zum Hauptinhalt
Unter Glas. Szene aus Anne Imhofs Performance „Faust“ auf der Biennale di Venezia.

© Vincenzo Pinto/AFP

Interview mit Susanne Pfeffer: "Das Kapital rückt an Gottes Stelle"

Kunst als Erfahrung: Kuratorin Susanne Pfeffer über Anne Imhofs Performance "Faust" in Venedig und die Inszenierung von Performance-Kunst.

Frau Pfeffer, Ihnen als Kuratorin und Anne Imhof als Künstlerin herzlichen Glückwunsch zum Goldenen Löwen bei der Biennale von Venedig. Woher kommt das starke Interesse an der Performance-Kunst, das sich darin äußert?

Die Veränderungen unserer Zeit lassen sich stark am Körper ablesen. Die Einschreibungen von Machstrukturen, Biopolitik aber auch die zunehmende Virtualisierung der Räume, in denen wir uns bewegen. Wir leben in einer Zeit, in der sich Identitäten immer wieder anders herstellen lassen, in der diese auch massiv durch die Wirkmacht von Bildern gestaltet werden. Es findet eine Kapitalisierung, eine Objektwerdung des Körpers statt. Dennoch ist unsere körperliche Präsenz nach wie vor physisch. Es gibt eine Ambivalenz darin, dass wir Subjekt und Objekt zugleich sind: Wir schreiben die Algorithmen, die unser Handeln auswerten. Wir sind Handelnder und gleichzeitig das Objekt, auf das sich die Handlung bezieht. Ich glaube angesichts der, ja auch nur scheinbaren, Immaterialität virtueller Räume hat der Körper an Bedeutung gewonnen. Es ist immer noch unser Körper, mit dem wir die virtuellen Bilder wahrnehmen. Mit ihm bewegen wir uns durch den Raum. Deshalb können wir auch die Ausstellung als Erfahrung nicht abschaffen, weil die direkte Konfrontation doch körperlich ist. Mich berührt es, wenn ich Kinder sehe, die vollkommen versunken Fernsehen gucken. Ihr Körper scheint nicht da zu sein. Das ist beängstigend. Es verändert unseren Körper und unser Sehen, wenn Realitäten zunehmend und teils ausschließlich über Bilder geschaffen werden und die Raumwahrnehmung virtuell vermittelt wird. Künstler wie Anika Yi arbeiten damit, sie schaffen Räume als Bilder, ein Korridor wie ein Bild. Bei Anne Imhof formen sich diese Bilder raum- und zeitgreifend. Sie fertigt in ihrem Atelier Zeichnungen und Malereien an, die auch als ein Mittel der Kommunikation in den Proben mit ihrem Team dienen. Die Performance wird fotografiert, es wir daraus Malerei, als Teil der Rauminstallation strukturieren die Malereien auch den performativen Teil von Anne Imhofs Arbeit. In ihrem Werk perpetuieren sich die Bilder permanent. Das hat nahezu etwas Filmisches.

Viele junge Künstler wie sie arbeiten in verschiedenen Sparten parallel. Reicht ihnen eine Ausdrucksform nicht mehr?

Das würde ich so nicht sagen. Aber viele wählen einen konzeptuelleren Zugang. Sie behandeln ein Thema, das sie skulptural, malerisch oder filmisch bearbeiten. Anne Imhof hat sich in Venedig zunächst mit dem Raum und seiner Wirkung auf den Körper auseinandergesetzt, aber in der Arbeit mit ihr merkt man, dass sie alle Ebenen zusammendenkt. Ich selbst dachte, sie käme mehr vom Bild, weil sie Malerei studiert hat.

Performance war immer mit einer politischen Aussage verbunden, zumindest in den 60ern. Gilt das heute noch?

Anne Imhofs „Faust“ ist eine sehr politische Arbeit – und die Faust ein politisches Symbol. Man sieht einen fast mechanischen Schlag auf die eigene Brust – zwischen Selbstbehauptung und Selbstverletzung. Man sieht eine ausgestreckte Faust, die auf ein Glas trifft. Wir sehen, wie die Performer einzeln oder als Gruppe agieren, es geht immer wieder darum, wer handelt, was es bedeutet, Gewalt auszuüben oder zu erleiden. Es geht um Machtverhältnisse.

Wie inszeniert sie das?

Wir sehen im ersten Augenblick Körper, die sich umarmen, dann aber, dass sie miteinander ringen und sich fast erdrücken. Es geht darum, wer bei diesen ambivalenten Machtverhältnissen die Oberhand behält. Die Performer scheinen Codes zu folgen, die wir nicht lesen können. Analog zu den Momenten ihrer Individualität stehen Momente des Fremdgesteuert-Seins. Ein Teil dieses Mechanismus ist die Optimierung des Selbst und des Körpers. Man kann sich diesem Druck zumindest in westlichen Gesellschaften kaum entziehen. Das ist einer jüngeren Generation sehr bewusst.

Warum soll Widerstand nicht möglich sein?

In der Mode gibt es gerade die Tendenz, dass die Abweichung, das Andere, gezielt eingesetzt wird. Aber wenn das Andere, der Widerstand, zum modischen Kapital wird, ja ausgehöhlt wird als gängig und konsumierbar, dann wird das Individuelle enteignet und kapitalisiert. Das ist eine gesellschaftliche Frage: Können wir aus solchen Strukturen überhaupt ausbrechen? Vielleicht ist das auch nur in der Gruppe möglich. Der gläserne Boden im Pavillon ist nicht nur eine Grenze, sondern auch durchlässig. Er ermöglicht eine totale Kontrolle. Ich sehe die Performer, aber sie sehen mich auch. Die Installation reflektiert Architektur, die wir auch aus den Machtzentralen des Geldes kennen. Glas als Material ist durchlässig, zugleich wahnsinnig hart und brutal.

Wenn man sich das anschaut, ist es die Performance einer melancholischen, ja traurigen Generation.

Ich denke eher, die Bewegungen haben eine eindrückliche Brutalität, zugleich gibt es leise Momente, in denen die Fragilität der Körper sichtbar wird. In der Performance ist viel Gebrochenes, auch Selbstbestrafendes. Man weiß gar nicht mehr, wer handelt und wer passiv ist. Es gibt sehr grundsätzliche menschliche Fragen. Die Zerbrechlichkeit des Körpers, das Scheitern, die Anmut und Würde des Einzelnen. Es gibt in unserer Zeit wieder eine enorme und rücksichtslose Gewalt, die sich gegen den Menschen und die Menschlichkeit richtet.

Der deutsche Pavillon steckt voller Pathos. Die Aufführung unterstreicht das auf eine Art, man ist ergriffen.

Darin ist nichts Heroisches – nur das Gebäude hat etwas Pseudo-Heroisches. In „Faust“ gibt es heroische Gesten, die wieder gebrochen werden. Sie werden in einem Schwebezustand gehalten, das ist anders als der Pavillon, der sehr eindeutig in seiner Haltung ist.

Mir kommt es allein durch die Musikalität vor wie ein Requiem.

Anne Imhof ist auch mit der Akustik des Raumes umgegangen. Sie ist durch den Hall schwierig, doch damit kann man auch gezielt umgehen, schließlich hallen auch Kirchen.

Handelt es sich nicht auch um eine sehr deutsche Inszenierung?

Der Titel „Faust“ ist natürlich doppeldeutig. Es geht um die permanente Selbstbefragung und die vermeintliche Abarbeitung von grundlegenden Themen. Die Schuldfrage ist mit religiösem Gehorsam verknüpft, heute ist diese Frage eine der individuellen Verantwortung. Krankheit ist keine Gottesstrafe mehr, sondern selbstverschuldet. Der Körper ist ein Teil der Ökonomie. Man kann sagen, dass das Kapital an die Stelle von Gott rückt. Und wer krank wird, ist selber schuld, entweder man hat zu wild gelebt, zu viel geraucht oder zu wenig getrunken. Man ist für alles selbst verantwortlich.

Anne Imhof hat ihre Oper „Angst“ in drei Ländern präsentiert, sie arbeitet global. Was macht sie für uns Deutsche repräsentativ?

Wir leben in einer Zeit der totalen Transformation, des Umbruchs, vergleichbar mit dem der Industrialisierung. Ich glaube, dass wir uns dessen noch nicht völlig bewusst sind. Mir war es wichtig, eine Position zu finden, die darauf mit einer sehr gegenwärtigen Sprache reagiert.

Zugleich schafft Anne Imhof Bilder von großer Schönheit.

In der Kunst geht es immer auch um Schönheit, selbst wenn ein Schrotthaufen gezeigt wird. Schönheit ist Kapital. Alle Menschen müssen schön sein. Man darf nicht mehr altern. Es gibt eine extreme Schönheitsideologie. Wenn es in der Kunst nicht um Schönheit ginge, dann wäre das absurd.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

Die Kunsthistorikerin Susanne Pfeffer, Jahrgang 1973, ist seit 2013 Direktorin des Kasseler Fridericianums. Für die Biennale von Venedig hat sie den deutschen Pavillon kuratiert.

Zur Startseite