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150 Millionen Euro, ein Kilometer. Die Brücke soll das Goldene Horn (re.) mit dem Stadtteil Beyoglu (li.) verbinden.

© AFP

Istanbul: Der Goldene Dorn

Eine gigantische U-Bahn-Brücke soll Istanbuls Verkehrsprobleme entschärfen – die Unesco warnt vor der Verschandelung der Stadt-Silhouette.

Das Wasser glitzert, die Sonne scheint, und der gegrillte Fisch auf dem fahrbaren Grill von Metin Percin duftet. Percins Handwagen mit Gasflasche steht in einem kleinen Park vor einer Schiffsanlegestelle am Goldenen Horn, der weltberühmten Flussmündung, die unterhalb der historischen Altstadt von Istanbul im Bosporus endet. Besonders beschaulich ist es hier derzeit aber nicht. Gleich nebenan blockiert ein Bauzaun die Sicht, und auf dem Wasser rammen zwei riesige Schwimmkräne lange Röhren aus Baustahl in den Flussboden. Die Röhren sollen später mit Beton gefüllt werden und eine Brücke tragen, die schon vor ihrer Fertigstellung höchst umstritten ist.

Mit der U-Bahn-Brücke über das Goldene Horn will der Istanbuler Bürgermeister Kadir Topbas den öffentlichen Nahverkehr in der 14-Millionen-Einwohner-Stadt stärken. Topbas hat seit seinem Amtsantritt 2004 die Streckenlänge des Istanbuler Schienennetzes von 41 auf 88 Kilometer verlängert, und für die kommenden Jahre plant der studierte Architekt noch Größeres. Mithilfe von Projekten wie der Brücke über das Goldene Horn oder den „Marmaray“-Tunnel zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil Istanbuls will der Bürgermeister die Kapazität der Bahnen auf elf Millionen Fahrgäste pro Tag ausbauen.

In einer Stadt, die mit ständig wachsenden Staus auf den Straßen zu kämpfen hat, ist das ein populäres Vorhaben. Der Unternehmer Sahdi Gündüz etwa, Stammkunde am Fischgrill von Metin Percin, ist voll des Lobes für die Pläne. „Die Brücke ist eine gute Sache“, sagt er und zeigt auf eine der drei bereits bestehenden Autobrücken über das Golde Horn. „Wo wollen Sie denn hier noch mehr Straßen bauen?“

Das ist in der Tat die Frage. Im historischen Zentrum einer Stadt, die auf eine mehrere tausend Jahre alte Geschichte zurückblickt, kann man nicht einfach Brücken und Tunnel bauen, ohne mit dem kulturellen Erbe in Konflikt zu geraten. Das „Marmaray“-Projekt ist beispielsweise ins Stocken geraten, weil bei den Arbeiten eine antike Hafenanlage gefunden wurde, die ein neues Licht auf die Istanbuler Frühzeit wirft.

Kein Wunder also, dass auch die geplante Brücke übers Goldene Horn für Ärger sorgt. Kritiker in der Türkei und bei der Kulturorganisation der Vereinten Nationen Unesco laufen Sturm: Die beiden mächtigen Pfeiler der Hängebrücke mit ihren fächerartig angeordneten Stahlseilen könnten die Silhouette von Istanbul verschandeln, befürchten sie. Die Pfeiler sollten ursprünglich 82 Meter hoch werden. Die Brücke selbst ist laut Plan rund einen Kilometer lang und kostet fast 150 Millionen Euro.

Die Unesco warnt, dass das einmalige Ensemble der Altstadt durch sie erheblich beeinträchtigt würde – denn die Brücke liegt in unmittelbarer Nähe der großen Süleymaniye-Moschee, eines Meisterwerks des osmanischen Architekten Mimar Sinan. „Topbas gegen Mimar Sinan“, titelten die Zeitungen schon, und dem Bürgermeister wird vorgeworfen, er wolle sich auf Kosten von Istanbuls Kulturschätzen ein Denkmal setzen.

Daraufhin ließ Topbas die Höhe der Pfeiler auf 55 Meter senken, gibt sich ansonsten aber unbeeindruckt. Der Bau gehe weiter, verkündete er kürzlich, im kommenden Jahr solle die Brücke fertig sein. Die türkische Organisation „SOS Istanbul“ will den Bürgermeister zumindest dazu bringen, „ein bescheideneres Design“ zu wählen. Und die Unesco hat die Istanbuler Stadtväter aufgefordert, eine Expertenkommission einzusetzen, um den „negativen Effekt“ der Brücke auf die Altstadt zu minimieren.

Solche Überlegungen sind dem Fischliebhaber Gündüz am Goldenen Horn fremd. Für ihn geht es vor allem darum, nicht mehr jeden Tag im Stau zu stehen. Natürlich müsse eine Balance zwischen dem kulturellen Erbe und den Notwendigkeiten einer modernen Großstadt gefunden werden. Aber irgendwo sei nun einmal Schluss, wiederholt er: „Istanbul ist nicht nur für die Touristen da, es leben auch Menschen hier.“

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