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Splitter der Moderne. Isa Melsheimers Installation in Weißensee.

© Reiner Hausleitner

Isa Melsheimer-Ausstellung: Das Beben der Paläste

Geheimnisvolles Glitzern: Die Berliner Künstlerin Isa Melsheimer zeigt Landschaften und abstrakte Architektur aus Glas im Mies van der Rohe Haus.

Aussicht, Durchblick, Verbindung: Für Ludwig Mies van der Rohe war Glas das Material der Stunde. Wer in Berlin-Weißensee in jener Villa steht, die der Architekt 1932 für das Ehepaar Lemke errichtete, der fühlt sich im Innern wie draußen. Beide Sphären, den Wohnraum und das Grün des Gartens, trennt wenig mehr als ein paar transparente Scheiben.

Das augenscheinliche Gegenteil dieser fließenden Eindrücke verfolgt die Künstlerin Isa Melsheimer in ihrer Ausstellung. Sie nutzt den gleichen Stoff, um daraus Landschaften oder abstrakte Architektur zu schichten – aus Splittern allerdings, die ebenso blind wie scharfkantig sind. Als kristalline Figuren besetzen sie die Parkettböden im Raum. Mies van der Rohe errichtete ein Haus aus Glas – Melsheimer reißt es ein. Das Erbe der Moderne: ein Haufen Scherben. Doch das täuscht. Beide, der Baumeister und die Berliner Künstlerin, Jahrgang 1968, widmen sich der visionären Zeit am Beginn des 20. Jahrhunderts. Bloß wählt jeder von ihnen eine andere Facette.

Vermittlerin zwischen den Welten

„Der tote Palast zitterte – zitterte“ nennt Isa Melsheimer ihre Schau im Rahmen der Ausstellungsreihe „Glas“. Der Titel liefert einen Hinweis: Er zitiert einen Satz von Paul Scheerbart, dessen poetische Texte im Fantastischen wurzeln. Seine Gedanken zur Architektur sehnen dennoch eine Zeit der Klarheit herbei, in der sich die Innenräume möglichst überallhin öffnen. Der Dichter wünscht sich gläserne Fassaden anstelle hermetischer Mauern – aber bitte mit Farbe, um den Eindrücken von außen eine gewisse „Imposanz“ zu verleihen. Die ungefilterte Wirklichkeit ist dann doch ein profanes Erlebnis.

Hier trennen sich die Konzepte für die Zukunft: die Coolness der vom Stuck befreiten Fassaden gegen den eingefärbten Blick eines Dichters, der im späten 19. Jahrhundert aufgewachsen ist und von ihm geprägt wurde. Melsheimer agiert als Vermittlerin zwischen den Welten, auch weil ihre eigene künstlerische Arbeit von beiden gleichermaßen zehrt.

Ein Refugium für den Überfluss

Die gläsernen Berge im Mies-van-der-Rohe-Haus erinnern unmissverständlich an einen expressiven Bau wie das Große Schauspielhaus von Hans Poelzig am Schiffbauerdamm. Geheimnisvoll glitzernd, ein Refugium für den Überfluss. Ästhetischer Widerstand formiert sich in Gestalt jener Architekten, die nach Klarheit streben und jeden Winkel ausleuchten wollen. Transparenz als Prinzip, bis kein Geheimnis mehr bleibt.

Dass Extreme im Nirgendwo münden, ist eine spätere Einsicht. Am Ende dieser Sackgasse steht die Künstlerin, fügt die Enden der Geschichte unverdrossen zusammen und hofft auf einen konstruktiven Kurzschluss. Nur im Dialog erzählen die beiden Antagonisten eine Geschichte, die unsere Gegenwart zu erklären vermag. Melsheimer sammelt ein, was auf dem Weg verloren geht. In der Vergangenheit hat sie für ihre Ausstellungen verkümmerte Topfpflanzen zusammengeholt, vom Abriss bedrohte Gebäude auf Aquarellen verewigt und Details jener ungeliebten Behausungen in Beton gegossen, um daraus Modellhaftes zu formen. Ihre Strategien mögen vergeblich wirken, weil die Gesellschaft jedenfalls temporär das Interesse an alldem verloren hat. Doch vielleicht wendet sich das Blatt auch wieder – und Melsheimers zitternde Glaspaläste machen sichtbar, dass eines ohne das andere nicht zu denken ist.

Mies-van-der-Rohe-Haus, Oberseestr. 60, bis 24. September, Di–So 11–17 Uhr

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