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Kultur: Ist "entartete Kunst" ein Gütesiegel, Herr Hüneke?

Mit dem Kunsthistoriker und Ausstellungskurator Andreas Hüneke sprach Nicola Kuhn Tagesspiegel: Nach der Beutekunst ist die wiederentdeckte Liste der "entarteten Kunst" das zweite große Thema im Zusammenhang mit dem Dritten Reich.Hängt das Wiederauftauchen dieses Inventars mit der veränderten politischen Großwetterlage zusammen?

Mit dem Kunsthistoriker und Ausstellungskurator Andreas Hüneke sprach Nicola Kuhn Tagesspiegel: Nach der Beutekunst ist die wiederentdeckte Liste der "entarteten Kunst" das zweite große Thema im Zusammenhang mit dem Dritten Reich.Hängt das Wiederauftauchen dieses Inventars mit der veränderten politischen Großwetterlage zusammen? Hüneke: Nein, aber für mich haben sich die Möglichkeiten wesentlich verbessert, das Thema an sich hat sich nicht verändert.Allerdings ist mir jetzt erst bewußt geworden, daß möglicherweise das eine mit dem anderen verbunden ist. Tagesspiegel: Inwiefern? Hüneke: Es war klar, daß nach dem Krieg noch Depots mit "entarteter Kunst" bestanden haben müssen.Es gibt Hinweise, daß im Propagandaministerium noch etwas gelegen hat.Aber man wußte nie, wo das hin ist.In der nun aufgetauchten Liste ist vermerkt, was genau in diesen Depots war.Es bleibt die Frage, ob dies bei der Eroberung Berlins verbrannte oder zur Beutekunst gehörte. Tagesspiegel: Warum ist die Kulturstiftung der Länder erst vor eineinhalb Jahren auf die Idee gekommen, für Ihre Arbeit einen Etat einzurichten? Hüneke: Der Kulturstiftung geht es eher um die Erhaltung nationaler Kulturgüter: also um Restaurierung oder Ankäufe.Durch meine Arbeit wollte man planvoller an Rückerwerbungen für Museen gehen und nicht warten, bis die Bilder in Auktionen auftauchen und sich die Preise erhöhen.Seit letztem Oktober ist der Auftrag im wesentlichen abgeschlossen.Nun muß ich sehen, wie ich alles folgende unter Dach und Fach kriege. Tagesspiegel: Warum ist die Kulturstiftung gerade an Sie mit diesem Auftrag herangetreten? Hüneke: Eigentlich hängt meine ganze DDR-Geschichte damit zusammen.Ich habe Wehrdienst verweigert und konnte nichts anderes studieren als Theologie.Nebenbei habe ich Kunstgeschichte gehört.Nach dem ersten Staatsexamen bekam ich durch Glück an der Staatlichen Galerie Moritzburg in Halle eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter.Da ich mich vorzugsweise mit der Moderne beschäftigt habe auch als Protest, weil sie nicht geliebt war , wollte ich wissen, was sich früher in der Sammlung befand.Ich bin in das Zentrale Staatsarchiv in Potsdam gegangen, um mir die Akten durchzugucken.Weil man nicht einfach zum Kopierer gehen konnte, habe ich das alles mit der Hand abgeschrieben.Das hat natürlich geholfen, sich alles einzuprägen. Tagesspiegel: 1992 hat es in Berlin eine Rekonstruktion der Ausstellung "entartete Kunst" von 1937 gegeben, und viele Museen haben sich ausführlich damit beschäftigt.Sind nun weitergehende Erkenntnisse zu erwarten? Hüneke: Bei den Museen ist dies erstens nicht überall passiert und zweitens mit sehr unterschiedlichem Erfolg.Zum Teil kranken die Dinge daran, daß die Bearbeiter zwar die örtlichen Akten durchgearbeitet haben, aber weil sie die zentralen Vorgänge nicht kannten, diese nicht richtig interpretiert haben.Da ist noch eine ganze Menge zu tun.Außerdem verschiebt sich durch besseres Detailwissen das große Bild: bezüglich der Anzahl der beschlagnahmten Werke, der Künstlernamen bis zu dem, was dann mit den Werken geschehen ist was also zum Beispiel wirklich 1939 verbrannte.Das wußte man bisher noch nicht.Tendenziell konnte ich schon feststellen, daß zum überwiegenden Teil Werke unbekannterer Künstler verbrannt wurden. Tagesspiegel: Haben sich bei Ihnen schon Museen gemeldet, um etwas über ihre Verluste zu erfahren? Hüneke: Ja, einige fragen schon nach, auch Kollegen, die über einzelne Künstler Werkverzeichnisse erstellen.Aber dazu ist es noch zu früh.Man muß die Beantwortung ein bißchen rausschieben. Tagesspiegel: Wird durch die Liste das Wiederauffinden der Bilder erleichtert? Hüneke: Je mehr Leute das wissen, desto größer ist die Chance, daß man darauf stößt.Ich habe das ja in Bezug auf Halle gemerkt, weil ich die Bestände ganz genau kenne.Im Laufe der Jahre sind mir etliche Werke in irgendeinem Katalog oder einer entlegenen Zeitschrift plötzlich über den Weg gelaufen.Dann klickt es, und man kann es zuordnen. Tagesspiegel: Glauben Sie, daß das Auffinden der Liste auf dem Markt Auswirkungen hat? Hüneke: Handelsprognosen sind eigentlich nicht mein Gebiet.Ich kann mir denken, daß dies manche Künstler ein bißchen aufwertet, aber das sind dann die Unbekannteren.Von den bekannten Namen weiß man ja ohnehin, daß sie dabei waren.Meist zeigen sowohl Sammler als auch Kunsthändler Entgegenkommen, wenn sich ein Museum für den Rückkauf interessiert. Tagesspiegel: Wirkt sich das Etikett "entartet" wie ein Gütesiegel aus? Hüneke: In der Praxis ist das möglicherweise so, obwohl das eigentlich nicht gerechtfertigt ist.Die Nazis haben keineswegs eine Qualitätsauslese vorgenommen.Es sind die Spitzen der Moderne dabei, aber auch unbedeutende Leute und Werke.Oft wird nach den Kriterien gefragt, was ist eigentlich "entartete Kunst", was haben die Nazis darin gesehen? Die Kommissionen haben das ganz unterschiedlich gehandhabt und nach persönlichem Geschmack.Zum Beispiel sind in Halle die Lehmbruck-Plastiken dageblieben, anderswo wurden sie beschlagnahmt.Manchmal waren es ganz harmlose Dinge, Landschaften, die weder stilistisch noch inhaltlich aufregend sein konnten, nur weil derjenige, der das machte, jemanden nicht leiden konnte.Es sind auch schlechte Bilder dabei.Die werden dadurch nicht besser. Tagesspiegel: Hat denn bei der Auswahl für den Verkauf jemand mit "Kunstverstand" entschieden? Hüneke: Damals war die deutsche Kunst auf dem Weltmarkt eigentlich noch nicht anwesend, abgesehen von Ausnahmen.Viele, die für uns heute ganz oben leuchten, waren noch nicht bekannt.Die Dinge sind damals ganz anders bewertet worden als heute. Tagesspiegel: Der Kunsthändler Harry Fischer erwarb diese Liste 1970.Wieso wußte man nicht vorher von der Existenz dieser Liste? Hüneke: Ich habe immer gedacht, es müßte noch irgendwo ein zweiter Band von den drei anderen bekannten Listen sein.Das kann doch nicht sein: drei Teile und immer ist die zweite Hälfte weg.Ich habe an allen möglichen Stellen danach gesucht.Vor allem weil Paul Ortwin Rave in seinem Buch von 1949 "Kunstdiktatur im Dritten Reich" Zahlen und Daten zu einzelnen Künstlern nennt, deren Werke beschlagnahmt wurden.Er muß ein komplettes Inventar gehabt haben.Es kann sein, daß es das gewesen ist, was jetzt hier liegt.Rave hatte als Direktor der Nationalgalerie gute Kontakte zum Propagandaministerium.Vielleicht hat er sich von dort so ein Inventar geben lassen.Es könnte aber auch ein Mitarbeiter des Propagandaministeriums die Liste mitgenommen haben, und es ist so zu Fischer gelangt.Darüber hinaus muß es noch ein Inventar gegeben haben, das nach Künstlern geordnet ist.Das ist noch gar nicht aufgetaucht. Tagesspiegel: Warum hat Fischer dieses Inventar geheimgehalten? Hat er sich davon Vorteile für seine Tätigkeit als Kunsthändler versprochen? Hüneke: Dazu müßte man die Ankaufspolitik seine Galerie nach 1970 untersuchen.Aber es kann genauso gut sein, daß er sich als Sammler nicht so stark für den aktuellen Forschungsstand interessiert hat, daß er nicht wußte, was er in Händen hält. Tagesspiegel: Verstehen Sie Ihre Arbeit mit dieser Liste als Wiedergutmachung an den damals verfolgten Künstlern? Hüneke: Ja, aber mich interessiert mehr das Verhalten der Menschen damals: die Kunsthändler, die Kunsthistoriker, die Künstler wie sie unter dem Druck der Diktatur versuchten, ihre Sache weiterzuverfolgen.Dies geschieht auch im Vergleich zu meinen eigenen Erfahrungen, weil ich unter ähnlichen, wenn auch nicht gleichen Verhältnissen sehen mußte: Wie weit läßt man sich auf ein gefordertes Vokabular ein und versucht es für die eigene Aussage zu verwenden? 1973 war jemandem im Ministerium eingefallen, daß in den Depots der Museen Werke stehen, die man für Westgeld verkaufen könnte.Wir sollten in der Moritzburg für drei Millionen Kunst verkaufen und zunächst eine Liste für eineinhalb Millionen erstellen.Da sich sonst kein ernsthafter Widerstand zeigte, war ich in der Klemme, denn ich war in diesen Beruf durch Glück reingerutscht und dachte, wenn ich mich weigere, werde ich rausgeschmissen, dann ist es aus mit dem Beruf.Andererseits wird dann jemand eingesetzt, der das ohne Gewissensbisse macht.Deshalb habe ich dann diese Liste geschrieben.Glücklicherweise ist es nie zur Ausführung gekommen, so daß der Opportunismus an dieser Stelle keine Folgen hatte.Aber die Erfahrung ist da.

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