. Ich bin ein sehr guter Wickler. Nach drei Handgriffen ist das Kind wieder sauber.

In der Zeitschrift „Eltern“ wurde diskutiert, ob Männer überhaupt wickeln dürfen.

Ich hab’ mir da nie Gedanken drüber gemacht. Wenn man damit anfängt, kann man die Arbeit gleich lassen. Bislang hat noch kein Kind, das ich gewickelt habe, ein Trauma.

Vermissen Sie die Zeit Ende der 90er, als Ihnen noch BHs um die Ohren flogen?

Die Konzerte fehlen mir, das Reinkloppen auf dem Schlagzeug. Wir gründeten Echt, als ich elf war, der Hype ging mit 16 los. Den größten Hit hatten wir 1999 mit „Du trägst keine Liebe in dir“. Bis ich 21 war, gab es nichts anderes. Wenn wir auf Tour waren, musste ich mich nur darum kümmern, zur richtigen Zeit hinterm Schlagzeug zu sitzen und in Interviews so zu tun, als würden nicht wieder die gleichen Fragen gestellt.

Die Reporter wollten bestimmt wissen, ob Sie Freundinnen haben?

Vor allem, ob wir das wirklich alles selbst spielen und nicht zusammengecastet sind, wie viele andere zu der Zeit. Das war, bevor es Bands wie Juli und Silbermond gab. Da war nur dieser Eurokram: Dr. Alban, Nana, Captain Jack, Tic Tac Toe. Daraus entstand bei uns eine Antihaltung. Wir haben immer voll drauf gepocht, dass wir schon Hunderte von Konzerten gespielt haben, bevor einer über uns berichtet hat.

Was ist lauter, Bühne oder Kita?

Kita. Weil’s länger dauert. An manchen Tagen brülle ich nach dem Feierabend, ohne es zu merken, weil ich eben auch mit den Kindern laut werden muss. Wenn ich mich nicht durchsetze, herrscht Anarchie.

Inzwischen machen Sie mit den Kindern Ihre eigene Musik.

Musik ist ja immer da in Kitas. Meistens gibt es einen Morgenkreis …

… und da haben Sie die typischen Kinderlieder nicht mehr ertragen?

Nein! Ich sing da gern mit, „Einmalig ist jedes Kind“ zum Beispiel. In der Kita-Yoga-Gruppe haben wir auch Entspannungsmusik gehört, mit Hip-Hop-Beats. Irgendwann habe ich gemerkt, die haben da mehr Bock drauf als auf Yoga-Figuren wie die Schildkröte.

Kinder sind geborene Rapper?

Sie sind natürliche Freestyler. Mit den älteren Kindern, so ab drei, machen wir die Jungs-Mädchen-Wall. Da stehen sie in Reihen und jeder darf mal abtanzen, wie er kann. Zum Beispiel den Roboter oder diese Bewegung als wolle man sich die Schulter putzen. Ich mach’ dazu den DJ.

Schreiben die Kinder auch Ihre Songtexte?

Nein. Dafür erinnere ich mich, wie ich früher geredet hab’ und schau, ob die heute noch so sprechen. „Fang mich doch, du Eierloch; Weggegangen, Platz vergangen“ – das hat sich über Generationen weitergetragen. Ich habe da einen schier unerschöpflichen Zugriff drauf, was bei mir rumgeisterte. Nur haben wir damals nicht gesagt: „Ich spiel heute Barbie Online auf dem iPad von Papa.“

Gibt es eine Moral aus dem Hip-Hop, die man Kindern vermitteln kann, oder geht’s da nur um Spaß?

Spaß kann ja auch ’ne Moral sein. Ich erzähl den Kindern aber auch die Geschichte der Musik: dass das eher arme Leute gemacht haben, die kein anderes Sprachrohr hatten. Das frag ich dann auch immer ein bisschen ab beim nächsten Mal.

Und wenn die Eltern Operngänger sind?

Bis jetzt gabs noch keine Beschwerden. Ich will Kinder-Zerrock-Konzerte machen. Die sollen alles rauslassen und dann auf allen vieren nach Hause kriechen, weil sie nicht mehr können.

Was machen Sie, wenn es mal ernst wird, wie überreden Sie die Kinder zum Aufräumen?

Das ist ein nerviges Thema. Auf unserem Album haben wir ein Lied – wie immer aus der Sicht der Kinder – dass sie nicht aufräumen wollen. Wenn ich sage: Ihr müsst alles aufräumen, dann fangen sie an: „Räumt doch selber auf, ihr Großen müsst ja hier nicht rein.“ Und ich? Voll an die Wand gestellt.

Sie untergraben Ihre eigene Autorität.

Ich bestell mir Zaubertricks: „Glaubt ihr, dass ich den Ball fliegen lassen kann?“ – „ Neiiiin!“ – „Wenn ihr mir zeigt, dass ihr gut aufräumt, dann ...“

Erpressung!

Ich kann nicht von denen verlangen, dass sie den Sinn dahinter erkennen. Ich hatte früher auch keinen Bock darauf.

Der Erziehungsexperte Jesper Juul sagt, Belohnung und Lob sei eine postmoderne Version der Strafe.

Was auch immer das für Worte waren, die Sie gerade benutzt haben, ich sehe das genauso. Das Belohnungs- und Bestrafungsding find ich bescheuert. Wenn’s ums Hauen, Treten und Schlagen geht, versuche ich die Kinder schon zu überzeugen, aber wenn es um den letzten Legostein geht, find ich das okay, mit Entertainment zu locken.

In einem Ihrer Songs, „Klein sein“, geht es um Kinder, die nachmittags Geige und abends Chinesischunterricht haben.

Ich dachte Kinder zwischen drei und sechs peilen den Inhalt nicht. Die checken das.

Merkt man den Kindern an, wenn sie unter Leistungsdruck stehen?

Ja. Die sind nicht unbedingt super traurig oder gestresst, die können einfach mit freier Zeit nichts mehr anfangen. Langeweile ist aber wichtig.

Langweilig war Ihnen wahrscheinlich nicht. Was haben Ihre Eltern getan, damit Sie mit 16 nicht abheben?

Die haben mich machen lassen. Wir haben viel geredet, und ich habe denen klargemacht, dass mir diese Rote-Teppich-Welt auch suspekt ist. Echo-Verleihungen habe ich eher in Kauf genommen. Für mich waren Konzerte und Auf-Tour-Gehen das Allergeilste.

Und als es 2002 nach sinkenden Plattenverkaufszahlen vorbei war?

Da hab ich ein halbes Jahr Pizza bestellt, jeden Tag zweimal. Nachmittags und spätabends. Immer Salami von Joey’s.

Der Pizzabote …

… war ein übergewichtiger Iraner, der total geschnauft hat, wenn er bis in den fünften Stock kommen musste. Wir haben abgemacht, dass ich ihm entgegenkomme und wir uns im dritten treffen. Das war genau nach der Zeit, wo wir mit Tourköchen unterwegs waren, die uns rundum versorgt haben – ich konnte nichts selber kochen.

Hatten Sie noch Freunde nach der Zeit als Teeniestar?

Schon. Die haben mit mir hardcore gechillt. Ich war der Cashmeister und habe die Pizza bezahlt.

Sie haben Ihre Jugend nachgeholt.

Während der „Echt“-Zeit hatte ich Entzugserscheinungen, was das angeht. Weil ich alle drei Monate mal einen Tag zu Hause war. Dann habe ich mich mit meinen Eltern gestritten, warum ich jetzt nicht rausgehe und den Fans, die vor der Tür zelten, Autogramme schreibe.

Mädchen? Mit Zelten?

Ja! „Jetzt geh doch mal raus“, sagte meine Mutter, „die sitzen da seit drei Tagen!“ – „Nein!“ – Das war schon heftig. Ich wollte einfach nicht mit diesen kleinen Monstern chillen.

Haben Sie Ihre Fanpost damals selbst beantwortet?

Mama hat die chronologisch sortiert. Noch heute stehen drei Kisten voll auf dem Dachboden. Am Anfang hab ich die Briefe selbst beantwortet, dann haben wir einen kopiert. Darin habe ich mich entschuldigt, dass ich nicht individuell antworten kann. Noch heute habe ich manchmal Schiss vor den Briefen. Was die einem alles anvertrauen! Wenn die dann von Selbstmord angefangen haben. Rolf Zuckowski, der Kinderliedermacher, zieht das krass durch. Der sitzt in seiner Villa, ist von jedem Kinderbrief ehrlich berührt und lässt alles stehen und liegen, bis er ihn beantwortet hat.

Zuckowski, der inzwischen 65 ist und der auf Ihrer Platte mitmacht, haben Sie selbst gehört als Kind?

Klar. Mit meiner neuen Band haben wir den auch getroffen. Wir wollten uns erst Rolf Zukopfnick nennen und ihn fragen, ob das okay ist. Er hat mich angerufen und gesagt, dass unsere Musik so eigen sei, dass man sie an niemanden anlehnen soll. Inzwischen haben wir 1000 Platten verkauft.

Brauchen Kinder Vorbilder?

Ja, aber sie sollen sie sich selbst aussuchen.

Sind Sie ein gutes Vorbild?

Nicht, was Gesundheit angeht: Rauchen, Trinken, Pizza essen. Aber ich bin ein gutes Vorbild, weil ich mir selbst erlaube, auch mal nicht zu funktionieren. Weil ich nicht immer weiß, was aus mir wird, mich nicht an die Leistungsgesellschaft anpasse. Das bekommen die Kinder ja von außen auferlegt.

Was passiert, wenn die Kinder Ihren Song übers Saufen finden, den Sie unter dem Pseudonym „Jim Pansen“ geschrieben haben?

Das haben die längst, die singen ihn mit. Ich erklär dann, wie es ist, betrunken zu sein und dass einem schlecht wird, wenn man es zu doll macht. Aber auch, dass das nur Erwachsene dürfen.

Halten Kinder mehr aus, als wir denken?

Ich glaube schon. Manche sind so mutig. Ich hatte einen, der aus einer ganz krassen Fleischesser-Familie kam. Mit fünf hat der sich entschieden, Vegetarier zu werden und das zu Hause durchgeboxt.

Lassen wir Kinder zu wenig allein?

Manchmal denk ich: ja. Bei unserer Eingewöhnung, wo die Eltern jeden Tag ein paar Stunden mitkommen, fällt es den Eltern oft schwerer zu gehen als dem Kind.

Geben Sie zu: Eltern sind anstrengender als Kinder.

Ja. Es gibt mittlerweile auch so Sachen … ich kenne eine Kita, die bietet Eltern tatsächlich an, dass sie drei Mal am Tag Fotos ihrer Kinder aufs iPad geschickt bekommen. Mit Text, wie es den Kindern geht. Irgendwann macht man mehr für die Eltern als für die Kinder. Die Eltern müssen uns Erziehern einfach vertrauen.

In Berlin gab es neulich eine Diskussion um ein Café mit Poller gegen Kinderwagen im Eingang.

Mich nerven Kinderwagenmuttis auch. Die schon ausstrahlen: Ich habe ein Kind. Da denke ich: Ja, haste. Musst aber trotzdem drauf achten, was mit deiner Umwelt ist. Die sind so schlimm wie Fahrradrowdies. Am besten ist, wenn sich zwei nebeneinander locker unterhalten. Die sind ja immer im Verbund und fühlen sich total stark.

Wie gehen Sie mit Aggressionen bei Kindern um?

Ich find das nicht so schlimm. Jedes Kind hat ne Hau- und Tretphase. Es gehört dazu, Aggressionen auch falsch rauszulassen. Mit so was richtig umzugehen, gelingt selbst Erwachsenen nicht.

Sie sind also einer Klopperei nicht abgeneigt.

Ich find das richtig gut, wenn die sich auch mal ein bisschen auf die Fresse hauen können. Schauen Sie nicht so erschrocken, war ’n Scherz.

Und wenn ein Kind aus einem Wutanfall gar nicht mehr rauskommt?

Bei Supermarktkassenkindern, die um ein Überraschungsei brüllen, werde ich selber wütend. Aber bei unseren? Die beruhige ich. Wenn es sein muss, halte ich die so fest, dass ...

… das ist die Festhaltetheorie. Man umschlingt das Kind, auch wenn es um sich tritt, um ihm Geborgenheit zu geben.

Aber nicht gleich in den Schwitzkasten nehmen, sondern eher so: „Ich bin bei dir, wir beruhigen uns jetzt zusammen.“ Dann hört das relativ schnell auf. Die werden ohnmächtig irgendwann.

Da kommt dann der Erste-Hilfe-Kurs zum Einsatz.

Ich belebe sie wieder, und das Problem ist gelöst. Nee, ich versuche mit denen darüber zu reden: Bist du traurig? Ist irgendwas gerade passiert, was du doof findest? Ich mach vieles nicht optimal, aber das ist eine Stärke, dass die mir vertrauen.

Gibt es etwas, das Sie gern anders machen würden?

Manchmal bin ich zu doll deren Kumpel. Dann sind wir wie eine Gang. Nur, dass ich der bin, der alt genug ist, Sachen zu erlauben.

Wie der mit dem Ausweis, der schon 18 ist.

Genau. Ich hol’ uns das Bier. Man soll sich ja nicht zu sehr solidarisieren, Grenzen setzen und so. Wenn ich zwei Tage später schimpfe, fragen die sich: Was ist denn mit dem los? Trotzdem werden die zwangsläufig zu Kumpels, mit denen man abhängen will.

Wenn die Kinder weinen, weinen Sie mit?

Nein, aber neulich hab ich denen ein Buch vorgelesen. Es geht um einen Bären und eine Schildkröte, die am Ende stirbt. Da hab ich geheult, die nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false