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Kultur: Isaac Stern: Unstillbare Neugier

Der Geigenvirtuose Isaac Stern ist am Sonnabend in New York im Alter von 81 Jahren an Herzversagen verstorben. Stern, am 21.

Der Geigenvirtuose Isaac Stern ist am Sonnabend in New York im Alter von 81 Jahren an Herzversagen verstorben. Stern, am 21. Juli 1920 in der Ukraine geboren und in den USA aufgewachsen, debütierte 1936 mit dem San Francisco Symphony Orchestra. 22-jährig hatte Stern seinen ersten Auftritt in der Carnegie Hall in New York, die er 1960 vor dem geplanten Abriss rettete und der er 40 Jahre lang als Präsident vorstand. Franz Xaver Ohnesorg, in den letzten zwei Jahren Manager der Carnegie Hall und seit 1. September Intendant der Berliner Philharmoniker, erinnert sich an den weltweit gefeierten Künstler.

Kennengelernt habe ich Isaac Stern 1986 bei einer Tagung in Jerusalem. Damals arbeitete ich schon für die Kölner Philharmonie und habe ihn natürlich eingeladen, ihm erzählt, dass es mein Traum wäre, wenn er bei uns spielte. Doch Stern hatte sich 1945 geschworen, nie wieder in Deutschland aufzutreten, er wollte dabei bleiben. Es entwickelte sich ein sehr ernstes, langes Gespräch zwischen uns, bei dem wir mehr als einmal feuchte Augen hatten. Als wir auseinander gingen, fragte ich Stern, ob ich ihn zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal auf einen Köln-Besuch ansprechen dürfte. Da strahlte er und sagte: Selbstverständlich. Daraus erwuchs im laufe der Jahre dann eine tiefe, für mich sehr wertvolle Freundschaft. Er war ein großer Menschenkenner, hat mir vieles beigebracht, auch jenseits der Musik. Da war nicht nur seine ansteckende Sinnenfreude, sondern auch die Art, wie er auf Menschen zuging. Seine Reise nach China war nichts anderes als ein Zeichen seiner unstillbaren Neugier.

Bis zum Schluss hielt er sein Gelöbnis ein, in Deutschland nicht als Musiker aufzutreten - doch als Lehrer kam er dann schließlich 1999 nach Köln und hat einen wunderbaren Workshop mit Jugendlichen geleitet. Damals waren wir auch privat zusammen in Berlin. Ich habe ihn vor allem an das Grab Mendelssohns geführt und ihm die einstige Wohnung des Geigenvirtuosen Josef Joachims am Kurfürstendamm gezeigt. Beide Künstler des 19. Jahrhunderts verehrte Stern in höchstem Maße als Künstler wie als Menschen. Überhaupt stellte alle Musik deutschstämmiger Komonisten stets die Basis seines Repertoires dar. Als ich für die Intendanz der New Yorker Carnegie Hall vorgeschlagen wurde, fragte ich ihn: Meinst du, die Zeit ist reif, dass erstmals ein Deutscher dieses Symbol amerikanischer Musikkultur leiten kann? Er antwortete: Da, wo du herkommst, da kommt doch auch die Musik her. Dass er wegen seines selbstgewählten Deutschland-Boykotts nicht mehr mit den Berliner Philharmonikern zusammenarbeiten konnte, wertete er als eigentlichen Verlust dieser Entscheidung.

Obwohl er in San Francisco aufwuchs, war Isaac Stern doch New Yorker durch und durch. Dies war seine Stadt. Darum war es auch richtig, dass man ihm die schrecklichen Ereignisse des 11. September verschwiegen hat. Es ging ihm in den letzten Wochen schon sehr schlecht - Ende August wurde er operiert, dann bekam er eine Infektion im Krankenhaus. Einige Tage konnte er dann noch einmal in seinem Haus in Conneticut zurückkehren, doch dann wurde ein weiterer Eingriff nötig. Nach der letzten Operation am Freitag ließen sich die Blutungen dann nicht mehr stillen. Er fiel in ein Koma, aus dem er am Sonnabend um 19 Uhr Ortszeit erlöst wurde.

Bis zuletzt wirkte Isaac Stern unglaublich wach und jung. Bis vor wenigen Monaten ist er auch immer noch aufgetreten. Nach einem der letzten Auftritte sank er erschöpft an meine Brust und seufzte: "Musik zu spielen ist so viel schöner als darüber zu reden." Wenn ich ihm meine Pläne für die Carnegie Hall vorstellte, war er mit leuchtenden Augen bei der Sache und traf sofort den Knackpunkt der Projekte. Er war ein toller Stratege, der genau wusste, was möglich war und wie man Kulturinstitutionen so positioniert, dass sie Erfolg haben - bei der Politik, den Sponsoren und vor allem natürlich beim Publikum. Die Leute glücklich zu machen, das war sein größtes Ziel.

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