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Kultur: Italien hat gewählt: Berlusconi überschreitet den Rubicon

Er hat es geschafft. Am Sonntag ist der reichste Mann Italiens mit knapper Mehrheit zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden.

Er hat es geschafft. Am Sonntag ist der reichste Mann Italiens mit knapper Mehrheit zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden. Und wieder einmal, wie schon so oft in der Geschichte, wird Italien mit dem Wahlerfolg von Silvio Berlusconi zum Laboratorium der Politik, zum Experimentierfeld von Herrschaftsstilen, die Entwicklungen vorausnehmen, die auch andere Staaten Europas und die Demokratien überhaupt in den folgenden Jahrzehnten zunehmend prägen könnten.

Es geht um eine Verbindung von sehr alten mit hypermodernen Politikstilen. Ihnen gemeinsam ist ihr antidemokratischer Kern, ihre Auffassung von Politik als einer reinen Technik, einer Methode von Machterwerb und Machterhalt, nicht hingegen als einer Methode von gesellschaftlicher Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung. Dabei hat das Modell Berlusconi gleichzeitig Tradition, wie ein Blick auf die Antike zeigt, genauer: auf das Ende der römischen Republik. In seiner soeben auf Deutsch erschienenen Biografie Julius Caesars ("Caesar. Der demokratische Diktator"; Beck Verlag) beschreibt der italienische Altphilologe Luciano Canfora die Taktiken eines Politik-Unternehmers, der sich in einer schweren Staatskrise, an deren Eskalation er wesentlich beteiligt war, zum Retter des Vaterlandes stilisiert. Seine militärischen Erfolge machten ihn zum Outsider und Gegenspieler einer verfilzten politischen Kaste - ähnlich wie Berlusconi immerzu auf seine Erfolge als Unternehmer verweisend. Mit ihnen demonstriert er zum einen seine Tauglichkeit zum mächtigsten Mann im Staat, zum anderen auch seine Distanz zu den bisher Mächtigen, verbunden mit vermeintlicher moralischer Überlegenheit.

In beiden Fällen handelt es sich natürlich nicht um objektive Diagnosen, sondern um die Imagekampagnen eines Demagogen, der geschickt auf der Klaviatur der Anti-Politik spielt, um sich so politische Vorteile zu verschaffen. Grafik: Italiens neues Parlament Caesarischer Metaphorik hat sich Berlusconi im zurückliegenden Wahlkampf übrigens mehrfach bedient. So berichtete er vor vier Wochen medienwirksam von angeblichen Morddrohungen gegen ihn - die Iden des März lassen grüßen. Oder man denke an Berlusconis semantische Spiele mit dem Gedanken der Diktatur, seine Rhetorik des Aufräumens, der Säuberung. Auch dies bewegt sich in der Tradition der späten römischen Republik, die im Unterschied zur Moderne keinen Gegensatz zwischen Diktatur und Demokratie kannte. Diktatur bedeutete damals befristete Außerkraftsetzung der Verfassung mit dem Ziel der Wiederherstellung ihrer Voraussetzungen. Auch Caesar trat als "guter Diktator" an, der die Institutionen vor einer politischen Kaste rettet, die sie nur als ihre Pfründe betrachtet.

Politik als Produkt

Im Unterschied zu Caesar ist Berlusconi demokratisch gewählt, und bisher deutet - trotz seiner demokratisch zweifelhaften Koalitionspartner - wenig darauf hin, dass er die demokratische Ordnung direkt angreifen möchte. Die Bedrohung dieser Ordnung besteht vielmehr in der populistischen Rhetorik des neuen Ministerpräsidenten und in der Möglichkeit, mittels seines Medienimperiums, seines nach Art einer Kaderorganisation geführten Parteienapparats und seiner Präsenz auf diversen Feldern der Wirtschaft die politische Debatte nahezu vollständig zu beherrschen und die Öffentlichkeit nach allen Regeln der Kunst zu kontrollieren.

Camforas Biografie zeigt, dass auch die Verquickung von Politik und Ökonomie à la Berlusconi keineswegs neu ist. Die Auffassung von Politik als einem Produkt, das mit allen Mitteln - inklusive Wahlabsprachen, Korruption, Stimmenkauf und Medien-Propaganda - an den Kunden gebracht wird, gab es bereits zu Zeiten der Geschäfte des Herrn Julius Caesar. Und wie die Politiker, die früher dem Caesar-Kult frönten - von anderen römischen Kaisern bis zu Napoleon III. oder dem frühen Mussolini - bedient sich auch Berlusconi eines ganz bestimmten Politikmodells: Immer wieder beschwört er seine besondere Beziehung zum Volk, zu den "wahren Italienern". In seiner - als kostenlose Broschüre in 12-Millionenauflage verteilter - Wahlkampfbiografie "Una Storia Italiana" präsentiert sich Berlusconi als einfacher Mann aus dem Volk, als einer, der "es" mit viel Arbeit geschafft hat und trotzdem den kleinen Leuten nahe geblieben ist. Das bisschen Geld spiele da keine Rolle.

Nur diese besondere Volksnähe - selbst als ertappter Lügner ein großer Pinocchio - sorgt für die Legitimität, die einer braucht, der sich am Rande der Legalität bewegt. Seine populistische Rhetorik besteht darin, das Wählervolk gegen das System in Stellung zu bringen. In dieser Taktik liegt freilich auch eine der Gefahren für den Premier Berlusconi. Der Erfolg seiner Regierung hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit es ihm gelingt, sich auch als Ministerpräsident weiterhin zum antipolitischen Systemgegner und zum Opfer der alteingesessenen Politikkaste zu stilisieren. Tatsächlich zeigt Berlusconi in seiner ständigen Nervosität und divenhaften Überreiztheit alle Wesenszüge eines Parvenüs: eines "homo novus", der schon da ist, aber seinen Platz noch nicht gefunden hat.

Machterwerb, Machterhalt

Dabei kann Berlusconi, der vor Jahren ein Vorwort zu Machiavellis "Principe" verfasste, nicht nur dort nachlesen, dass der Erhalt der Macht erheblich schwerer ist als ihr Erwerb. Trotzdem ist kaum zu erwarten, dass er die Fehler seiner ersten Amtsperiode wiederholt. Im Gegensatz zu der spontanen, eher taktischen Entscheidung, 1994 anzutreten und die Kandidatur erst zwei Monate vor der Wahl zu verkünden, war der Wahlsieg am Sonntag der erste Erfolg einer lang angelegten Strategie. Deren undemokratischer Kern ist der Griff nach der ganzen Macht, das Spiel des Alles oder Nichts: "Aut Caesar, aut nihil".

Wirklich modern an der Figur Berlusconi ist seine Fähigkeit, solch antiquierte Politikbegriffe in eine aktuelle politische Ästhetik des Heroismus zu überführen, die sich nicht auf einen wie auch immer gearteten Neofaschismus oder auf Populismen reduzieren lässt. Gerade weil Berlusconi, der sich von den eigenen TV-Sendern gern "Il Cavaliere" nennen lässt, eben nicht ein postmoderner Nachfolger des Duce ist, sondern eher ein Neo-Bonapartist und politischer Condottiere, prallt jede Kritik, die auf moralische Verurteilung setzt, an ihm ab. Zur Analyse kommt es erst gar nicht.

Einer der wenigen, die eine solche Analyse in Ansätzen geleistet haben, ist der Florentiner Rechtsphilosoph Danilo Zolo. "Die demokratische Fürstenherrschaft" erschien 1998 auch auf Deutsch (Steidl Verlag). Darin geht Zolo über eine bloße Kritik am politainment westlicher Gesellschaften hinaus und fragt nach deren Voraussetzungen. Denn nicht Berlusconi ist das Problem, sondern ein System, das Figuren wie ihn hervorbringt. Zolo beschreibt die Personalisierung von Wahlkämpfen und das Marketing des politischen Alltags nicht allein als Amerikanisierung. Das Problem liege vielmehr in einer Antiquiertheit des demokratischen Modells, das auf einen mündigen Bürger setzt, den es ebenso wenig gebe wie eine ernsthaft politisch interessierte Gesellschaft und eine freie Öffentlichkeit.

Solange aber, das kann man aus Zolos Ausführungen schließen, die Entpolitisierung von den Bürgern selbst gewollt und befördert wird, sind Inhalte zweitrangig - und die besseren Politik-Verkäufer werden das Geschehen immer stärker bestimmen. Es sei denn, die europäische Kundschaft beweist ihnen das Gegenteil.

Rüdiger Suchsland

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