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Kultur: "Inventionen 2000": Antennen im Klanggefecht - Klanginstallationen an sechs Berliner Orten

Ein Bild, das in seinem Atelier auf den Kopf gedreht war, so erzählt die Geschichte, habe Wassily Kandinsky die Augen für das Abstrakte geöffnet. Er selbst behauptete das Gegenteil: Nichts sei konkreter als Punkt und Linie zu Fläche.

Ein Bild, das in seinem Atelier auf den Kopf gedreht war, so erzählt die Geschichte, habe Wassily Kandinsky die Augen für das Abstrakte geöffnet. Er selbst behauptete das Gegenteil: Nichts sei konkreter als Punkt und Linie zu Fläche. Seitdem gilt abstrakt als konkret. Leicht zu verstehen war das nie, konnte es auch nicht sein: Wenn Anschauungen mit ihren Begriffen identisch werden, hat der Verstand es schwer. Er kann die Hoheit über Punkt und Linie nicht verloren geben. Für ihn habe es keine Bedeutung, sagt der Komponist Ed Osborn, dass seine Klanginstallation im Haus des Lehrers aussieht wie eine auf einen Melkbock montierte Angel. Technische Notwendigkeit habe ihn die Teile so zusammensetzten lassen. Während man vor der akustischen Angelmaschine steht, denkt man, dass diese technische Notwendigkeit eigentlich auch ihr bestmöglicher Zufall ist Osborns Installation angelt die Bewegungen aus der Luft und schickt sie als tief grummelnde, australische Regenhorntöne aus dem Lautsprecher wieder in den Raum und an die Angel zurück. "Recoil" nennt Osborn diese unendliche Produktion der Klänge aus ihrer eigenen physikalischen Beschaffenheit, Rückkopplung. Ed Osborn, der in diesem Jahr Gast des Berliner DAAD-Programms, ist präsentiert seine Installation im Rahmen der "Inventionen 2000", des Berliner Festivals moderner Musik, das der DAAD zusammen mit der Technischen Universität Berlin alle zwei Jahre veranstaltet. Insgesamt zeigt es derzeit sechs Klanginstallationen. Osborn angelt im Haus des Lehrers,wo sich das Abflussrauschen in den Deckenrohren des fensterlosen Raumes im fünften Stock in seine Urlaute mischt. Im hinteren Teil der Passagen am Roten Rathaus hat der Spanier Jose Antonio Orts seine photosensitiven Fühler aufgestellt. Wie die Ausguckröhren kleiner U-Boote ragen die kleinen Stielaugen an Stangen aus dem Boden und verursachen wuchtige Orgelakkorde, sobald man versucht, durch Bewegungen die Technik zu manipulieren. Und je mehr Leute das auf einmal tun, desto lauter beginnen die Rohre zu dröhnen, bis der weihevolle Klang nur noch rauscht wie zehn Klospülungen.

In den Glockenturm der Parochialkirche hat Martin Riches acht Röhrenglocken gehängt und davor acht Glühbirnen gestellt. Nach einem bestimmten Zahlenschema rechnete Komponist Tom Johnson dazu eine Partitur aus. "Do it yourself" heißt: Jeder kann diese Stücke spielen, wenn er an das Rohr schlägt, vor dem die Birne aufleuchtet. Der Clou dabei: Jede Komposition wird neunstimmig erklingen, obwohl es nur acht Glocken sind. Während man mit dem Schlegel in der Hand in dieses Zahlenproblem versinkt, hört man die Klänge plötzlich wie von selbst einer Geografie durch den Raum folgen, sich nähern und verschwinden. Die Antennen, die der Amerikaner Ron Kuivila in den modrigen, kalten, langgestreckten Raum der ehemaligen Kegelbahn unter den Sophiensälen montiert hat, kontrollieren alles. Wie Florette durchschneiden sie dabei die Luft. "Engel in Erdton" nennt Kuivila dieses schaurige Antennengefecht. Und entzückt fragt man sich: Ist das alles vielleicht doch nur abstrakt?

Doris Meierheinrich

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