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"Inventionen": Klangkunstfestival: Die Wellenleiter

Es gibt nichts, was es in Berlin nicht gibt. Dass die Stadt auch Zentrum für akusmatische Musik, kurz Klangkunst, ist, dürfte selbst manchem Liebhaber des Zeitgenössischen bisher entgangen sein.

Dabei hat Klangkunst Tradition in Berlin: Das Festival „Inventionen“, das sich der elektroakustischen Musik widmet, gibt es seit 1982. Heute startet es zum 20. Mal.

Zur Eröffnung werden im „Wellenfeld H 104“ der Technischen Universität Berlin um 16 Uhr die Installation „HörSaal“ von Bernhard Leitner und ab 19 Uhr mehrere Kompositionen anderer Künstler uraufgeführt. In diesem besonderen Hörsaal, der das weltweit größte System zur Wellenfeldsynthese beherbergt, befinden sich mehr als 2000 Lautsprecher, die auf Kopfhöhe rundherum in den Wänden installiert sind. Mit Hilfe von 832 Audiokanälen wird eine Wellenfeldsynthese möglich, ein räumliches Audiowiedergabeverfahren, das verblüffende Hörerlebnisse bietet. Beispielsweise können Töne simuliert werden, die von einem bestimmten Punkt im Raum auszugehen scheinen, ohne dass sich dort ein Lautsprecher oder eine andere Klangquelle befindet. Auch Klänge, die aus überhaupt keiner Richtung zu kommen scheinen, sondern einfach im Raum schweben, können erzeugt werden. Die Kompositionen, die heute Abend gezeigt werden, wurden spezifisch auf diesen Ort hin entworfen und sind auch nur dort darstellbar.

„Das ist Kino für die Ohren“, bringt es Folkmar Hein auf den Punkt. Er verspricht, dass selbst Zuhörer, für die Dolby Surround mittlerweile eine alltägliche Hörerfahrung ist, von der Akustik des Raumes fasziniert sein werden. Hein leitete von 1974 bis 2009 das Elektronische Studio der TU Berlin, das unter anderem auch den Wellenfeld-Hörsaal betreut. Das Studio wurde 1953 gegründet und gilt als Geburtshelfer und maßgeblicher Förderer der Klangkunstszene. Audiokünstler haben hier die Möglichkeit, ihre technisch sehr aufwendigen Werke umzusetzen, die vom Elektronischen Studio bereitgestellte Technik wäre für eine Einzelperson oft unbezahlbar.

In Zusammenarbeit mit der Universität der Künste und mit dem Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes werden jährlich Komponisten und Experten aus aller Welt nach Berlin eingeladen, um die herausragenden technischen Bedingungen zu nutzen, die das Studio bietet. Aus dieser Zusammenarbeit entstand auch „Inventionen“. Das Festival soll den Klangkünstlern die Möglichkeit bieten, ihre experimentellen Installationsprojekte dem Publikum vorführen zu können.

Die Komponistin Kotoka Suzuki war eine der Stipendiatinnen des DAAD und kam 2001 nach Berlin. Obwohl Suzuki mittlerweile in Chicago lebt und dort als Musikprofessorin lehrt, ist sie nach wie vor von Berlin begeistert und reist regelmäßig hierher zurück. Denn sie findet mit dem Elektronischen Studio und dem DAAD nicht nur die technischen und finanziellen Voraussetzungen für ihre Kunst vor, sondern auch einen eng vernetzten Künstlerkreis. „Berlin ist ein Ort, an dem die Menschen sehr offen für Neues sind. Als Künstlerin fühle ich mich hier frei und ich traue mich so, mehr Risiko in Bezug auf meine Arbeiten zu wagen.“

Eigentlich ist sie eine Komponistin im klassischen Sinne, sie ist ausgebildete Pianistin und komponierte am Anfang ausschließlich für Soloinstrumente und Orchester. Ihre Ambition, klassische Musik mit anderen Medien wie Video und Tanz und mit ungewohntem Klangmaterial zusammenzubringen, brachte sie aber schnell auf die Vorzüge elektronisch basierten Komponierens. „Ich war schon immer fasziniert von der Möglichkeit, etwas aufzunehmen und dann mit den Tönen und Geräuschen herumspielen und experimentieren zu können“, sagt sie. Erleben kann man Suzuki und andere Stars der Klangkunstszene ab Donnerstag in der Elisabethkirche sowie in der benachbarten Villa Elisabeth. Seit vier Jahren hat das „Inventionen“-Festival dort einen neuen Veranstaltungsort gefunden. Die leerstehenden, maroden Bauten bieten ausreichend Platz und gestalterische Freiheit. „Herkömmliche Konzertsäle mit ihren fixierten Sitzreihen und ihrer Bühnenkonzeption sind das Gegenteil von dem, was eine Klangkunstinstallation braucht“, erklärt Folkmar Hein. Es gehe darum, dass das akustische Geschehen um den Zuhörer herum ablaufen soll, so dass man, eingebettet von Klängen, eine räumliche Erfahrung haben könne.

Um dieses Hörerlebnis zu garantieren, ist das Birmingham Electro-Acoustic Sound Theatre erneut Gast der Inventionen. Es betreibt eines der größten und international führenden Lautsprechersysteme (BEAST). Mit dem Festival-Motto „Musik für mehr als einen Lautsprecher“ wird ernst gemacht. Das Sound Theatre verfügt über unzählige Lautsprecher, die in der Kirche gestellt, gestapelt und aufgehängt sein werden. „Wir machen nun mal keine Musik für das 19. Jahrhundert“, erklärt Folkmar Hein den ungeheuren technischen Aufwand.

Kotoka Suzukis Werke erwachen durch die Soundeffekte des BEAST-Acousmonium erst richtig zum Leben. In ihrem Stück „Automata“, das sie am Samstag ab 19 Uhr in der Elisabethkirche präsentiert, entstehen akustische Traumsequenzen: ein „mechanischer Garten“, in dem künstliche wie natürliche Geräusche erklingen und sich vermischen. Rascheln und Zirpen, Wassergeräusche, metallenes Klingeln. Das alles verbindet sich zu einem mehrminütigen Konzert, das den Hörer auf eine akustische Wanderung entführt, bis er sich völlig im Hörerlebnis verliert. Gelingt der Versuch, das Gehörte den im Kopf entstehenden Bildern zuzuordnen, dann steht man plötzlich in einer Welt, aus der man um viele Erfahrungen reicher wieder heraustritt.

Florian Zimmer-Amrhein

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