zum Hauptinhalt

Istanbul - Berlin: Ein Quadratmeter Freiheit

"Istanbul New Wave": Zum 20. Geburtstag der Städtepartnerschaft präsentiert sich die türkische Kunstszene in Berlin.

Der eine bezeichnet sich stolz als Bürgermeister einer türkischen Stadt und bekennt, in diesem Jahr gleich zwei Mal in Istanbul gewesen zu sein. „Privat ist es noch interessanter“, findet Klaus Wowereit. Der andere, Kadir Topbas, Oberbürgermeister von Istanbul, sitzt auf dem Podium und versucht anlässlich kritischer Fragen zu Kurdenverfolgung und Jounalistenmorden zu erklären, dass das offene, vielfältige Zusammenleben immer die besondere Qualität seiner Stadt gewesen sei. Vor der Tür der Akademie der Künste, am Pariser Platz, werden gerade die Reste der Großfeier zu 20 Jahren Mauerfall zusammengekehrt.

20 Jahre Städtepartnerschaft Berlin-Istanbul, das scheint ein Nebenschauplatz angesichts all der Wendejubiläums-Feierlichkeiten. Und doch: Dass sich im November 1989, gerade einmal acht Tage nach dem Mauerfall, zwei Bürgermeister zusammentaten, um die Achse Berlin-Istanbul zu befestigen, zeugt von Weitblick. „Die Berliner Mauer mag gefallen sein. Aber die Auswirkungen waren in aller Welt spürbar“, erklärt Kadir Topbas. Akademiepräsident Klaus Staeck sieht in der modernen Türkei eine „Schlüsselkultur für unser Selbstverständnis“. Man hoffe, möglichst viele Berliner Deutschtürken anlässlich des Städtepartnerschaftsjubiläums ins Haus zu locken.

Unter dem Titel „Istanbul New Wave“ wollen nun drei Ausstellungen zeigen, wie modern, aufgeschlossen und kritisch die türkische Kunstszene ist. Diese ist, trotz Istanbul-Biennale und diverser Aktivitäten der Ifa-Galerie und anderer Häuser, für den hiesigen Blick immer noch eine terra incognita. Und es ist, das belegen die drei Ausstellungen, eine sprudelnde, lebendige, witzige Szene, die sich hier selbstbewusst präsentiert. Sie sagt zwar wenig über die Orte – Stadtansichten, Reisebilder finden sich kaum –, aber wie Menschen in Städten leben, das sagt eben auch etwas über die Städte selbst.

Drei Ausstellungen, drei Adressen, drei Kuratoren, und zwar keine von hier, sondern von dort, und drei verschiedene Ansätze. Die größte Überraschung wartet in der Akademie der Künste am Pariser Platz. Dort hat die Istanbuler Kuratorin Beral Madra 17 türkische Künstlerinnen zusammengeholt, aus drei Generationen. Eine bunte Mischung. Da wird gestickt und performt, fotografiert und gefilmt, gemalt und agitiert, dass es eine Lust ist. Wie ein frischer Windzug ist das, wie der Wind, in dem Nazan Azeri das Hochzeitskleid ihrer Mutter flattern lässt, Symbol für die Kräfte, die an den Frauen zerren, die sie zu zerreißen drohen. „Boden unter meinen Füßen, nicht den Himmel“ hat Madra ihre Ausstellung genannt – das war 1987 der Slogan von Demonstrantinnen in Istanbul, die sich nicht mehr damit arrangieren wollten, dass den Frauen zwar der Himmel versprochen und zu Füßen gelegt wurde, sie aber gleichzeitig als Eigentum des Mannes galten. So dreht Sükran Moral die Rollen einfach um: Sie posiert in „Bordell“ als Prostituierte und filmt dabei die gierig-unsicheren Blicke der Männer. Oder sie geht in „Hamam“ in ein türkisches Männerbad, als einzige Frau, und lässt sich dort waschen und pflegen.

Orientalismus, Identität und Nationalität, die Dominanz des männlichen Blicks, die Dominanz des westlichen Blicks – mit all diesen Themen befassen sich die Künstlerinnen, aber nicht verkrampft-agitatorisch, sondern zumeist spielerischleicht. Da kombiniert Nazli Eda Noyan Fotomontagen mit Aufklärungstexten, die über Gesetzesänderungen belehren, die den Frauen mehr Rechte geben, in der Ehe, in der Familie, bei der Scheidung. Oder Ipek Duben fragt in Istanbul lebende Ausländer, wie sich ihre Vorurteile über die Türkei verändert hätten, und bekommt ausgesprochen ehrliche Antworten. Sie kombiniert das mit alten Fotografien und denkt über das „typisch Türkische“ nach – ein Plädoyer für die selbstverständliche Zugehörigkeit zur Europäischen Union.

Aggressiver wird der Ton im zweiten Ausstellungsteil, im Akademiegebäude am Hanseatenweg, wo Cetin Güzelhan und Johannes Odenthal sechs Positionen kritischer Kunst aus Istanbul versammelt haben. Schon das umgestürzte Berliner Polizeiauto, das Halil Altindere vor dem Eingang positioniert hat, weckt Erinnerungen an Studentenrevolte und Staatsgewalt, Aufruhr und Demonstration – andere Orte, andere Länder wie etwa die Niederlande hatten eine ähnliche Museumsaktion nicht gestattet.

In den Ausstellungsräumen steht dann Bedri Baykam und erzählt, wie ein befreundeter Journalist von Fundamentalisten ermordet wurde, wie andere im Gefängnis sitzen, und keiner weiß, warum. Er selbst, der immer wieder den politischen Widerstand, Zensur und Folter thematisiert, hat eine Art Telefonzelle zu „einem Quadratmeter Freiheit“ umgestaltet: eine Box, in der jeder denken, sagen und an die Wand schreiben kann, was er meint. Sein jüngstes Bild hat er Barack Obama und den großen Hoffnungen gewidmet, die man ihm auch in der Türkei entgegenbringt. Obama in der Mitte – und Gandhi, Che Guevara, Martin Luther King und J. F. Kennedy sehen zu.

Ganz anders geht Irfan Önürmen vor, der harte Kritik an Medien, am Imperialismus, an den USA mit minutiöser Bastelarbeit verbindet. Für sein jüngstes Werk, „Bagdad Museum“, hat er aus Zeitungspapier Papiermaché-Panzer und Gewehre gebaut, die, fein säuberlich numeriert und beschriftet, in den Vitrinen des Bagdad-Museums auf Kulturzerstörung und Plünderung verweisen und dem Westen die Schuld geben. Parallel dazu baut Önürmen in einer „Terror-Fabrik“ „Kunst-Bomben“ aus Pappmaché und adressiert sie an westliche Museen, in denen Kunst aus dem Irak, dem Iran, aus Vorderasien seiner Meinung nach zu Unrecht gezeigt wird. Auch für die Staatlichen Museen zu Berlin gibt es ein solches Paket.

Da schließt sich ein Kreis zu einer Fotoarbeit von Gül Ilgaz am Pariser Platz, auf der sich die junge Künstlerin in den Pergamon-Fries hineinmontiert hat. Die Kriegsgöttin Athene als Ideal, gleichzeitig ist die Arbeit ein subtiler Akt der Wiedergewinnung – ist es doch für die Türkei immer noch schmerzhaft, dass dieses Hauptwerk der Spätantike in Berlin und nicht am Ursprungsort in Pergamon zu sehen ist. Die einen basteln Bomben, die anderen arbeiten am Fotoshop.

Im Martin-Gropius-Bau schließlich, wo Levent Calikoglu aus der Sammlung des 2004 eröffneten Privatmuseums „Istanbul Modern“ hundert Jahre türkische Kunstgeschichte, immer im Wechsel zwischen Westeinfluss und Eigenständigkeit, im Schnellrundgang zusammengestellt hat, zeigt Sener Özmen seine Videoarbeit „Der Weg zur Tate Modern“. Zwei Männer, die wie Don Quichote und Sancho Pansa mit Pferd und Esel durch die anatolische Gebirgslandschaft reiten, auf der Suche nach der Londoner Tate-Gallery. Unterwegs treffen sie einen Bauern und fragen, wie sie dahin kommen, und der reagiert ganz entspannt: über den nächsten Berg, und dann rechts. Es sei aber ziemlich weit.

Den Weg zur Tate Modern werden die beiden, wird auch die türkische Kunstszene vielleicht nicht sofort finden. Berlin liegt auf dem Weg.

Istanbul New Wave: Gropius-Bau, Akademie der Künste am Pariser Platz und Hanseatenweg, bis 17. Januar (Pariser Platz bis 3. Januar). Katalog (AdK/SteidlVerlag) 20 Euro.

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false