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Hoffnungsfroh. Kurzfilmjuror Ibrahim Letaief.

© Thilo Rückeis

Interview: „Tunis soll ein einziges großes Studio werden“

Der Regisseur und Produzent Ibrahim Letaief ist einer der bekanntesten Vertretern des tunesischen Films. Mit dem Tagesspiegel sprach er über Rap, Revolution und befreite Filme.

Ibrahim Letaief gehört zu den bekanntesten Vertretern des tunesischen Films. 1997 gründete er die Produktionsfirma „Long et Court“, mit der er Kurzfilme, Werbefilme und Spielfilme realisiert. 2008 drehte Letaief seinen ersten Langfilm, die Komödie „Cinecittà“ – ein Kassenschlager in Tunesien. Derzeit arbeitet er an seinem zweiten Spielfilm, zudem unterrichtet er an der National Film School ESAC, einer staatlichen Filmschule in Tunis. 2009 wurde er als bester Regisseur in Tunesien mit dem National Culture Award ausgezeichnet. Letaief, geboren 1959, ist Mitglied der Internationalen Jury der Berlinale-Shorts.

Monsieur Letaief, was gibt es Neues aus ihrem Land?

Wir sind sehr glücklich. Am 14. Februar, einen Monat nach dem Sturz Ben Alis, haben mich Freunde aus Tunis auf dem Handy angerufen und erzählt, dass gerade fünf- oder sechstausend Leute auf den Straßen vierwöchiges Jubiläum feiern. „Valentinstag-Revolution“ haben sie es genannt.

Welche Rolle spielte die tunesische Filmszene in der Revolution?

Die Filmemacher waren ein Teil der Revolution. Alle waren auf der Straße und filmten. Vorher brauchte man eine Genehmigung, wenn man eine Kamera mit Stativ benutzen wollte. Jetzt kann jeder filmen, was er will. Die Filmemacher sind dabei, Tunis in ein einziges großes Studio zu verwandeln. Wir haben unter Ben Ali 23 Jahre unseres Lebens, 23 Jahre Schaffenszeit verloren. Jetzt wollen wir die verlorene Zeit aufholen.

Was wird sich für Sie als Regisseur und Produzent ändern?

Meine Kollegen und ich werden freier arbeiten können, wir können kreativer sein und offener für Themen. Wir können politische Filme machen, Filme über gesellschaftliche Probleme. Vorher durften wir keine Armut zeigen, Politik war tabu, Religion, der Präsident und seine Familie. Es war schwer, Filmemacher in Tunesien zu sein. Filme gegen die offizielle Politik haben keine Fördergelder bekommen. Man konnte sie aber trotzdem drehen: „Cinecittà“ handelt von einem Regisseur, der aus Geldnot eine Bank überfällt – aber ich musste ihn selbst bezahlen, und einige Szenen musste ich herausschneiden.

Wird das maghrebinische Kino bald international wieder stärker vertreten sein?

Da bin ich sicher. Selbst wenn es keine Revolutionen gibt in Marokko oder Algerien, haben die Regimes doch Angst. Sie werden mehr Freiheiten zulassen, um Umstürze zu vermeiden. In der Folge wird nicht nur im Film, sondern in allen Künsten viel passieren. Das tunesische Kino ist mit das älteste in Afrika, aber es ist im Moment im Ausland wenig bekannt. Man kann unseren Job nicht in einer Diktatur machen. Wenn man im Exil lebt, kann man über Diktatur reden. Aber die Arbeit von Jafar Panahi können wir eben nicht sehen.

Wahrscheinlich werden bald viele Filme über den Umbruch herauskommen.

Ja, ich weiß von vier Dokumentarfilmen, die gerade geschnitten werden. Ich arbeite auch selbst an einem Film. 1998 habe ich Kinder gefragt: Was erwartet ihr vom Jahr 2000? Das war damals weit weg. Aber diese Leute haben heute die Revolution gemacht. Jetzt bin ich dabei, junge Erwachsene zu porträtieren, die 20, 23, 25 Jahre alt sind – leider sind es nicht die gleichen wie damals. Ich frage sie, was ihre Erwartungen für die Zukunft sind, was die Revolution für sie bedeutet. Zwischen den alten und neuen Aufnahmen gibt es interessante Parallelen: Freiheit war schon bei den Kindern ein großes Thema, wenn auch nicht explizit politisch. Es war ja dasselbe System.

Sie unterrichten an einer Filmschule. Was hat sich dort geändert?

Die ganze Gesellschaft verändert sich radikal, auch in der Schule. Studenten drängen regimenahe Dozenten aus dem Amt. Sie versuchen eine zweite Revolution. Während der letzten Monate haben wir keinen Unterricht gemacht, sondern in den Klassenräumen und in der Cafeteria über die Revolution geredet. Nach der Revolution wollten plötzlich alle das Thema ihrer Abschlussprojekte ändern. Am Anfang des Jahres war die Aufgabe: Macht ein filmisches Porträt. Viele wollen jetzt Mohamed Bouazizi porträtieren, dessen Selbstverbrennung ein Auslöser der Revolution war. Andere wiederum wollen gar kein Porträt mehr drehen. Sie wollen keine Vorgaben mehr befolgen, sondern das tun, was sie interessiert.

Machen Ihnen die ganzen Turbulenzen auch manchmal Sorgen?

Wir haben in Stille gelebt, die ganzen Jahre, da ist jedes Geräusch gut. Nicht nur der Film, auch Musik war sehr wichtig in der Revolution, eigentlich alle jungen, alternativen Kulturen. Zum Beispiel der Rap, den entdecke ich jetzt, mit über fünfzig. Vorher war Rap verboten, aber während der Revolution wurde er populär, auf französisch und arabisch: „Assez, assez, assez!“ (Genug!) Einer rappte über Ben Ali: „Du kannst dir deine Haare färben, aber deine wahre Farbe kannst du nicht verbergen.“

Und dann war Ben Ali plötzlich weg.

Alles ist schnell passiert, schneller als erwartet. Wir haben in einer Diktatur gelebt, jetzt fühlt es sich so an, als sei die Berliner Mauer gefallen. Plötzlich ist ein junger Blogger Minister für Jugend und Sport. Und es geht weiter, wir sehen es in Ägypten und sicher auch bald in Algerien und im Jemen. Die ganze Region wird sich verändern. Da habe ich viel Hoffnung.

Das Gespräch führte Jan Oberländer.

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