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Tom Tykwer

© Sony

Interview: Tom Tykwer: "Mit Wirtschaftsleuten halte ich locker mit"

Das "Parfüm" lockte Millionen ins Kino, sein Film "The International" eröffnet die Berlinale: Tom Tykwer gehört zu den gefragtesten Regisseuren der Welt. Im Interview erzählt er, was er von Geld, Glas und Genres hält – und von späten Feten.

Eigentlich ist es komisch, dass wir zwei Frauen Sie interviewen, „The International“ ist ein richtiger Jungsfilm.

Na, von der Hierarchie her gesehen ist Naomi Watts, die die weibliche Hauptrolle spielt, die Vorgesetzte von Clive Owen. Natürlich ist durch ihn ein gewisses Testosteron-Potenzial da, aber gleichzeitig ist seine Figur brüchig und fragil. Er ist angetrieben von Wut und Empörung, aber auch geprägt von Angst und Zweifel.

Das ist fast schon normal bei Actionhelden: James Bond und Jason Bourne sind auch immer gebrochener.

Aber die Antriebsfedern sind verschieden. Helden wie Bourne geht es um die eigene narzisstische Kränkung und ihre persönlichen Probleme, ansonsten interessiert die Welt sie nicht. In unserem Film führt keiner einen persönlichen Rachefeldzug, es steckt eine Haltung dahinter.

Bislang ging es in Ihren Filmen immer um Menschen, die sich nach Liebe sehnen. Jetzt geht es um Geld, Macht und Gerechtigkeit.

Ich habe keinen Themenkatalog, den ich erfüllen muss. Wenn ein Stoff mich interessiert, hat das immer auch mit meiner kinematografischen Prägung zu tun. Vor allem interessiert mich eine bestimmte Energie von Figuren. Clives Figur ist ein Verwandter meiner Filmhelden, die alle triebhaft versuchen, ein statisches System zu überwinden. Er ist einer, der sich mit seiner ganzen Verve, seinem Intellekt, aber auch seiner ganzen Körperlichkeit gegen eine Umgebung voller perfektionierter, beinahe ferngesteuerter Persönlichkeiten stemmt. Er ist die zappelnde Fliege im Spinnennetz, deshalb gibt es auch diese – von Fotografen wie Andreas Gursky inspirierten – Panorama-Bilder: der Mensch, im System gefangen. Oder die grafische Perfektion der Bankfassade, gegen die dieser Mann mit wehendem Mantel anrennt.

Sie haben diesmal nicht, wie bisher bei all Ihren Filmen, am Drehbuch mitgeschrieben. Was hat Sie am Stoff von „The International“ gereizt?

Eine frühe Fassung des Drehbuchs, dessen Autor ja trotz meiner Einflüsse Eric Singer ist, kam auf meinen Tisch, die spielte noch in den Siebzigerjahren und der Hauptdarsteller war ein Holocaust-Überlebender aus Belgien. Aber es gab schon den Druck, unter dem die Figur stand, und die Bank als Gegner. Und es gab eine Szene im Guggenheim-Museum. Das fand ich interessant. Aber ich wusste, wir müssen es in die Gegenwart verlegen. Globale Ökonomie als zu bekämpfendes Prinzip, das ist heute sicherlich relevanter als in den Siebzigern.

Der Einzelne, der gegen ein System kämpft, das erinnert an das New Hollywood der Siebziger. Waren das Vorbilder?

Wir haben uns bei der Vorbereitung viele Filme angesehen, unter anderem „The Conversation“ oder „French Connection“, beide übrigens mit Gene Hackman. Auch in Filmen wie „Die drei Tage des Condor“ oder „Der Marathon-Mann“ war die politische Paranoia der Siebzigerjahre ein relevanter Subtext. In all diesen Filmen gibt es ein geheimes System innerhalb des Systems, das uns kontrolliert. Unsere Regierungen, unser gewähltes System ist eigentlich in deren Händen. In den Siebzigerjahren waren das die Geheimdienste, die CIA, das FBI und Organisationen, die hinter den Geheimdiensten stecken: die Firma, die Company. Das hat damals einen Nerv getroffen, nämlich die Vorstellung, dass wir unsere Gesellschaft längst nicht mehr mitgestalten. Das kann man konsequent auf heute übertragen, nur dass das geheime System heute die global economy ist. Spätestens seit wir in dieser Finanzkrise stecken, ist das jedem bewusst geworden.

Der Film geht von der Vorstellung aus, dass die Wahrheit über die Banken, die über Kredite ganze Nationen und Regierungen von sich abhängig machen, auf keinen Fall ans Licht kommen darf. In Wirklichkeit steht die Wahrheit längst in jeder Zeitung – ohne dass sich etwas ändert.

Es ist ein großer Unterschied, ob man etwas weiß oder etwas versteht. Wer begreift wirklich, wie Hedgefonds funktionieren? Seit mindestens einer Dekade passieren in diesem Zusammenhang schlagzeilenträchtige Dinge, aber sie landen nicht auf den Titelseiten, weil man allein drei Zeitungsseiten braucht, um das Geschehen verständlich darzustellen.

Und: Können Sie inzwischen erklären, wie Hedgefonds funktionieren?

Ich glaube, ich könnte inzwischen in jeder Streitauseinandersetzung mit Wirtschaftsexperten zumindest dagegenhalten.

Also haben Sie den Film zur Finanzkrise gedreht?

Die Krise brach ja erst offen aus, als ich in der Mischung saß. Bis dahin fanden alle, die die ersten Fassungen sahen, den Hintergrund der Handlung ganz schön kryptisch. Wir wollten allerdings vor allem einen guten Genrefilm machen. Das Publikum mit einem Thriller zu überraschen, ist schwer, weil es wahnsinnig trainiert ist. Mich hat das Genre sehr geprägt, deshalb galt: Wenn schon, muss dieser Thriller auch Bestand haben. Es gab ja auch in Europa in den Siebzigern wichtige Politthriller, Filme von Francesco Rosi, Damiano Damiani oder Henri Verneuil. Das sind Genrefilme, die Bestand haben, und gleichzeitig zeithistorische Dokumente. So etwas wollten wir auch versuchen.

Reden wir über Architektur. Sie haben einen Sony-Film in der Sony-Zentrale gedreht...

In dieser Zentrale am Potsdamer Platz ist zuvor noch nie ein Film gedreht worden. Ich wollte unbedingt hier drehen, weil es ein so imposanter und in seiner Widersprüchlichkeit durchaus beunruhigender Bau ist. Einerseits vermittelt er das Gefühl von Transparenz, das viele Glas, die Durchsichtigkeit. Man ist quasi eingeladen, den Geschäftemachern über die Schulter zu sehen. Aber Glas hat ja vor allem die Eigenschaft zu spiegeln. Jeder von drinnen kann dich draußen sehen, aber du siehst von draußen nicht hinein. Die Transparenz suggeriert Partizipation, aber das ist ein Irrtum. Hier kommt keiner einfach so rein, das Gebäude ist ein Hochsicherheitstrakt, man braucht einen Eintrittspass und muss durch mehrere Sicherheitssperren. Diesen Widerspruch wollten wir spürbar machen.

Sie haben den Film zu großen Teilen in Berlin gedreht. Aber es ist ein ganz anderes Berlin als das, das Sie noch in „Lola rennt“ gezeigt haben.

Nach dem Mauerfall gab es diesen Bauboom in Berlin, in „Lola rennt“ war Berlin eine Baustelle, eine Stadt im Übergang. Jetzt ist ein Großteil der Planungen realisiert, aber dieser neue Teil Berlins ist, jedenfalls für das internationale Kino, noch eine ungefilmte Kulisse. Der Film beginnt am Berliner Hauptbahnhof und arbeitet sich dann gleichsam rückwärts in die Baugeschichte vor. In Mailand steht der Pirelli-Tower gegenüber dem Mussolini-Bahnhof, die neue Welt gegenüber der alten. Und New York ist die alte neue Welt, die im 20. Jahrhundert als neu galt, aber heute eine ziemlich marode Bausubstanz hat. In Istanbul zu enden, war da nur konsequent. Dort spürt man, wie die historische Architektur von der Spätmoderne angegriffen wird.

Haben Sie Lieblingsgebäude?

Einer meiner Lieblingsarchitekten, das überrascht Sie jetzt wohl nicht, ist Frank Lloyd Wright. Das New Yorker Guggenheim Museum, dessen Inneres wir für den Film komplett nachgebaut haben, hat mich immer beeindruckt, weil es von außen so klein aussieht. Wenn man dann eintritt, verdoppelt oder verdreifacht sich der Raum, wegen der Spirale mit ihrem Unendlichkeitscharakter. Ein Phänomen, das man aus der Kindheit kennt: Man erinnert Räume als riesengroß und wenn man sie später wiedersieht, sind sie ziemlich klein. Hier ist es umgekehrt.

So ein Gebäude im Showdown zu zerlegen - macht das einfach höllischen Spaß?

Erst mal ist es Akribie. Wir haben ein Jahr daran gearbeitet, in Babelsberg ein Gebäude zu rekonstruieren und es dann innerhalb von 16 Wochen nachzubauen, an dem die Amerikaner 16 Jahre lang gebaut haben und in dem es keinen einzigen rechten Winkel gibt. Das ist vor allem eine wahnsinnige Fummelei für die Architekten.

Sie eröffnen, nach 2002 mit „Heaven“, nun zum zweiten Mal die Berlinale. Das erste Mal waren Sie 1981 auf dem Festival…

… „Raging Bull“ war der Eröffnungsfilm.

Da waren Sie 16. Berlinale-Filme darf man doch erst ab 18 sehen.

Da guckte keiner so genau. Wir haben uns Dauerkarten gekauft, für 120 Mark, das war damals viel Geld. Also ging man nicht in die Jugendherberge, sondern setzte sich zwischen vier und acht Uhr morgens in eins der Cafés, die die ganze Nacht geöffnet hatten – damals hatte in Berlin eigentlich alles rund um die Uhr offen. Um 8.30 Uhr lief die erste Wettbewerbswiederholung im Gloria Palast. Bis drei Uhr nachts konnte man Filme gucken – in all den schönen alten Kinos, von denen heute so viele abgerissen sind. Das hier ist jetzt meine 27. Berlinale, die Zahl finde ich ein bisschen schockierend.

Das Gespräch führten Christiane Peitz und Christina Tilmann.

TOM TYKWER, geboren 1965 in Wuppertal, drehte mit 11 den ersten Film und arbeitete schon früh als Filmvorführer. In Berlin managte er das Moviemento, wo derzeit eine Retrospektive seiner Filme gezeigt wird. 1994 gründete er mit Stefan Arndt, Dani Levy und Wolfgang Becker die Produktionsfirma X-Filme. Mit „Die tödliche Maria“ wurde er 1993 als Regisseur bekannt, es folgten „Winterschläfer“ (1997), Lola rennt (1998), „Der Krieger und die Kaiserin“ (2000), „Heaven“ (2002). 2006 kam seine Verfilmung von Patrick Süskinds Bestseller Das Parfüm ins Kino.

The International mit Clive Owen und Naomi Watts eröffnet heute Abend die Berlinale. Tykwer gehört zum Team von Deutschland 09, dem Gemeinschaftswerk von 13 Regisseuren, das am 13. Februar läuft.

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