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Kultur: Israelische Bühnen: Unser Nazi

Fünf Deutsche unterhalten sich. "Was wissen Sie vom Patriotismus?

Fünf Deutsche unterhalten sich. "Was wissen Sie vom Patriotismus?" fragt der eine. "Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein," sagt der andere. Ein Dritter: "Nationaler Stolz und soziale Gerechtigkeit waren die ausschlaggebende Kombination." Und nach einer Pause: "Das habe ich von Adolf Hitler persönlich gelernt."

Das Gespräch wurde vor 55 Jahren geführt, während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Auf die Bühne des Stadttheaters von Haifa passen die Worte heute genauso gut, auch weil Hermann Göring, Wilhelm Keitel, Alfred Rosenberg, Hans Frank und Albert Speer von jüdischen und arabischen Schauspielern gespielt werden.

Dennoch, allzu provokant ist das Stück von Regisseur Yigal Esrati nicht. Er setzt sich in "Nürnberg" nur mit den Tätern auseinander - ein sicheres Terrain. Deutlich verweisen auch der Untertitel "Das Drama der Leugner" sowie ein Hinweis im Programmheft darauf, dass es sich hier um ein Dokudrama handelt. Die Sicherheitsvorkehrungen waren nötig, weil das Stück für Gymnasiasten produziert wurde und deren Schuldirektoren wohl schon beim leisen Verdacht eines Skandals die Aufführung aus dem Schulprogramm gestrichen hätten.

Obwohl in der Zwangsjacke, wagt Regisseur Esrati doch einiges. Seine fünf NS-Verbrecher sind keine boulevardflachen Typen, sondern dreidimensionale Figuren. Göring ist überheblich und kindisch, wenn er sich als Kaiser Nero verkleidet und mit einer Modelleisenbahn spielt; Keitel ist der ewige Soldat, aber ein anständiger Mensch; Rosenberg bleibt bis zum Ende der scharfsinnige Intellektuelle und fanatische Antisemit; Speer ist Schöngeist und Saubermann, der gegen den korrupten Göring wettert und sich Eau de Cologne unter die Achseln sprüht, während er von einem "unangenehmen" Besuch im KZ Mauthausen berichtet.

Weil ihm die bloßen Gerichtsprotokolle zu uninteressant waren, ("Wir haben nichts gewusst", "Wir haben nur Befehle ausgeführt"), verwendete Autor Ilan Chazor Texte des amerikanischen Psychologen G. Metz Gilbert. Er hat die Kriegsverbrecher in Untersuchungshaft befragt. In Einzelgesprächen haben sie Emotionen gezeigt, ihren Aussagen widersprochen oder ihre Prozesstaktik offen gelegt.

Weil die Theatermacher fürchten, dass ungeduldige Jugendliche ihre einstündige Produktion nicht überstehen würden, unterbrechen sie die kontroversen Aussagen mit zügigen Übergängen, Filmausschnitten und Musik. Die Darsteller singen "Führer, mein Führer" und tanzen miteinander zu "Lili Marleen". Dreimal wird Richard Wagners "Tannhäuser" eingespielt.

"Wir haben in Kauf genommen, dass Göring oder Frank attraktiv erscheinen," sagt Bühnenbildner Uri On. "Aber sonst hätte unser Stück keine künstlerische Rechtfertigung. Außerdem erinnern wir immer wieder durch die Filme daran, dass dieser Gefühlsrausch ins Krematorium führte." Den Parties, den Parodien über den "unmännlichen" Juden und den Märschen wird ein abruptes Ende gesetzt durch Bilder aus Buchenwald - Berge von Leichen, Brillen, Schuhen, Goldzähnen.

Es erscheinen Risse in der NS-Einheitsfront. Keitel schämt sich, ein Deutscher zu sein, Speer wirft Hitler die Schuld an der Katastrophe vor, und Frank ruft: "Es werden 1000 Jahre vorbeigehen, bevor die deutsche Schuld gelöscht wird."

Igal Avidan

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