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Interview mit Van Dyke Parks: Stille Nacht mit Einstein

Wenn ein Popstar ausgefallene Arrangements braucht, kommt er zu Van Dyke Parks. Ein Gespräch vor dem Berliner Konzert.

Er ist eine Legende der amerikanischen Popkultur, aber scheu. Als Van Dyke Parks Mitte der sechziger Jahre mit der Aussicht konfrontiert wurde, mit den Byrds vor tobende Teenager treten zu müssen, ließ er es lieber bleiben und schlug das Angebot, Mitglied der Band zu werden, aus. Nun kommt er für ein Konzert nach Berlin. Vor den Proben mit seinem Trio erreichen wir ihn in seinem Haus in den St. Gabriel Mountains nahe Los Angeles. Der Bergkamm glüht im Feuerschein der Waldbrände. Parks lacht. Das Feuer sei einen Kilometer weit weg. Es gebe viel Holz da oben, Asche regne vom Himmel. „Solche Feuer gehören zur Evolution Kaliforniens, sie machen den Boden fruchtbar. Just comes with the dinner. Unsere Häuser sollten hier wohl nicht stehen.“

Mister Parks, Sie verlassen Ihr Schneckenhaus. Warum?


Ich gehöre zu der Handvoll Musiker wie Harry Nilsson, für die der Begriff des Studiokünstlers erfunden wurde. Mich hat die Disziplin der Aufnahmeprozedur immer mehr fasziniert als die Aussicht, mein Geld mit Auftritten vor Leuten zu verdienen, die in meine Richtung schreien. Überhaupt war mir die Vorstellung ein Graus, dass der Wert musikalischer Arbeit vom Applaus abhängen soll. Jetzt, da meine Kinder aus dem Haus sind, kann ich es mir leisten, meine Arbeiten an Filmmusiken zu unterbrechen, um mir die Welt anzusehen. Ich weiß, das klingt furchtbar bürgerlich.

Insbesondere für jemanden, der für die Beach Boys, U2, Cher, Laurie Anderson, Bruce Springsteen und Sheryl Crow gearbeitet und für Brian Wilsons unvollendetes „Smile“-Projekt die Texte geschrieben hat, um nur ein paar Namen zu nennen. Sie sollten berühmt sein.

Ich stand immer außerhalb der üblichen Kategorien. Als es noch wichtig war, in welchem Segment eine Platte einsortiert wurde, konnte man nie einen passenden Begriff für mich finden. Rock war es nicht, aber auch Nicht-Rock wäre unpassend gewesen. Als Kind stand ich im Bann der Oper, später arrangierte ich Stücke für Zappas Mothers of Invention. Weder Klassikkritiker noch Rockschreiber interessierten sich für mich.

Ihre Karriere begann mit einem monumentalen Flop. Ihr Solodebüt „Song Cycle“ gilt als pompöser Versuch, Neue Musik mit traditionellen Folk- und Popstilen zu verbinden. Die LP wurde von der Plattenfirma verschenkt. Fühlten Sie sich unverstanden?

Natürlich. Als ich die fertige Platte dem Präsidenten der Plattenfirma präsentierte, fragte er, warum ich es „Song Cycle“ nennen wollte, wo doch kein einziger Song darauf zu hören war. Das war mir niemals in den Sinn gekommen. Ich dachte, es würde ausreichen zu lernen, wie die Studiogerätschaften funktionieren.

Das Album gilt als früher Höhepunkt der psychedelischen Ära.

Ich sehe es nicht so. Mit Drogen und Bewusstseinserweiterung hatte ich nichts im Sinn. „Song Cycle“ war von Warhols Suppendosen inspiriert, niemand würde eine Suppendose psychedelisch finden. Offenbar habe ich viele Leute verstört mit etwas, das eine erfrischende Bestätigung des amerikanischen Individualismus sein sollte, dem zufolge der Einzelne hervorstehen darf, ohne als überstehender Nagel eingeschlagen zu werden. Wegen der assoziativen Texte wurde das Album als „Joyce light“ bezeichnet. Das war fair. Ich wollte tatsächlich literarische Bezüge frei zueinander anordnen. Aber vielleicht hätte ich vorher mal daran denken sollen, dass sich das auch jemand anhören muss. Nun, ja, ich war 24, das Album war das Resultat eines verwirrten Geistes. Kurz zuvor war mein Bruder nach Frankfurt am Main versetzt worden. Er war ein Doppelagent. Wir haben nie herausgefunden, wie er starb.

Sie meinen, er wurde umgebracht?

Mein Bruder sprach als leitender Angestellter im auswärtigen Dienst fließend Russisch. Wir haben nur erfahren, dass er einen Monat vor seinem Tod in die russische Botschaft in Washington gegangen war, um Papiere über Chruschtschow zu übergeben, nachdem der in einem legendären Wutanfall bei der UNO-Vollversammlung mit seinem Schuh auf das Rednerpult geschlagen hatte. Ich sah meinen Bruder vor seinem Abflug nach Deutschland noch einmal. Er las mir ein Schiller-Gedicht vor – „Elegie auf den Tod eines Jünglings“. Für mich stellte mein Bruder eine Art Löwe auf dem Müllberg dar. Ich stand unter Schock, dachte aber, niemand würde das herausfinden. Es stellte sich heraus, dass es meine Songs als die durchsichtigen Fenster zur Seele, die Songs nun einmal sind, jedem verrieten.

Wundert es Sie, dass Sie danach weitere Jobs angeboten bekamen?

Unlängst bat mich Joanna Newsom, mir ihre neuen Songs vorspielen zu dürfen. Wir setzten uns in ihr Hotelzimmer. Sie ist eine bezaubernde 27-jährige Sängerin, die sich auf der Harfe begleitet. Und nach zwanzig Minuten sagte ich, dass mir das genüge, um ihr als Arrangeur bei ihrem Album „Y’s“ zuzuarbeiten. Aber mich wunderte doch, wie sie auf mich alten Knacker überhaupt gekommen war. Hatte sie meine Arbeit für Rufus Wainwright oder für U2 überzeugt? Sie sagte, es sei „Song Cycle“ gewesen. Als ich im Foyer anlangte, musste ich weinen.

Sie gelten als ,musician’s musician’. Von Musikern werden Sie geschätzt. Sie müssen uns ihr Geheimnis verraten. Wann werden Sie um Hilfe gebeten?

Ich weiß nicht, es geschieht einfach, ohne dass ich einen Einfluss darauf hätte. Erst vor drei Monaten erhielt ich einen Anruf meines Freundes Ry Cooder, der sagte, „Bob hat mich gebeten, dich zu fragen, ob du uns unterstützen willst.“ Er rief im Auftrag von Bob Dylan an. Und so kam es, dass ich in einem Film neben zwei meiner größten Idole mitwirkte, deren Werke mich nachhaltig geprägt haben. Manhattan Transfer bestellten Texte bei mir, ebenso Ringo Starr. Das Leben hat mich oft mit dem Widerschein des Ruhms bedacht. Aber ich bin dankbar, dass ich unbehelligt von den Gefahren der Popularität leben kann.

Als Kind spielten Sie 1956 neben Grace Kelly in „Der Schwan“. Wären Sie beinahe zum Filmstar geworden?

Ich übernahm Hollywood-Rollen und trat in TV-Serien nur auf, um mein Musikstudium zu finanzieren. Wissen Sie, alles, was ich geworden bin, verdanke ich eigentlich Albert Einstein. Dass ich diesem Mann begegnet bin, veränderte mein Leben. 1955, seinem Todesjahr, besuchte ich in Princeton, wo Einstein wohnte, die American Boychoir School …

… ein Knabeninternat für musikalisch Hochbegabte …

Ein Tag ohne Bach erschien mir damals wie ein verlorener Tag. Und ich sang als Jüngling in der Carnegie Hall, bevor ein Rock ’n’ Roll-Label sie kaufen konnte. Eines Abends baute sich unser Chor vor Einsteins Haus auf, um ihm ein Ständchen zu bringen. Wir sangen „Stille Nacht“. Und gerade als ich zu meinem Solo ansetzte, trat Einstein vor die Tür. Er hörte mich singen, drehte sich wortlos um und verschwand. Ich wusste, dass mein Deutsch nicht besonders gut war. Trotzdem musste ich weitersingen. Da erschien Einstein erneut und begleitete mich auf der Violine. Nichts von allem, was ich später produziert und geschrieben habe, reicht an dieses zufällige Duett mit Einstein heran. Mit zwölf stand ich auf dem Gipfel meiner musikalischen Laufbahn.

Warum Sind Sie Popmusiker geworden?

Während meiner Ausbildung zum klassischen Pianisten am Carnegie-Institut begegnete mir moderne Musik in Form dessen, was ich das Zeitalter der Angst nenne – atonale Stücke ohne Metrik und Melodik, eine Musik ohne die geringste physische Verführungskraft, freudlos, dunkel und ohne Hoffnung. Ich aber bin von Natur aus Populist und möchte, dass Musik über einen elitären Zirkel hinaus wirksam ist.

Besonders zugänglich ist Ihre Musik allerdings nicht. Jede Platte scheint einer rätselhaften Leitidee zu folgen.

Kunstwerke gehen aus dem Bemühen hervor, etwas herauszufinden, was man noch nicht weiß. Wohin einen das führt, kann man vorher nicht sagen. Aber es stimmt, dass jedes meiner Alben von einer gewissen Gedankendichte ist. Je tiefer ich mich in Projekte verstricke, desto obsessiver kreisen sie um ein Thema ...

… wie den Roman „Onkel Remus“ von Joel Chandler Harris auf „Jump!“ oder den Aufstieg Japans zur wirtschaftlichen Weltmacht auf „Tokyo Rose“?

Genau. Mich hat der Einfluss Amerikas in Übersee immer interessiert. Heute mehr denn je. Und das Unbehagen, das ich dabei spüre, hat Phil Ochs in einem Song sehr schön dargelegt, den ich für ihn produziert habe. „Everywhere I go“, heißt es da, „I see the same.“ In Europa sind die Folgen des Franchising-Systems im Stadtbild sichtbar. Ich würde so gerne an einen Ort kommen, an dem ich eine fremde Sprache sprechen müsste. Englisch ist eine wundervolle Sprache, die in einem Flughafen-Tower unbedingt gesprochen werden sollte. Aber darüber hinaus?

Sie beklagen den Triumph der Popkultur, dass Ihnen als Amerikaner das Feedback darauf abhanden kommt, was es heißt, Amerikaner zu sein?

Richtig. Ich fühle mich in einer Spiegelhalle gefangen. Das ist auch ein Grund für mich, um die Welt zu ziehen. Ich suche nach der Saat, die jetzt aufgehen kann, da die Musikindustrie an ihrer eigenen Gier kollabiert ist.

– Das Gespräch führte Kai Müller.

ZUR PERSON

VAN DYKE PARKS, geboren 1943 in Hattiesburg, Mississippi, hat als Komponist, Arrangeur und Produzent etlichen Superstars zur Seite gestanden. Seine sechs Soloplatten gelten als visionär. Vor allem das Debüt „Song Cycle“ (1968) gilt als brillanter Versuch, amerikanische Musiktraditionen – Bluegrass, Ragtime – mit einer orchestralen Popsprache zu verbinden. Als Kind lernte er Klarinette, bevor er am Carnegie Institute in Pittsburgh eine klassische Klavierausbildung absolvierte. Er war Schauspieler und schrieb Kinderbücher.

Das Konzert in Berlin: am  Sonntag in der Passionskirche, 20 Uhr.

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