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Die Geschwister und Musiker Rufus und Martha Wainwright stellen bei der Berlinale einen Film über ihre verstorbene Mutter vor.

© Thilo Rückeis

Interview: "Unsere Mutter war erleichtert, dass wir Talent haben"

Familienbande: Die Musiker Martha und Rufus Wainwright sprechen im Interview über die Konzertdoku "Sing Me The Songs That Say I Love You" zu Ehren ihrer Mutter.

Mrs. und Mr. Wainwright, Sie haben beide schon viele Konzerte gegeben, doch das Memorial-Konzert mit den Liedern Ihrer 2010 an Krebs verstorbenen Mutter, das in „Sing Me The Songs That Say I Love You“ dokumentiert wird, war sicher eine vollkommen andere Erfahrung. Wie haben Sie sich auf der Bühne gefühlt?

MARTHA WAINWRIGHT: Es war zum Glück schon das zweite Tribute-Konzert, das wir gegeben haben. Das erste fand in London statt, nur wenige Monaten nach ihrem Tod. Für mich war es völlig surreal. Ich erinnere mich kaum daran. Bei unserem New Yorker Aufritt wussten wir beide und auch alle Gastmusiker sehr genau, was wir wollten: Kates Musik würdigen, ihre Songs so gut wie möglich repräsentieren. Natürlich war es auch tragisch. Rufus hat während des Konzerte viel geweint, ich erst gegen Ende.

RUFUS WAINWRIGHT: Die erste Show zu filmen, wäre zu viel gewesen: Heulende Leute, die Songs nicht zu Ende bringen und von der Bühne laufen. In New York – über ein Jahr nach Kates Tod – war es einfacher für uns. Dennoch lag unter allem noch immer ein Ozean der Gefühle, eine tiefe Traurigkeit. Wir hatten genau die richtige Mischung aus Tragik und Performance-Fähigkeit, die für den Film nötig war.

Hatten Sie das Gefühl, Ihre Mutter sei in irgendeiner Weise während des Konzertes präsent gewesen?
RUFUS WAINWRIGHT: Sie war überall, man konnte sie den ganzen Abend spüren. Hinzu kommt: New York hat unserer Mutter viel bedeutet. Sie kam als junge Frau aus Montréal in die Stadt und entdeckte die neue Singer-Songwriter-Szene, Partys, Glamour. Sie verlebte dort ihre glücklichste Zeit.

Einer der intensivsten Konzertmomente ist, wenn Sie den Song „Proserpina“ singen, das letzte Stück, das Kate McGarrigle geschrieben hat. Ihre Schwester Anna erzählt im Film, dass der Song auf ihrem Computer gefunden wurde. Haben Sie ihn erst posthum zum ersten Mal gehört?
MARTHA WAINWRIGHT: Nein, sie schrieb daran in den Monaten vor ihrem letzten großen Auftritt in der Londoner Royal Albert Hall. Sie arbeitete langsam, weil es ihr schon sehr schlecht ging, und sie schickte uns den Song per Mail. Er hatte dieses gespenstisch-intensive (singt) Hahahaha. Jedem, der es hörte, war klar, dass es eine religiöse Qualität hatte.

RUFUS WAINWRIGHT: Spirituell.

MARTHA WAINWRIGHT: Das auch. Ihre Stimme war schwach und es klang, als sei sie mit einem Fuß im Leben und mit dem anderen außerhalb. Fast als würde sie sich in die Göttin Persephone verwandeln, von der der Song handelt. Die geht ja auch in die Unterwelt. Kurz nach Kates Tod habe ich den Song selber aufgenommen, weil ich nicht wollte, dass es irgendjemand anders tut.

RUFUS WAINWRIGHT: Anfangs dachten wir, der Song sei über Martha, die in London war und Kate in Montréal.

Wegen der Zeile „Come home to Mama“?
RUFUS WAINWRIGHT: Ja. Gleichzeitig sang Kate aber auch über ihre eigene Mutter, die sie bald wiedersehen würde.

"Ich habe immer auf die Ratschläge meiner Mutter gehört."

Die Geschwister und Musiker Rufus und Martha Wainwright stellen bei der Berlinale einen Film über ihre verstorbene Mutter vor.
Die Geschwister und Musiker Rufus und Martha Wainwright stellen bei der Berlinale einen Film über ihre verstorbene Mutter vor.

© Thilo Rückeis

Sie haben durch den Tod ihrer Mutter auch eine wichtige Beraterin und Kritikerin verloren. Sie beide haben seither neue Alben aufgenommen. Wie war das?
MARTHA WAINWRIGHT: Mein Album „Come Home to Mama“ taucht stark in diese wütende Trauerstimmung ein. Rufus, der immer weiß in welche künstlerische Richtung er gehen will, hat viel mit Kate über seine Musik diskutiert. Mal hat er auf ihren Rat gehört, mal nicht. Ich hingegen habe immer darauf gehört. Meine Mutter hat oft auf meinen Alben mitgespielt oder sie gemischt. Deshalb fühlte ich mich diesmal sehr allein. Es hat sehr geholfen, dass ich mit Yuka Honda eine Frau als Produzentin ausgesucht habe, deren Mutter ebenfalls an Krebs gestorben ist. So hatte ich eine mütterliche und schwesterliche Figur an meiner Seite.

RUFUS WAINWRIGHT: Ich habe hingegen mit Mark Ronson Party in Südfrankreich gemacht, als wir „Out of the Game“ produzierten (lacht).

Hätten ihrer Mutter die Alben gefallen?
RUFUS WAINWRIGHT: Ja. Sie war Fan von uns beiden. Sicher hätte es ihr aber auch gefallen, dass ihre Musik durch den Film und das noch folgende Album mehr Anerkennung bekommt. Das war tief in ihr drin ihr Traum. Wir Kinder waren früher immer die Nummer eins für sie.

MARTHA WAINWRIGHT: Sie war gern Mutter. Das war eine Erfolgsstory für sie, was nicht zu im selben Maße auf ihre Karriere zutraf.

Sie haben inzwischen beide selber Kinder, drei und zwei Jahre alt. Spielt ihre Erfahrung, in einer musikalischen Familie aufgewachsen zu sein, eine Rolle bei der Erziehung? Läuft es ähnlich ab?
MARTHA WAINWRIGHT: Momentan kann ich gar nichts dagegen tun: Ich habe meinen Sohn auf der Tour dabei. Für ihn spielt jeder Mensch ein Instrument. Er singt, bevor er spricht. Eigentlich kann er schon bis 20 zählen, aber er zählt immer nur bis vier, wie beim Einzählen für einen Song. Und wenn ich frage, was kommt nach vier, sagt er: Musik.

Wären Sie enttäuscht, wenn Ihre Kinder keine Musiker werden?
BEIDE: Nein!

Mal ehrlich.

MARTHA WAINWRIGHT: Ich glaube, unsere Mutter war erleichtert, als sie merkte, dass wir Talent haben. Sie war sehr kritisch, und wenn ihr unsere Musik nicht gefallen hätte, hätte sie das auch gesagt. Deshalb hoffe ich, dass – falls mein Sohn anfangen sollte Songs zu schreiben – mir die auch gefallen. Sonst weiß ich nicht, was ich machen soll (lacht).

Mr. Wainwright, Sie treten morgen bei der Teddy Gala auf. In einigen nominierten Werken geht es um queere Familien. Sie selbst sind mit einem Mann verheiratet. Derzeit wird über das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare in Europa wieder heiß diskutiert. Wieso ist es immer noch so ein Reizthema?
RUFUS WAINWRIGHT: Es wird kein einfacher Übergang. Systeme, die für tausende von Jahren bestanden haben, kann man nicht im Handumdrehen ändern. Das Wichtigste ist immer das Wohl des Kindes. Daran sollte sich alles orientieren. Was das im Einzelfall genau heißt, muss man sehen.

MARTHA WAINWRIGHT: Ich wurde selbst nicht von zwei, sondern nur von einem Elternteil aufgezogen. Ist das schlecht? Oder sind mit zwei Elternteile besser, die sich ständig streiten? Die beste Lösung sind doch zwei engagierte Eltern – egal welches Geschlecht sie haben.

15.2. 14.30 Uhr (CineStar 7), 16.2. 15.30 Uhr (Colosseum 1)

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