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Kultur: Irrlicht in Manhattan

Das Schauspielhaus Düsseldorf dramatisiert Paul Austers Roman „Stadt aus Glas“

Eine Stadt aus Glas wäre ein Ort, an dem man allem auf den Grund sähe und doch nichts mehr erkennen könnte. Bei völliger Transparenz verlören sich die Konturen der Dinge, alles würde sich in allem spiegeln. Paul Auster hat in seinem frühen Roman „Stadt aus Glas“ einen solchen Ort entworfen, doch es sind nicht die Häuser und Straßen von New York, sondern die Geschichte und ihre Personen, die sich auflösen: beide ineinander, der Autor in seinen Figuren, und am Ende ist auch der Anlass der Kriminalstory verschwunden. Nichts bleibt – nur der Roman.

Immer häufiger landen nun Bücher auf Bühnen. Denn dem Theater fehlen genuine Stoffe, die so anziehend, so zeitgemäß wären wie die von Leinwand, Bildschirm, Buch. Das Theater maust, meist mit mäßigem Erfolg. Nun ist am Düsseldorfer Schauspielhaus Paul Austers „Stadt aus Glas“ nachgebaut worden, 16 Jahre nach Erscheinen des Romans auf Deutsch. Ein Versuch, der im Ganzen gelungen ist, weil die Bühnenversion von Ulrich Hub nicht einfach nur den Plot nacherzählt. Man erinnert sich: „Mit einer falschen Nummer fing es an.“ Der Krimiautor Daniel Quinn erhält nachts einen Anruf, verlangt wird der Privatdetektiv Paul Auster. Quinn gibt sich als dieser aus und soll einen gewissen Peter Stillman bewachen. Der junge Mann ist eine Art Kaspar Hauser, der von seinem Vater als Kind wortlos gefangen gehalten wurde, damit es von selbst die menschliche Ursprache spreche. Der Vater, ein Theologe, wurde wegen seines Experiments verurteilt, nun kommt er aus dem Gefängnis und will sich – angeblich – an dem Jungen rächen. Tagelang verfolgt Quinn Stillman senior bei seinen Gängen durch New York. Sinnlose Wanderungen, doch als Quinn deren Verlauf auf dem Stadtplan nachzeichnet, ergeben sich Buchstaben und dann ein Name: „The Tower of Babel“ – Verweis auf ein Buch Stillmans über den Sprachverlust und die Vision eines neuen Paradieses, in dem die Dinge und ihre Namen wieder in eins fallen werden.

Irgendwann führt Quinn faszinierende Gespräche mit dem seltsamen Alten; irgendwann ist dieser verschwunden; irgendwann sucht Quinn den Privatdetektiv Paul Auster auf, der sich jedoch als der Schriftsteller entpuppt, der er ist. Quinn verrennt sich immer weiter in den Wahn, die Geschichte hinter der Geschichte zu erkennen, am Ende sind auch Stillman junior und seine Frau unauffindbar. Quinn verliert jeden Halt, zuletzt sich selbst. Zurück bleiben Paul Auster und Quinns Notizbuch – der Roman.

Wie will man dieses In- und Durcheinander von Figuren, literarischen Anspielungen, Sprachtheorien auf die Bühne bringen? Hubs Kunstgriff besteht darin, dass er die Synchronizität zu Sequenzen macht. Drei Mal beginnt es mit einer falschen Nummer, drei Mal erzählt Peter seine Leidensgeschichte, drei Mal verfolgt Quinn Stillman durch New York. Und mit jedem Mal wirkt die Geschichte authentischer. Dies ist dann das Verdienst des Regisseurs (und Bühnenbildners) Michael Simon, der jede Erzählschicht anders färbt und am Ende wieder ein Synchronbild herstellt.

Beim ersten Durchlauf betont er noch das Genrehafte des Plots: Quinn als kleiner Philip Marlowe mit Schlapphut und Trenchcoat; Mrs. Stillman als Geheimnisvolle im schwarzseidenen Morgenmantel. Beim zweiten und dritten Mal gewinnt das Unheimliche der Atmosphäre die Oberhand: Peter wird zu einem beklemmenden Irrlicht (gespielt von Steffi Krautz, die einzige schauspielerisch herausragende Leistung); die Personen vervielfältigen sich und verlieren sich zusehends; Quinn irrt selbdritt in der finsteren Bühnentiefe umher, Zeitungsfetzen fallen vom Himmel. Auch Paul Auster und der Erzähler lösen sich in der simplen und doch unbegreiflichen Geschichte auf.

Das Schlussbild deckt sich mit dem des Anfangs. Ein Kind spielt in einem Labyrinth aus Buchstaben, das die Worte ergibt: Stadt aus Glas. Darin verschwinden nun alle, durchsichtig bis zur Unkenntlichkeit.

Ulrich Deuter

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