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Crosby, Stills, Nash & Young 1970 vor einem Auftritt in Minnesoat.

© Henry Diltz/Edel

Interview mit Graham Nash: „An Woodstock kann ich mich kaum erinnern“

Von den Hollies zu Crosby, Stills, Nash & Young: Graham Nash hat 50 Jahre im Rock ’n’ Roll-Business überlebt. Im Gespräch erinnert er sich an Begegnungen mit den Beatles, Drogen und Abstürze..

Mr. Nash, Sie haben jetzt Ihre Autobiografie geschrieben. Sehen Sie sich immer noch als ein Hippie?
Ja. Ich glaube daran, dass die Werte der Hippies heute immer noch gelten: Behandle andere Menschen so, wie du selber behandelt werden möchtest. Kümmere dich um deine Nächsten. Und erkenne das Schöne um dich herum.

Neil Young hat auf seinem letzten Album den Song „Like a Giant“ veröffentlicht. Darin singt er: „Me and some of my friends /We were gonna save the world / We were trying to make it better.“ Glauben Sie, dass man mit Musik die Welt verändern kann?
Absolut. Aber nur in kleinen Schritten. Ich glaube, mir und meinen Freunden ist es gelungen, durch unsere Musik die Menschen zum Lächeln, zum Nachdenken und zum Wütendwerden zu bringen. Aber wir waren nie so politisch, wie unsere Fans glaubten. Als 1970 die Nationalgarde vier Studenten an der Kent Universität erschoss, habe ich mit David Crosby, Stephen Stills und Neil Young die Protesthymne „Ohio“ aufgenommen. Doch es ging uns nicht um Politik, sondern um Menschlichkeit. Wir waren eine humanistische, keine politische Band.
Sie haben Benefiz-Konzerte für Obdachlose, die Anti-Atomkraft-Bewegung, Greenpeace und die Occupy-Demonstranten in New York gegeben. Was haben Sie in den fünfzig Jahren ihrer Karriere erreicht?
Ich habe immer versucht, die Menschen zum Nachdenken über meine Musik zu bewegen. Es ist nicht bloß Musik zum Tanzen. Mit meinen Songs habe ich Freude in die Welt gebracht. Mehr kann man nicht erreichen als Musiker.

Sie sind in Working-Class-Verhältnissen in Manchester aufgewachsen. Ihre erste Gitarre bekamen Sie zum 13. Geburtstag. War die Musik ein Weg, um der Armut zu entkommen?
Als Kind habe ich mich immer gut behütet gefühlt. Obwohl ich in einer armen Nachbarschaft aufgewachsen bin, in einer Stadt, die im Krieg schwer zerstört wurde, war ich immer glücklich. Und es war einfach, mich aus der Armut zu befreien – ich musste nur meiner Leidenschaft für die Musik folgen. Ich habe Bill Haley und die Everly Brothers gesehen und war begeistert. Mit meinem Schulfreund Allan Clarke gründete ich eine Band, die wir später The Hollies nannten, nach unserem Idol Buddy Holly.

Mit den Hollies sind Sie 1962 im Cavern Club in Liverpool aufgetreten, zusammen mit den Beatles. War Ihnen klar, dass dort eine musikalische Revolution begann?
Der Cavern Club war damals ein Treffpunkt von vielen Bands. Uns verband, dass wir alle nicht so leben wollten, wie es unsere Eltern getan hatten. Die Musik wurde das Medium, um unsere Gefühle und Gedanken auszudrücken. Es war eine magische Zeit. Die Hollies waren eine gute Band, aber die Beatles waren etwas Besonderes. Das spürte damals jeder im Cavern Club, der völlig überfüllt war. Die Beatles waren begnadet, sie spielten Rock ’n’ Roll auf eine verwaschene, verlotterte Art. Und sie waren Poser. Sie fluchten und rauchten auf der Bühne und beschimpften das Publikum. So viel Wucht hatten die Hollies nicht. Wir trafen die Beatles in Manchester wieder, einen Tag bevor sie nach London fuhren, um ihr erstes Album aufzunehmen. John Lennon war zerknirscht, weil er den Text des Soul-Stückes „Anna“ vergessen hatte. Zum Glück hatten wir den Song auch im Programm, und ich schrieb ihm den Text auf. Es wurde dann eine tolle Version.

Flucht und Aufbruch in die Zukunft.

Selbstporträt im Plaza Hotel, 1974.
Selbstporträt im Plaza Hotel, 1974.

© Graham Nash/Edel

Als sie 1968 nach Los Angeles flogen, wollten Sie Ihre Ehe beenden und Ihre Band verlassen. War das eine Flucht vor Ihrem alten Leben?
Auf eine gewisse Weise war es eine Flucht. Aber mehr noch war es ein Aufbruch in die Zukunft. Nachdem ich mich mit Stephen Stills und David Crosby hatte singen hören, war mein weiterer Weg vorgezeichnet. Und für mich begann eine lebenslange Romanze mit den Vereinigten Staaten. Heute bin ich stolz, ein Bürger dieses Landes zu sein. Über eine Rückkehr nach England habe ich nie nachgedacht.

Als Neil Young zu Crosby, Stills & Nash stieß, waren Sie zuerst dagegen. Sein Name erinnerte Sie an „eine Bombendrohung“. Was hat Sie umgestimmt?
Wir trafen uns zu einem Essen in New York. Neil war sehr selbstsicher und wusste genau, was er wollte. Er erzählte, wie er dafür sorgen könne, dass Crosby, Stills & Nash eine andere Art Rock ’n’ Roll spielen würden. Er brachte eine spezielle Rauheit in unsere Musik. Seine Songs sind dunkler als unsere, mit ihm erreichte die Band eine neue Qualität.

In Woodstock wurden Sie im Hubschrauber zur Bühne geflogen, über zehntausende Menschen hinweg. Machte Ihnen das Angst?
Nein, es war genau das, was ich tun wollte: vor so viel Menschen wie möglich spielen. Außerdem war ich mit den Hollies durch die Hölle der Teenage-Mania gegangen. Aber natürlich war Woodstock ein besonderer Moment meiner Karriere. David Crosby erinnerten die Menschenmassen an ein Lager der makedonischen Armee. Lagerfeuer brannten, Rauch stieg auf, ein Meer von Hippies wogte um uns herum. Leider waren wir derartig zugekifft und zugekokst, dass ich mich nicht mehr an alles erinnere. Wir haben etwa eine Stunde gespielt. Wegen des Lärms konnten wir uns selber kaum hören. Nachher erfuhren wir, dass Neil Young Ton- und Filmaufnahmen verboten hatte. deshalb wissen heute viele Leute nicht, dass wir in Woodstock aufgetreten sind.

Sie haben jahrzehntelang Marihuana und Kokain konsumiert. Hatten Sie keine Angst, dass die Drogen Ihr Leben ruinieren könnten?
Ich bin kein Suchttyp. Ich habe immer die Kontrolle behalten und konnte auch monatelang ohne Drogen auskommen. Ohne Entzugserscheinungen. Anders war es bei David Crosby. Er war zeitweilig so drogenabhängig, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Er hat ein Vermögen dafür verschleudert, und als es besonders schlimm war, mussten wir ihn für ein paar Monate aus der Band werfen. Aber heute geht es ihm prima. Er ist clean und singt wie ein Vogel.

Sie sind jetzt 72. Denken Sie ans Aufhören?
Musik ist der Mittelpunkt meines Lebens. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen. Außerdem schreibe ich ständig neue Songs. Das ist wie eine Sucht. Derzeit habe ich 27 Songs, die noch nicht veröffentlicht sind. Wahrscheinlich muss ich bald mal wieder ins Studio.

Das Gespräch führte Christian Schröder.

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