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Interview mit Herbie Hancock: "Ich kann Jam-Sessions nicht leiden"

Herbie Hancock über das Verhältnis von Pop und Jazz – und sein neues Album „Possibilities“

Mister Hancock, können Sie uns den Unterschied zwischen Jazz und Pop erklären?

Ich hätte nur ein paar Beobachtungen anzubieten. Ich glaube, dass es vor allem eine Differenz der Atmosphäre gibt. Im Pop müssen die Dinge klar und präzise sein. Von den Künstlern wird erwartet, immer dasselbe zu machen. Wenn sie nach einer Platte auf Tour gehen, sollen die Konzerte genauso klingen wie Studioaufnahmen. Es gibt überhaupt keinen Raum für Abweichungen und Improvisationen, während Jazz sich genau darauf gründet. Außerdem wird die PopSzene heute überwiegend von Sängern und Sängerinnen beherrscht, die den Songs durch ihre Stimme Gewicht geben. Das war im Jazz auch einmal so, als er noch als die populäre Sprache schlechthin galt und sich die Instrumentalisten noch nicht vollends durchgesetzt hatten. Man hielt Frank Sinatra für einen Jazz-Sänger, die Musik von Gershwin und Cole Porter galt als Jazz, weil sie nicht klassisch war. Erst später spaltete sich der Jazz ab und entwickelte sich in Richtung instrumentelle Virtuosität.

Bedauern Sie das?

Pop ist ein eng begrenztes Terrain. Gewiss, es hat im Underground stets Musiker gegeben, die neue Wege eingeschlagen und verwegene Stile ausprobiert haben, die sich weit jenseits des Erwarteten bewegten. Aber dem Jazz ist eine Freiheit eigen, zu der man in der Popmusik nicht ermutigt wird.

Ich frage so naiv, weil solche Unterschiede auf Ihrer neuen CD völlig ignoriert werden.

Deshalb heißt die Platte „Possibilities“ - Möglichkeiten. Im Vordergrund stand nichts weiter als die Idee, mit Popmusikern zusammenzuarbeiten, die ich interessant finde. Sie sollten ihre Erfahrungen und ich meine einbringen – wobei das natürlich der Arbeitsweise eines Jazzmusikers entspricht. Trotzdem haben wir gemeinsam ein Umfeld geschaffen, das weiter gefasst war, als es Popmusikern gewöhnlich zusteht.

Sind Sie an dem Glanz interessiert, den ein Popsong in drei Minuten entfalten kann?

Das feurige Moment eines Popsongs transportiert eine Dringlichkeit und Unbedingtheit, der man sich schwer entziehen kann. Doch ich kann als Jazzmusiker einen viel breiteren emotionalen Gehalt anklingen lassen.

Gehen Sie mit Hits wie „I Just Called To Say I Love You“ genauso um wie mit Jazzstandards?

Ja, sie sind bloß Material. Wobei Stevie Wonder Songs komponiert, die mich weniger bedrängen als andere. Sie sind sehr offen angelegt, was einen nicht verwundert, wenn man weiß, dass er ebenfalls Instrumentalist ist, ein Multitalent. Er bewegt sich jenseits von Pop-Gefilden.

Sie bezeichneten sich früher einmal als „Jazz-Snob“. Von Pop wollten sie nichts wissen. Nun scheint es, Sie könnten gar nicht mehr davon lassen?

Der Reiz dieser Platte bestand darin, dass alle Beteiligten im Studio aufeinander trafen und gemeinsam einen Song erarbeiteten. Den spielten wir dann wie eine Band ein.

Eine Jam-Session?

Nicht wirklich. Ich kann Jam-Sessions nicht mehr leiden. Die meisten Leute befriedigen dabei doch nur ihr Ego. Aber wenn Sie so wollen, verkörpert „Stitched Up“ am ehesten das Ideal einer Jam-Session. Denn alles, was John Mayer ins Sudio mitbrachte, war das Fragment eines Riffs. Da wir mit dem Song schneller fertig waren, als er einen Text schreiben konnte, reihte er zunächst nur Worte aneinander, die keinen Sinn ergaben. Er muss da schon eine vage Vorstellung von dem späteren Text gehabt haben, denn einige Worte tauchen in der Endfassung wieder auf. Auch der Song mit Trey Anastasio …

… Kopf der Band Phish …

... ist nur einer von vielen, die alle nicht fertig wurden. „Gelo No Montana“ war dann wenigstens so weit gediehen, dass eine Richtung erkennbar war, der wir nur bis zum Ende folgen mussten.

Ihre Adaption des U2-Klassikers „When Loves Comes To Town“ beginnt als Blues- Epistel und mündet in einen ausladenden Bigband-Sound. Das muss viel Arbeit gemacht haben.

Wir haben die Bläser später hinzugefügt, das ist wahr, sie spielen jetzt ein Riff, das ich zuvor improvisiert hatte.

Hören Sie sich die Originale vorher an?

Ich kannte die Version von U2 mit B.B. King, aber mehr noch beeindruckte mich die Einspielung eines Country-Sängers, dessen Name mir entfallen ist. Er verwendete bloß eine Steelguitar, diese Stimmung wollte ich erhalten. Und ich versuchte herauszufinden, wie viel Jazz dieser harte, ruppige Song vertragen kann. Ich glitt in ein Jazzsolo ab, und der Song hielt es aus.

Sting singt sein Stück „Sister Moon“. Es klingt, als habe man das genau so von ihm schon mal gehört.

Das ist unmöglich. Ich habe mir alle Versionen angehört. Am besten gefiel mir Stings Original, aber trotzdem schwebte mir etwas anderes vor. Deshalb habe ich Lionel Loueke, einen befreundeten Gitarristen aus Benin, gebeten, den Song neu zu arrangieren. Er gab ihm eine rhythmischere Grundlage, hat ihn afrikanisch gewürzt. Aber wir bewegen uns auf den Äckern des Pop. Ich beabsichtige nicht, Leute, die Stings Musik lieben, zu verschrecken. Den Stil, den diese Popstars geprägt haben, will ich keineswegs zerstören, lediglich erweitern.

Was muss passieren, dass Sie von einem Popsong ergriffen werden und ihn spielen wollen?

Nun, in diesem Fall standen mir Berater zur Seite, die meine Aufmerksamkeit auf bestimmte Leute lenkten. Ich kannte Damien Rice, Lisa Hannigan oder Raul Midón vorher nicht. Midón hatte nicht einmal eine CD veröffentlicht, die ich mir hätte anhören können. Auf seiner Website waren ein paar Songs zu hören. Das überzeugte mich bereits. Doch erst, als ich entschied, „I Just Called To Say I Love You“ von Steve Wonder aufzunehmen, hatte ich auch eine Aufgabe für ihn. Midón ist stark von Wonder beeinflusst.

Glauben Sie, dass Lennon/McCartney eines Tages für Jazzmusiker so bedeutend sein werden wie das Komponistenduo Rodgers/Hammerstein?

Gershwin, Cole Porter und Rodgers/Hammerstein werden wohl nie ersetzt werden, aber natürlich zählen Beatles- Songs längst zum Jazzrepertoire.

Haben Sie schon mal eine Coverversion von einem Ihrer Stücke gehört und Sie konnten sie nicht leiden?

An eine negative Reaktion kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht. Ich habe es verdrängt.

Sie sind in ihrer langen Karriere immer wieder auf andere musikalische Genres ausgewichen. Waren Irrwege darunter?

Wenn ich noch einmal von vorne anfangen könnte, würde ich es wieder genau- so machen. Ich brauche all diese unterschiedlichen Erfahrungen, die ich mit einem Hit wie „Rockit“, einer Funk-Platte wie „Mwandishi“ oder „Monster“ gemacht habe, um die Palette an Farben zu erweitern, von der ich wählen kann. Sehen Sie, „Possibilities“, darum geht es doch letztlich, und der ganze Kram ist notwendig dafür. Allerdings gibt es ein paar Alben, die mich glücklicher machen als andere. „Light Me Up“ gehört nicht dazu. Nicht wegen der Kompositionen, die waren gut. Aber die vielen Overdubs und Clicktracks haben das Ganze in eine kalte Fassade verwandelt, ohne organischen Zusammenhalt.

Die Platte war für den Massengeschmack produziert?

Na ja, es war eine Disko-Platte. Aber war das nicht der Sound der Zeit?

Das Gespräch führte Kai Müller.

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