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Iran: Zeichen am Himmel

Nach den Massendemonstrationen in Iran: Die Angst geht um, der Protest sucht neue Wege. Ein Bericht aus einem unterdrückten Land.

Wir waren gleich die Ersten, die auf die Straße gegangen sind, in unserer Stadt, die groß ist, aber nicht die Hauptstadt. Gleich am Sonnabend nach der Wahl. Am Ende jenes Tages habe ich mich so lebendig gefühlt wie lange nicht mehr.

Wir waren zu zehnt, wir hatten grüne Bänder an den Handgelenken, Symbole, Wimpel und Fahnen, denn Grün war die Farbe, in der vor der Wahl für die Wahl geworben wurde. Wir trugen also Grün, und wir riefen: „Liebe Bürger, unterstützt uns, unterstützt uns“, oder „Mussawi, Mussawi, hole dir unsere Stimme zurück“ oder „Betrug ist verboten“. Auf Persisch haben diese Slogans viele Gleichklänge, und als wir sie immer und immer wieder wiederholten, klang es wie ein Gedicht.

Die Polizei kam und trieb uns auseinander, schoß sofort Tränengas. Wir rannten weg, fanden uns später wieder, da waren wir schon 20. Wir trugen Grün und riefen unsere Parolen, und nach drei Stunden war unsere Gruppe angewachsen auf rund 2000 Demonstranten.Das war der erste Tag der Proteste.Obwohl man uns geschlagen und mit Tränengas verjagt hatte, waren wir glücklich, dass wir herausgeschrien hatten, was wir wollten. Als ich an dem Abend nach Hause kam, tat mir jeder Knochen weh, aber ich fühlte mich großartig. Im Internet sah man Filme und Fotos aus anderen Städten, wir waren nicht allein.

Die Wahl liegt jetzt zwei Wochen zurück, aus unserer Hoffnung auf Wandel ist Angst geworden, Angst vor der Zukunft. Es stehen die Regierung und ihre Polizei und die Milizen auf der einen und die Bürger auf der anderen Seite.

Zuerst bestand der Protest gegen das Wahlergebnis nur aus einer simplen Frage. Sie hieß: Wo ist meine Stimme? Als die Regierung darauf mit Gewalt reagierte, wurde aus der simplen Frage eine Forderung: Annulliert die Wahlen und lasst neu abstimmen!

Auch wenn es keine wirkliche Demokratie im Iran gibt und die vier Präsidentschaftskandidaten, die zur Wahl standen, zuvor vom Regime überprüft und dann erst zugelassen worden waren, auch wenn also die Leute keine eigenen Kandidaten hatten, so schien doch das Kreuz bei Mir-Hossein Mussawi die einzige Aussicht auf Veränderung zu sein. Mussawi, der Kritiker der Regierung, war Beweis dafür, dass die Menschen den Wandel wollten, wenn auch nur den geringsten. Zwei Wochen danach sind unter den Tausenden Inhaftierten auch mehr als 30 Journalisten. Dutzende Menschen wurden getötet, ermordet von Pseudo-Milizen, von denen die Regierung behauptet, nicht zu wissen, wer sie sind.

Zwei Wochen danach verschwindet auch allmählich die Farbe Grün wieder aus dem Alltag. Wer jetzt noch damit herumläuft, macht auf sich aufmerksam, es ist, als hätte man die Farbe verboten. In einigen Gegenden der Stadt werden jungen Frauen und Männer, die grüne Schals tragen oder T-Shirts, von der Polizei angehalten und befragt. Man riskiert eine Verhaftung.

Der Wächterrat hat bestätigt, dass Ahmadinedschad drei Millionen Stimmen unrechtmäßig zugerechnet wurden. Drei Millionen Stimmen aus 50 Städten. Das beeinflusse aber nicht das Ergebnis, Ahmadinedschad habe dann eben statt 24 Millionen Stimmen nur 21 Millionen, aber immer noch deutlich mehr als Mussawi, der demnach 13 Millionen Stimmen erhielt. Der Wächterrat nannte die Wahlen die „saubersten“, die es je im Iran gegeben habe. Jetzt will er zehn Prozent der Stimmen neu auszählen lassen. Keine zehn Länder haben Ahmadinedschad zur Wiederwahl gratuliert.

Die Menschen, die verhaftet wurden, sind von der Außenwelt abgeschnitten. Sie durften ihre Familien nicht informieren, sie haben keine Anwälte, können sich nicht verteidigen. Bisher wurden sie vor kein Gericht gestellt, sie wurden einfach weggesperrt. Augenzeugen berichten, dass sie grausam misshandelt und gefoltert werden.

Wenn ich durch die Straßen laufe und mit den Menschen spreche, beklagen sich viele über die drückenden Probleme in ihrem Alltag. Jedenfalls diejenigen, die überhaupt noch reden. Das sind meist Leute, die mich kennen, die ich beim Bäcker, beim Fleischer oder in der Schneiderei anspreche. Auf der Straße erwähne ich nicht mehr, dass ich Journalistin bin, da gebe ich vor, einfach eine neugierige junge Frau zu sein.

An öffentlichen Orten reagieren die Menschen misstrauisch und ängstlich, wenn sie nach ihrer Meinung zur aktuellen Situation im Land gefragt werden. An den Universitäten begegnet man größter Vorsicht. Es wurden viele Studenten herausgeworfen, ein Studienplatz ist kostbar im Iran.

Es gibt keine offiziellen Statistiken über die Zufriedenheit der Iraner mit ihrem Leben, also ist die beste und sicherste Methode, etwas darüber zu erfahren, mit ihnen zu sprechen und zu hören, was sie oft in einfachen Worten sagen. Auch wenn immer weniger Menschen offen sprechen wollen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen, Angst haben vor Konsequenzen.

Die Nachrichtenagentur „Ghalam“ erlebte drei Mal Hacker-Angriffe, und die Zeitung „Kalame Sabz“, beide zählen zu den Unterstützern Mussawis, wurde einen Tag nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses geschlossen. Versammlungen und Demonstrationen sind nicht erlaubt, der Zugang zum Internet ist eingeschränkt, aber die Menschen protestieren trotzdem noch und fordern ihr Recht in einer „grünen Stille“. Auch wenn die Medien der Islamischen Republik über diese Ereignisse nicht korrekt berichten, sondern verbreiten, die Demonstranten seien Unruhestifter, vom Ausland geführt.

Nachdem die ausländischen Reporter des Landes verwiesen oder unter Hausarrest gestellt wurden, haben Demonstranten angefangen, ihren Aufstand selber zu filmen und zu fotografieren. Mit ihren Hobbykameras ließen sie die Welt wissen, was im Iran geschieht. Die Iraner selbst denken dabei weniger, dass sie mutig sind. Sie denken an ihre Verantwortung, ihre Stimmen zurückzugewinnen.

Der Fall der amerikanisch-iranischen Journalistin Roxana Saberi, die ohne erkennbaren Grund zu acht Jahren Haft verurteilt wurde, erinnert daran, dass es nicht das erste Mal ist, dass die iranische Führung auf diese Weise reagiert. Vielleicht aber hat nun zum ersten Mal die ganze Welt gesehen und begriffen: Das, was die iranische Regierung tut, und das, was das Volk will, sind vollkommen unterschiedliche Dinge.

In einigen Städten im kurdischen Nordiran wurde zwei Tage lang gestreikt, aber in den meisten Städten geht das tägliche Leben einfach weiter, auch deshalb, weil der Alltag im Iran vor allem teuer und das Überleben harte Arbeit ist. In den Morgenstunden sieht es in den Städten auf den ersten Blick aus wie immer, aber abends, wenn die Menschen sich auf den Straßen versammeln, dann merkt man, der Wille, die Stimme zurückzuholen, ist ungebrochen.

Nach der Rede des Obersten Führers Ajatollah Ali Chamenei vom vergangenen Freitag hat sich die Lage allerdings etwas geändert. In den kleinen Städten wurden die Proteste leiser, weil offen gedroht wurde, dass Demonstranten verhaftet würden. Und nachdem wir alle gesehen haben, wie unschuldige Menschen, die bei Demonstrationen mitmachen, getötet wurden, fühlen sich die Menschen nicht mehr sicher genug, offen gegen den Wahlbetrug zu demonstrieren.

Nun suchen wir einen anderen Weg, die Unzufriedenheit zu zeigen. Weil wir keine grüne Kleidung und keine Fahnen mehr tragen dürfen, sollen Ballons in den Himmel aufsteigen, denn wer könnte sagen, woher die kommen. Grüne für die Hoffnung, schwarze für die Ermordeten. Die Ballons sollen allen zeigen, dass der Protest noch lebt, dass die Forderungen nicht vergessen sind.

Sie sollen aufsteigen um zehn Uhr abends, wenn der Ruf „Allahuakbar“, Gott ist groß, zu hören ist, von den Menschen, die auf den Dächern ihrer Häuser stehen. Es ist der Ruf, der die Älteren, die Eltern an die Zeit vor 30 Jahren erinnert, als sie eine Revolution anfingen, die in der Islamischen Republik Iran endete. Heute sind es ihre Kinder, die unter den Auswirkungen dieser Revolution am meisten leiden. Sie finden keine Arbeit, das Leben ist fast unbezahlbar, es gibt wenig Ausbildungs- oder Studienplätze und kaum eine Möglichkeit, das Leben einfach mal zu genießen.

Auch wenn der Wächterrat die Wahlen nicht annulliert hat, auch wenn viele Menschen verhaftet wurden, einige sogar getötet, so haben doch die Demonstrationen Gutes gebracht für das iranische Volk. Es wird Neda nicht vergessen und all der anderen gedenken, die bei den friedlichen Demonstrationen unschuldig ermordet wurden. Und es stehen zum ersten Mal seit der iranischen Revolution Iraner wieder zusammen und schreien eine gemeinsame Forderung heraus: nach Demokratie.

Am Freitag hat einer der führenden Kleriker des Iran gefordert, die Demonstranten, die er „die Aufständischen“ nennt, niederzuschießen. Kann sich jemand vorstellen, wie wir uns fühlen?

Die Autorin, die im Iran lebt, hat darum gebeten, unter ihrem Spitznamen zu schreiben, um sich durch den Text nicht in Gefahr zu bringen. Aus dem Englischen von Ariane Bemmer.

Raha

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