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Rainald Grebe und Lucas Vogelsang haben Parteiprogramme gewälzt.

© Thilo Rückeis

Interview mit Grebe und Vogelsang: "Ooh, Wowereit, das Schnappi-Krokodil"

Für ihre Wahlkampf-Revue „Völker, schaut auf diese Stadt“ haben Regisseur Rainald Grebe und Tagesspiegel-Autor Lucas Vogelsang Parteiprogramme gewälzt und Politiker interviewt. Am Mittwoch hat das Stück im Maxim Gorki Theater Premiere.

Herr Grebe, wie kam es zu diesem Stück?

GREBE: Letzten Herbst habe ich Horst Schlämmers „Isch kandidiere“ in der Vorschau gesehen. Und ich habe mich an Schlingensief erinnert, an seinen Wahlkampf mit „Chance 2000“. Was würde ich machen? Das hat mich beschäftigt. Bis zur Frage: Gründe ich eine Partei? Ich hätte ja in Berlin antreten können, mit Unterschriftenliste und allem. Als Aktion. Aber die Idee wurde bald beerdigt. Den Schutzraum Theater verlassen, da bin ich Warmduscher.

Stattdessen haben Sie einen Journalisten angeheuert und mit ihm recherchiert.

VOGELSANG: Es sollte eine Reise zu uns selbst sein, zu unserem Politikverständnis. Da merkst du dann: Du kannst überhaupt keine Aktion machen, du kannst gar nicht auf die Spitze treiben, was da passiert. Es reicht, was die Parteien und die Leute selbst machen.

GREBE: Aktionismus heißt ja, dass man sich beteiligt. Ich bin lieber der stille Beobachter. Die Frage: Was hat das alles noch mit mir zu tun? Genau zuhören, auf Details gucken, sich mit Politikern unterhalten, bevor man sie an die Wand klatscht und sagt: alles Mumpitz. Frank Henkel haben wir mehrmals getroffen …

VOGELSANG: … im Einstein Unter den Linden. Wir haben ihn gefragt: Wer ist eigentlich als Künstler für die CDU da? Da haben sie rumgedruckst.

GREBE: Die haben es nicht so mit den Künstlern. Vielleicht Schlagerleute, Dieter Thomas Heck oder so. Da ist die Gesellschaft noch gespalten. Obwohl, bei der CDU haben die Büroleiter immer meine Songs als Klingelton, „Brandenburg“ oder so. Die hören sich das dann an und lachen und schicken sich dann wahrscheinlich übers Intranet die Videos zu. Aber das ist parteiübergreifend. Bedenklich.

Sie sind eben massenkompatibel. Die SPD hat Sie ja auch gefragt, ob Sie nicht was für die Partei machen wollen.

GREBE: Künstler und SPD gehören aus alter Tradition zusammen. Ich glaube, das hat noch mit Willy Brandt zu tun. Günter Grass, auch Schriftsteller, die danach kommen, Juli Zeh oder Kopetzky, da gibt es einige. Ich war mal eingeladen auf ein Abendessen von Literaten mit Gesine Schwan …

… die 2009 als Bundespräsidentin kandidierte …

GREBE: … und Juli Zeh war die große Fürsprecherin, die war dann auch in der Bundesversammlung. Das ist alles so zivil und nett. So wie ich rede, wenn das der Mainstream ist, dass man sich raushält, ist es ja schon wieder politisch, sich dagegen zu stellen und eine Meinung zu vertreten, Partei zu ergreifen für eine Partei.

Was haben Sie denn über die Parteien herausgefunden?

GREBE: Natürlich kommen da Details, aber letztlich war das Gefühl nach vielen Gesprächen: Das ist aber langweilig. Die sagen nichts, oder sie dürfen nichts sagen. Wenn ich Herrn Henkel frage: Sie glauben doch nicht, dass man mit Bustouren Wähler gewinnt, was planen Sie denn noch für den Wahlkampf, sich selbst Briefbomben schicken oder so? „Nö, wir machen Wahlkampf.“ Genauso die Linken ...

VOGELSANG: … unglaublich kontrolliert und einstudiert. Ein, zwei Mal haben Leute gesagt: Das darf nicht im Stück vorkommen, aber ich sage Ihnen mal was.

GREBE: Oh, Scheiße, das habe ich alles eingebaut. Das wenige.

Ach, die Klage bringt Publicity.

VOGELSANG: Einmal war ich mit Henkel unterwegs, „durch die Nacht mit Frank Henkel“. Irgendwann kam dann dieser Erschöpfungsmoment, wo das Bild ein bisschen aufbrach. Wo er aber auch von seinem Gehilfen zurückgepfiffen wurde. „Mensch, weißt du noch, der ,Silberfisch’, als wir uns da richtig einen …“ – schon kam die Pranke von hinten und zog ihn weg.

GREBE: Oder André Stephan …

... einst Wahlkampfmanager der Grünen.

VOGELSANG: Den habe ich ein paar Mal getroffen, da war immer diese Last zu spüren: nichts Falsches sagen. Und dann entlädt sich das in dieser Alkoholfahrt und dem Ausraster gegenüber der Polizei.

Nach all der Recherche: Wissen Sie jetzt, welche Partei Sie wählen?

GREBE: Nee, gerade nicht. Früher habe ich aus Folklore mein Kreuz gemacht, immer zwischen Grün und Rot. Entschieden auf dem Weg zur Wahlurne.

Und heute?

GREBE: Ich glaube schon, dass ich mich jetzt eher nach Personen richte. Aber wirklich überzeugt bin ich nach wie vor nicht. Dafür weiß ich vielleicht immer noch zu wenig.

Nach monatelanger Vorbereitung? Was soll denn der normale Bürger sagen!

GREBE: Ach, der sagt: Ooh, Wowereit, das Schnappi-Krokodil … Noch ein Beispiel: Henkel hat gesagt, jahrgangsübergreifendes Lernen geht überhaupt nicht. Eine Woche später treffe ich ein Mädchen, sieben Jahre, die schwärmt nur davon, JÜL sei das Beste. Wofür soll ich mich denn da jetzt entscheiden?

Welches Ergebnis Rainald Grebe für die Abgeordnetenhauswahl vorhersagt, lesen Sie auf Seite 2

VOGELSANG: Es ist kein Themenwahlkampf, sondern ein Stimmungswahlkampf. Ein Wowereit-Wahlkampf. LinkenKandidat Harald Wolf hat zu mir gesagt: Können Sie sich vorstellen, dass ich das rote Band bei der Berlinale zerschneide? Oder Renate Künast? Sehen Sie.

GREBE: Das Witzige ist doch: Berlin hat 13,5 Prozent Arbeitslosigkeit, die Stadt ist das Armenhaus Deutschlands. Aber das ist kein Thema. Wowi schmeißt Wowi-Bären.

VOGELSANG: Berlin verstehen.

GREBE: Meine Prognose ist Erdrutsch. Die SPD wird über 35 Prozent kommen, die Grünen landen bei 20 Prozent, die CDU wird drittstärkste Partei. Aber man weiß es nicht. 

VOGELSANG: Wir haben zu Wowereit gesagt: Der Herr Wolf war mit uns essen, der Herr Henkel, die Frau Künast – und er hat gesagt: Ja, aber das sind die Herausforderer, die müssen mit ihnen reden. Er weiß, dass er einfach nur Fehler vermeiden muss, dann gewinnt er das Ding.

GREBE: Wowereit war schön im Solarium im Sommer. Sieht blendend aus. Ich glaube, das war seine Hauptvorbereitung: gute Haut.

Haben Sie mit allen Parteien gesprochen?

GREBE: Die „Partei“ wollte immer mit uns sprechen, aber ich wollte nicht über Satire reden. Die Piraten haben nicht zurückgerufen. Vielleicht wähle ich die deshalb, die haben Besseres zu tun. Oder man denkt taktisch: 4,5 Prozent haben die Piraten schon, wenn sie reinkommen, wäre das doch gut. Wir sind ja alle labile Wechselwähler. Oder die CDU, drei Prozent in Prenzlauer Berg. Wähle ich die, dann haben sie vielleicht einen da sitzen.

Im Sinne der Vielfalt.

GREBE: Aus Mitleid. Oder aus Vielfalt. Man merkt schon: Es ist nicht brisant, was hier passiert. Meine Ausgangsfrage war: Was ist eigentlich schlecht hier? Mir fiel nichts ein. Läuft doch. Bei mir zumindest. Dann merkt man: Müggelsee, Umbau der Kastanienallee – alles Anwohnerproteste. Da heißt es dann: „Montagsdemonstration“ und „K21“ ...

... wie „S 21“ in Stuttgart ...

VOGELSANG: ... und allen Ernstes auch „Reclaim Democracy“ und „Tag des Zorns“, an Ägypten angelehnt. Wahnsinn.

GREBE: Das sind diese lokalen Dinge, die ein paar Straßen weiter keinen mehr interessieren. Ich hab jetzt in Pankow Glück gehabt als Anwohner …

… weil Tegel zugemacht wird …

GREBE: … und Leander Haußmann kräht am Müggelsee rum.

Konnten Sie von den Politikern was lernen?

GREBE: Die einzige Analogie ist dieses Für-alle-Sein. Dass man immer den Anschein erwecken muss, stabil zu sein, eine Position zu vertreten – aber niemandem auf die Füße treten darf. Was macht das mit den Menschen? Zu Bürgermeister Soundso kommt einer und sagt: Der Baum vor meinem Haus muss weg. Und der Bürgermeister muss sagen: Aha, interessant, wir prüfen das. Dann kommt der Nächste und sagt: Wenn der Baum wegkommt, kette ich mich da an. Und der Politiker muss immer alles annehmen, darf nie sagen: Hau mal ab. Das Wort Partei, die Vertretung von Interessen, ist bei den Volksparteien gar nicht mehr vorhanden. Man wärmt eigentlich jeden. Das geht rein menschlich gar nicht. Wenigstens gibt es die Nazis, sodass man noch irgendwen ausschließen kann.

Premiere Mittwoch, 19.30 Uhr (ausverkauft). Wieder am 6.9., 9.9, 14.9., 18.9., 6.10., 14.10., 29.10. im Maxim Gorki Theater

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